Vor der Rückrunde der Bundesliga, die heute Freitag mit dem Spitzenspiel Schalke (5.) gegen Borussia Mönchengladbach (2.) beginnt, sagte Deutschlands Nationaltrainer Joachim Löw: «So spannend wie jetzt war es schon lange nicht mehr. Man hat zum ersten Mal wieder das Gefühl, dass mehrere Mannschaften auf Augenhöhe agieren.»
In der Tat zeigt die Tabelle ein ungewöhnliches Bild: Den Leader Leipzig und das fünftklassierte Schalke trennen nur sieben Punkte. Vor einem Jahr etwa lag der Dritte bereits neun Punkte hinter Leader Dortmund. Vor zwei Jahren hatte Bayern München sogar schon elf Punkte Vorsprung auf den ersten Verfolger.
Wir haben die Top-5-Meisterkandidaten vor dem Rückrundenstart etwas genauer unter die Lupe genommen und natürlich auch eine Titelprognose abgegeben.
Herbstmeister ist RB Leipzig schon, doch natürlich wollen die «Roten Bullen» elf Jahre (!) nach der Klubgründung in der fünften Liga den richtigen Meistertitel holen. Die Chancen stehen gut: Trotz eines kleines Durchhängers im Oktober besticht das Team von Julian Nagelsmann durch seine Konstanz – in der Defensive wie in der Offensive.
Zusammen mit Gladbach hat Leipzig die meisten Siege (11) der Vorrunde geholt, die meisten Tore (48) geschossen und mit 20 Treffern nach Gladbach und Wolfsburg (beide 18) die wenigsten kassiert. So tönte es wie eine Drohung, als Timo Werner nach der Hinrunde sagte: «Viele Mannschaften wissen noch gar nicht, was in uns steckt. Wir können noch viel mehr. Wenn wir das zeigen, können wir da, wo wir jetzt stehen, vielleicht auch am Ende stehen.»
Neben Werner fehlen vielleicht die grossen Namen, dennoch ist RB gut und breit aufgestellt. Vorne wirbeln neben Werner Patrik Schick und Yussuf Poulsen. Im Mittelfeld sorgen Marcel Sabitzer, Emil Forsberg für viel Zug auf den Aussenbahnen, in der Mitte rackern sich Christopher Nkunku und Konrad Laimer ab, in der Defensive ist Dayot Upamecano für die verletzten Willi Orban und Ibrahima Konaté als Abwehrchef eingesprungen.
Den wohl grössten Anteil am Erfolg hat aber Trainer Nagelsmann ab. Taktisch macht ihm so schnell keiner etwas vor und auch sonst hat er seine junge Truppe voll im Griff. Der 32-Jährige versteht es, in seinem Team die Spannung hochzuhalten. Wie er der «Bild»-Zeitung erzählte, erfahren seine Spieler die Aufstellung erst im Stadion in der Kabine, schliesslich gebe es gerade bei jüngeren Spielern die Gefahr, «dass sie abends etwas länger Fernsehen gucken, weil sie denken: ‹Ach, ich spiele sowieso nicht›» – ein Effekt, auf den er verzichten möchte.
Auch die Ansprachen vor dem Spiel sind anders als bei vielen Trainern. Während es die Aufstellung erst dort gibt, wird der Matchplan bereits zwei Tage vorher besprochen. So wisse jeder Akteur, was er im Fall einer Aufstellung zu tun habe. «Die Spieler kennen die Spielidee, die haben Bilder in der Kabine, wo der Plan drauf ist, die haben animiert auf dem Handy, was sie machen sollen», erklärt er. So bleiben meistens nur «ein paar emotionale Worte», mit denen er seine Jungs dann anschliessend auf den Platz schickt.
🗣 Julian #Nagelsmann: „Ich bin mit der Vorbereitung sehr zufrieden. Wir haben viele Spiele aus der Hinrunde analysieren können und einige Themen durchgekriegt. Die Jungs haben voll mitgezogen. Wir hatten gute Trainingseinheiten mit viel Power, Elan und guter Stimmung!“#RBLFCU pic.twitter.com/3JMg5zlr3y
— RB Leipzig (@DieRotenBullen) January 16, 2020
Viele Experten sehen Leipzig längst als Titelkandidaten Nummer 1. Nagelsmann will davon aber nichts wissen und versucht die Erwartungen zu dämpfen. «Aktuell sind wir noch nicht gut genug, um Meister zu werden», betont er vor dem Rückrundenstart bei jeder Gelegenheit. «Wir müssen uns entwickeln.»
