Hand in Hand mit Marco Wölfli läuft Leonidas Stergiou in die AFG-Arena ein. Er ist der «Einlaufbueb» vor dem Spiel des FC St.Gallen gegen die Young Boys – in der Saison 2012/13. Der Bub schaut zum Berner Goalie auf, ein Strahlen im Gesicht. Zehn Jahre alt ist er, und seine Hoffnung gross, bald als Profi denselben Weg zu gehen, vom Spielertunnel hinaus ins gut gefüllte Stadion.
Rund sechs Jahre liege dieser Moment zurück, sagt Stergiou, er erinnert sich gut daran. Und er scheint es selber kaum zu glauben: Inzwischen ist er den Weg tatsächlich schon zehn Mal gegangen, als Grosser. Seinen ersten Einsatz für den FC St.Gallen hatte er im Februar gegen Zürich, mit 16 Jahren – nur Michael Lang war bei seinem Debüt für die Ostschweizer noch jünger. Stergiou überzeugte mit seiner Ruhe am Ball. Mit seiner Schnelligkeit und dem Spielverständnis. Und blieb vorerst in der Stammformation.
Nun sitzt der Innenverteidiger in der Lobby des Bad Ragazer «Quellenhofs», wo die St.Galler während ihres Trainingslagers logieren. Und er lacht über eine Aussage, die einige Minuten zuvor Peter Zeidler gemacht hat. «Leonidas ist in der Sommerpause gewachsen», sagte der Trainer. Er meinte es in mentaler Hinsicht – aber eben auch in wortwörtlicher, körperlicher. «Ich glaube nicht», entgegnet das Talent aus dem Toggenburg. Bei den 1,80 m dürfte es geblieben sein. Es könne aber sein, dass er inzwischen anders auftrete. «Es ist alles etwas leichter geworden, ich kenne das Umfeld, habe mich daran gewöhnt.»
Seine Ruhe am Ball erklärt er sich ziemlich pragmatisch: Schon als Junior habe er immer als Innenverteidiger gespielt, obwohl er nie zu den grössten seiner Teams gehört habe. Auf dieser Position wisse er schlicht, was zu tun sei. «In der Super League ist das Spiel eigentlich das gleiche. Einfach schneller. Und Fehler werden schneller bestraft.»
Da war dieser Fehler, wie er passieren kann, wie er aber für einen jungen Fussballer nicht einfach zu verdauen ist. Gegen Luzern im Jubiläumsspiel schätzte der Defensivspieler einen Ball falsch ein, die Folge war das 0:1, am Ende verlor der FC St.Gallen 1:2. Zeidler nahm den Untröstlichen damals in der Pause aus dem Spiel, zum Schutz. «Ob es der richtige Entscheid war, weiss ich nicht», sagt der Trainer. «Skispringer gehen nach einem Sturz ja auch direkt wieder auf die Schanze.»
Will heissen: Zeidler traut dem Talent eigentlich zu, mit solchen Situationen umgehen zu können. Und Stergiou macht tatsächlich nicht den Eindruck, als ob ihn das Negativerlebnis nachhaltig geprägt hätte. Dass er zum Ende der Saison dem funktionierenden Gespann Musah Nuhu/Milan Vilotic in der Innenverteidigung den Vortritt lassen musste, trägt er mit Fassung. Schliesslich hatte er in der Schule, der United School of Sports, auch noch genügend zu tun. Und in der Schweizer U17-Auswahl ebenfalls. «Es war auch so ein unglaubliches Jahr für mich.»
Stergiou (ausgesprochen mit Betonung auf dem i) wuchs in Wattwil auf, mit seiner serbischen Mutter, seinem griechischen Vater und zwei älteren Schwestern. Er war polysportiv unterwegs, räumte an Sporttagen ab, fuhr Ski. Schon mit fünf Jahren kickte er seine ersten Bälle bei den Junioren des FC Wattwil, für den einst auch sein Vater gespielt hatte. Als nach wenigen Jahren der Nachwuchs des FC Wil zum Thema wurde, zog gleich die ganze Familie nach Wil, wo sie heute noch wohnt. «Für den Schritt bin ich bis heute dankbar. Es vereinfachte vieles.» Bald landete Stergiou im St.Galler Nachwuchs.
Heute ist die Familie fast immer geschlossen an den Spielen des Jüngsten dabei. «Sogar die Schwestern sind zu Fussballexpertinnen geworden», sagt er mit einem Lachen. Nicht, dass am Znachttisch etwa nur über Fussball geredet werde. Die Interessen in der Familie seien breit. Eine Schwester studiert Psychologie – die andere ist Lebensmitteltechnologin. Auch Stergiou legt viel Wert auf die Ausbildung, bezeichnet sich als ehrgeizigen Schüler. Im August beginnt er eine kaufmännische Lehre in der Administration des FC St.Gallen.
Und vielleicht wird er in der neuen Saison wieder regelmässiger zum Einsatz kommen. Zwar könnte ihm mit dem französischen Testspieler Yannis Letard weitere Konkurrenz in der Innenverteidigung erwachsen. Mit Nuhus Kreuzbandverletzung dürfte er aber wieder in die Poleposition neben Vilotic rücken. Zumal ihm Zeidler einen «grossen Trainingsstart» attestiert. Leonidas sei ein Musterprofi, der stets an sich arbeiten wolle und ihn als Trainer herausfordere. Weiter verbessern müsse er sein Kopfballspiel, sagt Zeidler. Verbessern wolle er seinen linken Fuss, sagt Stergiou. Sicher ist: Das Talent will ein Grosser werden.