In ein paar Wochen werde er darüber sprechen. Das sagte Lucien Favre nach der 0:1-Niederlage von Borussia Dortmund gegen den FC Bayern, die wohl bedeutet, dass der Serienmeister aus München den achten Titel in Folge einfährt. Es war Favres Antwort auf die Frage, ob er nun wieder Diskussionen um seine Person erwarte.
In Teilen der deutschen Öffentlichkeit hatte Favre von Beginn weg fast keine Chance. Kaum gewann Dortmund mal nicht, wurde er in Frage gestellt. Ein Fakt zur Einordnung: Unter Favre holte der BVB im Schnitt 2,05 Punkte pro Spiel. Der ähnlich lange im Klub beschäftigte Thomas Tuchel kam auf durchschnittlich 2,12 Punkte, die wesentlich länger beim BVB tätige Überfigur Jürgen Klopp schaffte 1,90 Punkte pro Spiel.
Was Favre angekreidet wird, ist, dass er keiner für Titel sei. Wobei dabei oft vergessen wird, dass von 18 Bundesligisten nur einer Meister werden kann. Dass ein Champions-League-Aus gegen Paris Saint-Germain, das den Fussballer mit der höchsten Transferablöse (Neymar, 222 Mio. Euro) und den Fussballer mit dem höchsten Marktwert der Welt (Kylian Mbappé, 180 Mio. Euro) im Team hat, keine Schande ist. Dass ein 2:3 im Pokal-Achtelfinal gegen Werder Bremen immer vorkommen kann in einem K.o.-Wettbewerb.
Doch knapp vorbei genügt bei der Borussia nicht mehr. Seit den Meistertiteln 2011 und 2012 und dem Champions-League-Final 2013, den die Dortmunder gegen Bayern München verloren, sieht man sich auf Augenhöhe mit dem Rekordmeister. Seither konnte die Visitenkarte wertvoller Titel (Europacup, Meisterschaft, Pokal) nur durch den Pokalsieg 2017 (gegen Eintracht Frankfurt) ergänzt werden. Borussia Dortmund ist den Bayern zwar nah – aber nicht auf Augenhöhe. Nach wie vor schielt der Branchenleader auf den Rivalen aus dem Ruhrpott herunter.
Wie es nun aussieht, kommen zu Lucien Favres bisherigen 85 Pflichtspielen als Trainer von Borussia Dortmund nur noch sechs weitere hinzu. Nach 91 Partien wäre dann Schluss bei den Schwarz-Gelben. Das klingt zunächst nicht nach sehr viel – ist aber mehr als doppelt so lange wie ein Trainer im Durchschnitt von seinem Klub Zeit erhält. Das zeigt eine aktuelle Auswertung vom Internationalen Zentrum für Sport-Studien CIES in Neuenburg.
Die Fussballforscher haben die höchsten Ligen von 84 Ländern zwischen Januar 2015 und Dezember 2019 unter die Lupe genommen. Sie fanden heraus, dass ein Trainer durchschnittlich 40,6 Spiele im Amt war, bis es zur Trennung kam.
Der heisseste Trainerstuhl der Welt steht in Bolivien. Dort verschliss der Club Real Potosi in den fünf untersuchten Jahren sagenhafte 20 Trainer. Nach durchschnittlich 11,3 Spielen wurde der Neue schon wieder abgelöst. Gar nur 9,8 Spiele im Schnitt erhielten die 14 Trainer des tunesischen Klubs JS Kairouanaise Zeit.
In der Schweiz ist – wen wundert's? – der FC Sion Spitzenreiter. Präsident Christian Constantin, der für seine Hire-and-fire-Mentalität bekannt ist, setzte in fünf Jahren auf neun verschiedene Trainer. Im Schnitt erhielt ein Coach im Wallis eine halbe Saison Zeit, ehe diese abgelaufen war.
Von 766 Klubs, die im untersuchten Zeitraum durchgängig in der höchsten Liga spielten, beschäftigten lediglich 30 durchgehend den gleichen Übungsleiter. Der bekannteste dieser Vereine ist River Plate: Marcelo Gallardo führte den Grossklub aus Buenos Aires zu zwei Triumphen in der Copa Libertadores, der südamerikanischen Champions League.
Vier Mal Meister und afrikanischer Champions-League-Sieger wurde Pitso Mosimane, der seit 2012 bei den Mamelodi Sundowns aus Südafrika tätig ist. Und in Dänemark führte der amtierende Trainer Stale Solbakken den FC Kopenhagen seit 2013 zu drei Meistertiteln (nachdem er schon bei seinem ersten Engagement fünf Titel gewann).
Das sind Ausnahmen. In der Super League waren nebst Sion noch fünf Klubs ebenfalls durchgehend höchstklassig. St.Gallen und Thun verbrauchten in den fünf Jahren jeweils fünf Trainer, Basel, Luzern und YB jeweils vier. Fallen bei der Vorstellung eines Neuen also Stichworte wie «Konstanz» oder «langfristig», dürfen diese getrost als hohle Phrase abgetan werden. Erfolgreiche Trainer wollen gehen, schlechte Trainer müssen gehen. Es zählt nur der Moment, in der Schweizer «Durchlauferhitzer-Liga» erst recht.
Sollte Lucien Favre tatsächlich seinen noch bis im Sommer 2021 laufenden Vertrag vorzeitig kündigen, hätte er mehr geschafft als viele Berufskollegen. Auch wenn er den Traum nicht verwirklichen konnte, Borussia Dortmund zu einem grossen Titel zu führen.
Mittlerweile gibt es neue Aussagen der Protagonisten. Am Tag nach dem Spiel bemühte sich BVB-Boss Hans-Joachim Watzke heute, die Wogen zu glätten. «Der Trainer wollte nur sagen, dass wir wie immer am Ende der Saison eine Analyse machen werden», sagte er der «WAZ». Er habe Favre zuletzt als sehr fokussiert empfunden und Dortmund spiele eine sehr, sehr gute Rückrunde, so Watzke weiter. «Aktuell gibt es überhaupt keinen Anlass für eine Trainerdiskussion.»
Auch Lucien Favre äusserte sich in der Zeitung. Seine Worte direkt nach dem Spiel seien falsch verstanden worden: «An Aufgeben denke ich überhaupt nicht.» Zur Schweizer Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagte er unmissverständlich: «Ich werde nicht zurücktreten. Das ist totaler Quatsch!»