Nagelsmann rechnet vor, dass es für den Meistertitel doppelt so viele Punkte braucht, wie RB bereits auf dem Konto hat. «Plus vielleicht ein oder zwei Siege mehr.» Diese müssten die Leipziger gegen die direkten Titelkonkurrenten einfahren. Gegen Dortmund und Bayern spielte man nur Unentschieden, gegen Schalke kassierte man eine der zwei Niederlagen.
Auf einem neuen Trainer basiert auch der überraschende zweite Platz von Borussia Mönchengladbach. Pressing, Gegenpressing, Dynamik, Intensität, Selbstvertrauen – auf diesen Pfeilern basiert das System von Marco Rose. Schon bei Salzburg leistete der 43-jährige Deutsche tolle Arbeit und auch in Gladbach fruchtet seine Fussball-Philosophie.
Zu den Teamstützen gehören mit Yann Sommer, Nico Elvedi, Denis Zakaria und Breel Embolo gleich vier Schweizer. Vor allem Stürmer Embolo hat sich bei den «Fohlen» prächtig entwickelt. Zwar hat Gladbach mit Marcus Thuram und Alassane Plea zwei weitere Mittelstürmer im Kader, die drei ergänzen sich aber prächtig.
Auch auf den anderen Positionen ist der Kader breit besetzt, doch in Gladbach könnte das ein Problem werden. Die Borussia ist von Verletzungen bislang mehrheitlich verschont geblieben und der einzige Meisterkandidat, der nur noch auf einer Hochzeit tanzt. Das spart zwar Kräfte, könnte aber auch zu Frustration bei den Ersatzspielern führen.
Zunächst kann Gladbach aber ohne Druck antreten, keiner erwartet, dass die «Fohlen» erstmals seit 1977 den Titel holen. Die Ambitionen sind trotzdem hoch: «Wir sind im Moment oben dabei. Und wenn man einmal oben ist, möchte man oben bleiben», sagt Yann Sommer. «Dafür werden wir hart arbeiten, gehen das mit viel Mut und Motivation an. Wir wollen so nahe wie möglich an die Perfektion, was unser Spiel anbelangt. Das ist unser grosses Ziel.»
Nach einer so schwachen Vorrunde wie lange nicht mehr droht Bayern Münchens Titelserie nach sieben Meisterschaften in Serie zu reissen. Schon vier Niederlagen musste der deutsche Rekordmeister hinnehmen, auch die 22 Gegentore sind ein Negativrekord in den letzten 10 Jahren.
Unter Kovac-Nachfolger Hansi Flick fanden die Bayern zwar wieder zu attraktiverem Fussball mit offensiver Power, hohem Pressing und mehr Tempo zurück, doch der Haussegen hängt dennoch ziemlich schief. Trainer Flick ist sich mit Sportchef Hasan Salihamidzic in die Haare geraten, weil dieser keine Neuzugänge verpflichten will. Ausserdem hat die Transfer-Ankündigung von Torhüter Alexander Nübel für viel Aufregung gesorgt.
Dennoch ist Flick vom achten Meistertitel in Serie überzeugt: «Meine Mannschaft hat den Willen, das Ganze wieder umzubiegen und am Ende der Saison vorne zu stehen. Es wird eine schwierige Aufgabe, aber wir haben die Qualität dazu.»
Vieles wird von der Fitness und Gesundheit des Bayern-Kaders abhängen. Um Leipzig im Titelkampf in Bedrängnis bringen zu können, müssen die angeschlagenen Robert Lewandowski und Serge Gnabry so auftreten wie in der Vorrunde, müssen Lucas Hernandez und Javi Martinez endlich verletzungsfrei bleiben, müssen Niklas Süle und Kingsley Coman bald zurückkommen, müssen die Youngster Alphonso Davies und Joshua Zirkzee weiterhin überzeugen, muss Neuzugang Philippe Coutinho nicht nur ab und zu, sondern in allen Spielen brillieren.
⚽ @SergeGnabry ist zurück im Mannschaftstraining!
— FC Bayern München (@FCBayern) January 16, 2020
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Ein bisschen gar viel «müssen» ... Bei einer Umfrage der Nachrichtenagentur DPA glaubten prompt nur 5 von 18 Bundesliga-Trainern oder -Sportchefs, dass die Bayern zum achten Mal in Folge den Titel holen. Dafür sind die Bayern bei den Buchmachern trotz vier Punkten Rückstand auf Leipzig nach wie vor Meisterkandidat Nummer 1.
