Plötzlich ein donnerndes Geräusch, Hektik kommt auf unter den Tifosi vor dem Gittertor bei der Landebahn am Flughafen BernBelp. Endlich ist er da, endlich ist Cristiano Ronaldo gelandet. Wegen ihm sind sie gekommen. Das Trikot mit der Nummer 7 und ein schwarzer Stift in der Hand. Ob er wohl Zeit hat für ein Autogramm? Ein Selfie gar?
Die Wolken am Himmel über dem Berner Vorort haben sich erst rosa, dann grau verfärbt, bis sie fast nur noch als dunkle Schatten wahrnehmbar sind. Auf den naheliegenden Bergen liegt erster Schnee. Trotz Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt sind viele der rund 600 Juventus-Anhänger schon mehr als eine Stunde am Warten, als die A319 mit dem Superstar an Bord um 17 Uhr endlich Schweizer Boden berührt.
Bald kommen die @juventusfc-Stars um @Cristiano Ronaldo in Bern an. Die Fans warten bereits gespannt vor dem Flughafen Bern-Belp. #srffussball #ChampionsLeague pic.twitter.com/TfKG9TKGKr
— SRF Sport (@srfsport) December 11, 2018
Noch am Morgen haben Ronaldo und seine Kollegen in Turin trainiert, sich den letzten Schliff für das Spiel gegen YB geholt. Für Juve geht es um den Gruppensieg. Für YB um rund drei Millionen Franken und die Ehre. Für die Tifosi in Belp um ihn, den Messias. Sie vergöttern Ronaldo. Kaum wurde sein Transfer publik, war sein Trikot ausverkauft. Die Verpflichtung von CR7 war ein Heilsversprechen für die Anhänger von Juve. Fünfmal hat er die Champions League gewonnen, dreimal mehr als die Alte Dame aus Turin. Den letzten Titel in der Königsklasse holten die Turiner 1996. Fünfmal verloren sie seither ein Finalspiel.
Von Ronaldo erwarten sie nichts anderes als die lang verwehrte Krönung. «Juventus ist Favorit auf den Sieg in der Königsklasse, weil sie mit Cristiano den besten und komplettesten Spieler der Welt im Team haben», sagte Fabio Cannavaro, Captain der italienischen Weltmeister-Mannschaft 2006.
Die bisherigen Leistungen haben die Euphorie im Norden Italiens weiter angeheizt. Erst ein einziges Mal spielte Juve diese Saison unentschieden (Ende Oktober gegen Genua, 1:1) und nur einmal verloren Ronaldo & Co. (die vorletzte Champions-League-Partie gegen Manchester United, 1:2). Natürlich marschieren die Bianconeri auch heute gegen Schweizer Meister YB als haushoher Favorit auf den Platz.
Warum aber ist Ronaldo überhaupt bei Italiens Rekordmeister gelandet? In einem Interview mit «France Football» hat Ronaldo gesagt, dass er sich zuletzt bei Real Madrid nicht mehr «unentbehrlich» gefühlt habe. Präsident Perez habe ihn nur noch als «Geschäft» betrachtet. Doch die Wahrheit liegt tiefer und sie offenbart die dunkle Seite des vermeintlichen Fussball-Gottes.
Wenige Tage vor seinem Wechsel zu Juventus hat sich der fünffache Weltfussballer mit einer Millionen-Zahlung freigekauft. 5,7 Millionen Euro hat Ronaldo zwischen 2011 und 2014 am spanischen Fiskus vorbeigeschleust. Im Juni 2018 einigte er sich mit der Steuerbehörde darauf, dieses Geld nachzuzahlen und darüber hinaus eine Busse von 13,3 Millionen Euro zu berappen. Zudem wurde er zu einer Haftstrafe von 24 Monaten verurteilt, musste diese als Ersttäter jedoch nicht absitzen.
