In Italien ist man überzeugt: Er ist der Auserwählte. In den letzten Dekaden wurden zwar massenweise junge Spieler als «neue Pirlos», «neue Del Pieros» oder «neue Tottis» geboren. Doch beim 19-jährigen Nicolò Zaniolo ist man sich sicher: Der wird es. Nicht primär wegen seiner stupenden Technik, sondern eher wegen des unbändigen Willens, der Spiellust, seiner Leidenschaft und seiner einzigartigen Fähigkeit, das Spiel zu lesen und an sich zu reissen. Zaniolo verkörpert mehr. Es ist diese Magie der alten Schule, welche die Italiener schwärmen lässt.
Es ist der 3. September 2018. Italiens «Commissario Tecnico» Roberto Mancini sorgt für Aufsehen, indem er für die Nations-League-Spiele einen absoluten Nobody aufbietet. Es ist eben dieser Nicolò Zaniolo. Ein junger Mann mit 261 Minuten Erfahrung in der Serie B. Noch ohne Profispiel für seinen neuen Verein AS Roma.
In Italien wird Nicolò Zaniolo damit erstmals der breiten Öffentlichkeit ein Begriff. Auch wenn sich die Augen (der Medien) vorerst auf die Mutter des Teenagers richten. Mamma Francesca Costa hat es mit ihrem Instagram-Profil den italienischen (Boulevard-) Journalisten angetan. Zumindest haben meine ersten Recherchen zum Supertalent folgende Suchergebnisse hervorgebracht:
Weil der Filius von Francesca Costa aber eine unglaubliche Entwicklung erlebte, hat er sich die Schlagzeilen zurückgeholt. Der Teenager begeistert derzeit ganz Fussball-Italien.
Jun | ✍️ | Signs for Roma
— AS Roma English (@ASRomaEN) 19. September 2018
July | 🎈 | He turns 19
Aug | 🥈 | Italy U19s reach Euro final
Sep | 🇮🇹 | First senior Italy call-up
Now | 🐺 | Makes debut v. Real Madrid
What a couple of months it has been for Nicolo Zaniolo! 💪 #ASRoma #UCL pic.twitter.com/q6jB0dGuSw
Am 19. September debütierte Nicolò Zaniolo für die AS Roma. Nicht in der Serie A, sondern in der Champions League. Der 19-Jährige wurde ins kalte Wasser geworfen, stand im Santiago Bernabeu gegen Real Madrid in der Startelf. Nach 54 Minuten wurde Zaniolo beim Stand von 0:1 ausgewechselt. Am Ende sollte die AS Roma das Spiel mit 0:3 verlieren. Und dennoch könnte dieser 19. September im «Calcio» noch länger in Erinnerung bleiben. Als der Tag, an dem Nicolò Zaniolo sein Debüt auf höchstem Niveau gab.
Nicolò Zaniolo erlebte also die absurde Situation, dass er für die Nationalmannschaft aufgeboten wurde und in der Champions League gegen Real Madrid spielte, bevor er überhaupt eine einzige Minute in der Serie A im Einsatz stand. Doch auch das sollte sich schnell ändern.
Zaniolo hat sich innert kürzester Zeit als Stammspieler etabliert, spielte die letzten neun Liga-Partien von Beginn an und glänzte in den letzten fünf Partien mit drei Toren und zwei Assists.
Nicolò Zaniolo hat sich innert kürzester Zeit einen Namen gemacht. Real Madrid hat ihn bereits auf dem Einkaufszettel. Der FC Arsenal ebenfalls. Und Juventus sowieso.
Italiens Fussball steht kurz vor seiner Renaissance. Einige Talente haben den Durchbruch geschafft oder stehen kurz davor. Nationaltrainer Mancini wagt sich, den Jungen eine Chance zu geben und so den längst verpassten Umbruch doch noch zu vollziehen. Was Italien aber noch braucht, um international wieder konkurrenzfähig zu sein, ist ein Mann mit dem gewissen Etwas. Einer, der den Unterschied ausmacht. Sowas wie ein neuer Andrea Pirlo.
Nicolò Zaniolo ist kein neuer Pirlo. Zwar ist der 19-jährige ebenfalls Spielmacher, allerdings von einer anderen Sorte. Während sich Pirlo die Bälle als 6er gerne vor der eigenen Abwehrreihe abgeholt und von dort das Spiel orchestriert hat, macht das Zaniolo am liebsten aus einer offensiven Rolle heraus. Als moderner «Trequartista», wie die Position des offensiven Spielmachers auf der 10er-Position in Italien genannt wird. Eine Position irgendwo zwischen Stürmer und Mittelfeldspieler. Man mag sie auch als hängende Spitze bezeichnen. Hauptsache irgendwo in den Lücken zwischen der gegnerischen Abwehr- und Mittelfeldlinie.
Assurdo... 👀#Zaniolo
— Luca Fioretti (@LucaFioretti13) 19. Januar 2019
pic.twitter.com/TFzKkM9B3c
Was genau Zaniolo auszeichnet, ist schwierig zu erklären. Wenn er auf dem Platz steht, spürt man seine Anwesenheit. Und zwar nicht nur der Taktikfreak, selbst ein Fussball-Banause erkennt, dass dieser Teenager das Spiel einfach ein gutes Stückchen besser kann als die anderen.
Zaniolo ist für einen Spielmacher sehr robust, weiss seine 1,89 Meter Körpergrösse richtig einzusetzen. Er ist trotzdem flink, seine Übersicht ist überragend. Zaniolo erfasst Spielsituationen blitzschnell und er hat die beängstigende Fähigkeit, praktisch immer richtige Entscheidungen zu treffen.
Dass Nicolò Zaniolo überhaupt das Roma-Trikot trägt, das verdankt er vor allem der Unfähigkeit von Inter Mailand. Die «Nerrazzurri» schoben das Talent im Sommer zusammen mit Davide Santon und 24 Millionen Euro nach Rom, um sich im Gegenzug die Dienste des Belgischen «Enfant Terrible» Radja Nainggolan zu sichern.
Dabei war Zaniolo der Spieler, welcher in der Inter-Jugend sportlich für die Schlagzeilen sorgte. In der U19 war er Chef im Mittelfeld und führte die Mannschaft zum Gewinn der italienischen Junioren-Meisterschaft, dem Triumph in der Supercoppa und dem Gewinn des Viareggio Cup. Zaniolo, der am 2. Juli 1999 in der toskanischen 70'000-Einwohner-Stadt Massa geboren wurde, hat seine fussballerischen Wurzeln in der Jugend der Fiorentina. 2016 ging es zum Zweitligisten Virtus Entella, wo er mit 16 Jahren in der Serie B debütierte und von dort für 1,8 Millionen Euro in den Nachwuchs von Inter Mailand.
Zaniolo hat das Toreschiessen im Blut. Sein Vater Igor war ebenfalls Profi. Ein klassischer Mittelstürmer, der in der Serie B praktisch jährlich von Klubs wie Cosenza, Ternara und Salernitana hin- und herpendelte. In 120 Spielen brachte er es immerhin auf 26 Tore.
Im Gegensatz zu seiner Mutter hält sich Nicolò in den sozialen Medien zurück. Auf Instagram stellt er keine privaten Fotos, man sieht ihn bloss beim Fussballspielen. Vor etwas über einem Jahr hat er sein erstes Foto hochgeladen. Es zeigt ihn im Trikot der italienischen Nationalmannschaft sein Kommentar dazu: «I love this game.» Was aber noch viel wichtiger ist: Das Spiel liebt ihn.