Als einziger Meisteranwärter hat Borussia Dortmund einen namhaften Winter-Transfer getätigt. Mit dem 20-Millionen-Schnäppchen Erling Braut Haaland hat der BVB das nachgeholt, was man im Sommer verpasst hatte: eine Alternative zu Paco Alcacer im Sturmzentrum zu verpflichten.
Auf den Schultern des 19-jährigen Norwegers lasten nun die Meister-Hoffnungen der BVB-Fans. Doch es ist gut möglich, dass der «Brecher mit dem Babyface» («Zeit») nicht sofort einschlagen wird. Haaland kämpfte zuletzt mit Knieproblemen und benötigte schon bei RB Salzburg eine gewisse Anlaufzeit.
Den BVB auf Haaland zu reduzieren wäre auch falsch. Mit Marco Reus, Jadon Sancho, Thorgan Hazard, Julian Brandt und Alcacer (falls er bleibt) ist genügend Offensiv-Power vorhanden. Immer wieder fehlte den Dortmundern aber die Harmonie, die mannschaftliche Geschlossenheit. Erst nachdem Favre von seinem bevorzugten 4-2-3-1 auf ein 3-4-3 umgestellt hatte, lief's ein bisschen besser.
In der Winterpause hatte der Romand nun endlich genügend Zeit, an den zahlreichen Baustellen zu feilen. «Wir wollen in der Rückrunde mehr Punkte holen als in der Hinrunde und dazu müssen wir einfach besser sein», erklärte Favre vor dem Rückrunden-Auftakt gegen Augsburg.
Ob auch Schalke im Titelrennen ein Wörtchen mitreden kann, wird vor allem vom ersten Spiel der Rückrunde abhängen. Verlieren die «Königsblauen» zuhause gegen Gladbach, ist der Meisterzug wohl abgefahren. Mit einem Sieg wäre man dagegen weiterhin in der Spitzengruppe dabei, danach geht es zu den Bayern ...
Unter Trainer David Wagner hat Schalke eine beeindruckend konstante Vorrunde hingelegt, Spieler wie Amine Harit, Ozan Kabak, Omar Mascarell, Suat Serdar oder Benito Raman blühten unter dem Kumpel von Jürgen Klopp endlich auf. Mit dem 19-jährigen Innenverteidiger Jean-Clair Todibo vom FC Barcelona haben die Schalker ein weiteres junges Top-Talent verpflichten können.
Zum grossen Problem könnte die Torhüterfrage werden: Die Nummer 1 Alex Nübel hat bereits in der Winterpause seinen Wechsel zu Bayern München bekannt gegeben, ausserdem muss er wegen einer Rotsperre noch vier Spieltage pausieren. Mindestens so lange wird ihn Markus Schubert ersetzen. Und dann? Das ist die grosse Frage.
#Wagner: Es geht darum, die Truppe zu supporten. Das war ein Hauptgrund, warum wir in der Hinrunde erfolgreich waren. Alex #Nübel ist weiterhin ein fester Bestandteil der Truppe und wird alles geben, dass wir gemeinsam erfolgreich sind.#S04 | 🔵⚪️ | #S04BMG pic.twitter.com/JKNm5Wp4td
— FC Schalke 04 (@s04) January 16, 2020
Vorsichtshalber hat Wagner Nübel schon mal als Captain abgesetzt. Auch er sieht die Homogenität der Mannschaft, die in der Hinrunde in erster Linie aufgrund ihrer grossen Geschlossenheit zu überzeugen konnte, in Gefahr. Dennoch bleibt er positiv: «Wir wollen natürlich da weitermachen, wo wir in der Hinrunde aufgehört haben», erklärte Wagner vor dem Duell gegen Gladbach. «Wir wollen die Lust auf dieses Spiel wieder auf dem Platz zeigen.»
(mit Material der Nachrichten-Agentur Keystone-SDA)
Hoffe aber auf die wahre Borussia. Heute könnte ein erster Schritt in diese Richtung gemacht werden.
Bayern: 59%
Leipzig: 36%
Dortmund: 3%
Gladbach: 2%
Alle anderen >1% wobei Leverkusen noch höher als Schalke gewertet wird.