Als sich die Young Boys und der FC Midtjylland im Herbst 2012 in der Europa League begegnen, sind sie beide erfolglose graue Mäuse. Wenn sie sich nun heute Abend in der dritten Qualifikationsrunde zur Champions League wiedersehen, stehen sich erfolgsverwöhnte und finanziell bestens aufgestellte Sieger gegenüber. Beide haben seither drei Mal die Meisterschaft und ein Mal den Cup gewonnen.
In Herning, im Herzen von Jütland, dem Westteil Dänemarks, ist mit dem FC Midtjylland aus den Ruinen eines vor dem Konkurs stehenden Klubs ein Vorzeigeobjekt entstanden, das nur im englischen Klub FC Brentford seinesgleichen findet. Beide Vereine gehören gerade zu den aufregendsten in Europa, sind miteinander verbandelt und womöglich dabei, den Fussball zu revolutionieren.
Ihre Strategie, mit einer detaillierten Datenanalyse den Erfolg anzustreben, klingt zwar im ersten Moment wenig prickelnd, ist sie doch im heutigen Fussball längst Alltag. Aber Brentford und Midtjylland gehen deutlich weiter. Leistungsdaten werden nicht aufgrund persönlicher und subjektiv geprägter Einschätzungen von Trainern und Scouts interpretiert, sondern es werden für wenig Geld Spieler geholt mit Qualitäten, die andere nicht sehen.
Midtjylland sieht beim völlig unterbewerteten Finnen Tim Sparv von Greuther Fürth Qualitäten, die nicht einmal dieser selbst erkennt. Sparv wird einer der besten Spieler der Superliga. Das Motto: Wissen ist Macht. Jede Entscheidung wird aufgrund von Statistiken und Wahrscheinlichkeiten gefällt. Niemand hört auf seinen Bauch.
Die Storys erinnern an Moneyball und wie Billy Beane einst im Baseball mit den Oakland Athletics die Datenanalyse zum wichtigsten Teil seiner erfolgreichen Arbeit gemacht hat. Im komplexeren Fussball ist Matthew Benham der Pionier.
Dank ausgeklügelter Formeln mit Sportwetten reich geworden, beginnt er, die Datenflut gezielt für den Fussball und seinen Lieblingsklub FC Brentford zu nützen und wird 2012 dessen Besitzer. In seiner Firma, eine Art Silicon-Valley in London, hauen über 200 Nerds Zahlen in die Computer. 2014 schafft Brentford die Rückkehr in die Championship. Neugierig gewordene Trainer wie Thomas Tuchel und Ralf Rangnick besuchen Benham und hören, dass dieser irrationale und subjektive Entscheidungen durch wissenschaftliche Methodik ersetzt.
Und eines Tages kommt auch Rasmus Ankersen. Der frühere Profi und Spieler des FC Midtjylland schafft es, dass Benham für acht Millionen Euro drei Viertel des Klubs kauft unter der Bedingung, dass seine Zahlenphilosophie kompromisslos zur Anwendung kommt. Ankersen wird der Präsident.
Anfangs denken die Spieler und viele im Klub: Was für ein Bullshit! Aber nur ein Jahr später ist der Klub erstmals in seiner Geschichte dänischer Meister, lässt finanziell viel potentere Klubs wie den FC Kopenhagen und Bröndby hinter sich. Alle Abläufe auf dem Platz, im Training, Scouting, in der medizinischen Abteilung und Verwaltung werden mit einem modernen Datensystem wissenschaftlich analysiert. Seit 2014 werden nebst der Taktik auch Transfers mit Erfolg kalkuliert. Das Einnahmenplus: 33,93 Millionen Euro.
Was aber steckt genau hinter der Erfolgsstrategie der eigentlich streng geheimen Formeln? Was unterscheidet sie von den Erkenntnissen anderer Gurus? Wie ist es möglich, im Fussball, wo Zufall, Glück und Pech regieren, den Erfolg zu berechnen?
Inzwischen sind einige der Midtjylländer Schlüsselindikatoren bekannt.
Auch wenn vieles im System der Dänen noch geheim ist: Auf die Young Boys wartet eine harte Nuss. Der Sieger dieser Partie spielt in den Playoffs gegen Slavia Prag um den Einzug in die Königsklasse.