695 Pflichtspiele, 180 Tore, ein Champions-League-Sieg. Zahlen sind das eine. Gefühle das andere. Und bei Steven Gerrard war stets dieses Gefühl da: Er ist der FC Liverpool. Er ganz alleine.
Natürlich hatte der 34-Jährige immer auch grossartige Mitspieler an seiner Seite. Tormaschinen wie Fernando Torres oder Luis Suarez, Abwehrhühnen wie den Schweizer Stéphane Henchoz oder Mittelfeldstrategen wie Xabi Alonso. Aber über allen stand immer und von allen unangefochten er: Der «Captain Fantastic». Ein unermüdlicher Kämpfer, ein steter Antreiber, ein geborener Anführer.
Kein anderer Spitzenklub war über einen so langen Zeitraum von einem einzigen Spieler abhängig wie Liverpool von Gerrard. Wenn es eng wurde: Auf die Nummer 8 war fast immer Verlass.
Es ist ein schlechter Witz, dass ausgerechnet ein Ausrutscher von Steven Gerrard im dümmsten Moment der Anfang vom Ende war, als Liverpool letzte Saison drauf und dran war, englischer Meister zu werden.
Dieser fehlende Titel ist die Lücke in Gerrards Palmarès. 16 Jahre lang ist er ihm vergeblich nachgerannt. Auch in dieser Saison wird er nicht mehr englischer Meister werden. Liverpool spielt eine schwache Saison und liegt bloss auf Rang 8.
«Stevie G.» kündigte jedoch mit seinem Abgang als Spieler an, eines Tages zum FC Liverpool zurückzukehren, um dem Klub in einer anderen Funktion zu helfen. Vielleicht kann Gerrard als Manager nachholen, was er als Regisseur auf dem Platz nicht geschafft hat.
In einer Zeit, in der Fussballer längst zu Handelsreisenden in eigener Sache geworden sind, war die Klubtreue von Steven Gerrard eine wohltuende Konstante. Er entsprach dem Idealbild jedes Fussballfans: Als Kind schon Anhänger des Klubs, dann in ihm gross geworden, später stets geblieben.
Gerrard konnte das erleben, wovon er als Bub schon geträumt hatte: Im roten Dress des FC Liverpool spielen, Tore schiessen, Pokale gewinnen. Sein Cousin Jon-Paul Gilhooley hatte den selben Traum. Aber er starb noch als Kind: als jüngstes Opfer der Hillsborough-Katastrophe im Frühling 1989, bei der 96 Fussballfans ums Leben kamen. Seinem Cousin widmete Gerrard schon früh seine gesamte Karriere.
Francesco Totti ist mittlerweile 38-jährig. Wird er, der seit jeher bei der AS Roma spielt, dereinst zurücktreten, dann ist es das Ende einer Ära. Dann wird es keinen Spitzenfussballer mehr geben, der seine ganze Karriere bei ein und demselben Verein verbracht hat.
Fussballfan zu sein hat viel mit Nostalgie zu tun. Aarau-Fans werden für den Rest ihres Lebens ans Jahr 1993 zurückdenken, als ihr Klub sensationell Schweizer Meister wurde. Jeder Anhänger des FC St.Gallen wird noch in Jahrzehnten wässrige Augen haben, wenn er an die Tore von Charles Amoah zurückdenkt.
Steven Gerrard wird im Sommer die grosse Bühne verlassen. Aber an der Anfield Road werden sie sich noch lange an ihren Helden erinnern und ihn mit ihren Liedern feiern. Fussballfans wissen zwar, dass früher nicht alles besser war. Aber manches eben schon.