Der Deal ist ein Skandal. Nicht nur nach dem Empfinden des durchschnittlichen Steuerzahlers. Caridad Gomez, die Leiterin der Abteilung für Betrug bei der Steuerbehörde, sagte, dass in Spanien das Hinterziehen von 125'000 Euro gereicht hätten, damit Menschen hinter Gitter gewandert seien. Fachleute rechneten vor, dass für Ronaldos Vergehen sieben Jahre angemessen wären.
Der Portugiese ist nicht nur mit einem blauen Auge davongekommen, nein, er profitiert gar von seinem Umzug nach Italien. Denn in seiner neuen Heimat Turin kommt er in den Genuss eines ganz besonderen Steuerprivilegs: Auf all seine Auslandeinnahmen muss Ronaldo in Italien lediglich eine pauschale Steuer von 100'000 Euro entrichten. Millionen an Mehreinnahmen.
Kaum ist der Wechsel vollzogen, lässt der «Spiegel» die nächste Bombe platzen: Kathryn Mayorga, Amerikanerin, 34 Jahre, bezichtigt Vorzeige-Athlet Ronaldo der Vergewaltigung. Das deutsche Investigativblatt hat schon die Steuerbetrugsgeschichte ins Rollen gebracht. Beiden Geschichten liegen Dokumente der Enthüllungsplattform «Football Leaks» zugrunde.
Mayorga hat jahrelang geschwiegen. CR7 und seine Anwälte haben sie mit einer Zahlung von 375'000 Dollar dazu gebracht. Doch die #MeToo-Bewegung und die Tatsache, dass sie die Geschehnisse aus der Nacht auf den 13. Juni 2009 über all die Jahre verfolgten, bewegten sie dazu, ihr Schweigen zu brechen.
Die Polizei in Las Vegas hat unterdessen den Fall wieder aufgerollt. Noch ist nicht klar, ob es zum Prozess kommt. Ronaldo hat die Geschichte in einem Instagram-Video schnell als «Fake-News» abgetan. Im Interview mit «France Football» sagte er später: «Für meine Teamkollegen, meine Familie, Fans, die mich unterstützen, ist diese Geschichte nicht belanglos.» An ihm selbst aber scheint das alles abzuperlen. Wie Fett in der Teflonpfanne. Als wäre nichts gewesen, als wäre alles wie immer, schiesst er Tore, schlägt Laser-Pässe, Granaten-Freistösse. Es hat etwas Beängstigendes, wie er all das ausblenden kann, fast schon etwas Schizophrenes.
Im Gespräch mit der «Gazzetta dello Sport» sagte er unlängst: «Wenn ich dauernd daran denken würde, was ich schon alles gewonnen habe oder wie viel Geld ich besitze, dann würde ich nachlassen. Manchmal ist es besser, zu vergessen, wer ich bin.» Die Verdrängung hat System. Sie hat ihn zu dem gemacht, der er ist. Bei fast jedem Training ist er als Erster in der Kabine. Und er stemmt noch immer Hanteln oder tritt Freistösse, wenn seine Kollegen längst auf dem Heimweg sind.
Aber da ist auch diese dunkle Seite, dieser Abgrund. Mayorga erinnert sich, wie Ronaldo ihr nach der mutmasslichen Vergewaltigung sagte: «Zu 99 Prozent bin ich ein guter Kerl, ich weiss nicht, was mit diesem einen Prozent ist.»
Doch davon redet am Dienstagabend niemand. Kaum gelandet, verschwinden die Juve-Stars im bereitstehenden Teambus. Ausser den Fotografen mit ihren Teleobjektiven hat kaum jemand den Superstar auch nur zu sehen bekommen. Hinter verdunkelten Scheiben werden Ronaldo & Co. wegkutschiert. Direkt zum Bellevue in Bern. Kreischen und Tumult unter den Tifosi. Verworfene Hände und die Tränen eines kleinen Jungen. In den Händen der Mutter das Shirt von Ronaldo, der schwarze Stift. In seinem Kopf der zerstörte Traum vom Treffen mit dem Superstar.