Niccolò Ghedini ist einer der bekanntesten und vermutlich einer der besten Anwälte Italiens. Jahrelang hat er den Medienmogul und Ex-Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi vor dem Schlimmsten bewahrt. Jetzt soll er den noch Berlusconi-eigenen Fussballklub AC Milan vor Nachstellungen der Justiz schützen, damit der geplante Verkauf des hochverschuldeten Vereins an einen chinesischen Investor nicht in letzter Minute platzt.
Kaum hatte die Staatsanwaltschaft von Neapel kundgetan, dass sie ein Verfahren wegen diverser Steuer- und Wirtschaftsdelikte unter anderem gegen den AC Milan-Chef Adriano Galliani einleiten werde, feuerte Ghedini seine bekannten Breitseiten ab: Alles, was die Justiz da vorbringe, sei «absolut marginal», «unbegründet» und steuer-, wie strafrechtlich dürftig. Mehr als die baldige Einstellung des Verfahrens sei nicht zu erwarten.
Doch da könnte er sich täuschen. Was die Staatsanwälte in Italiens Südmetropole in langen akribischen Untersuchungen zusammengetragen haben, deutet einen neuen Skandal in Italiens Fussballwelt an, der weit über die Vereinsgrenzen von Milan hinausreicht – betroffen sind nämlich gleich 35 Vereine der italienischen Top-Ligen. Vorsätzlich und mit ausgeklügelten Methoden, so der Vorwurf, sei in den Vereinen zwischen 2009 und 2013 eine «betrügerische Architektur» gezimmert worden, um Steuern zu hinterziehen.
Einkünfte von Spielern und Vermittlern seien so umfrisiert worden, behaupten die Fahnder, dass die Zahlungsempfänger diese Gelder steuerfrei bekamen und die Vereine die Zahlungen sogar noch als Ausgaben von der Steuer absetzen konnten. Enorm kompliziert, aber, solange der Trick klappt und nicht auffliegt, lukrativ für alle Beteiligten.
Deshalb waren ja offenbar viele mit von der Partie, darunter sehr bekannte Figuren des italienischen Fussballs: Etwa der Ex-Präsident von Juventus Turin, Jean-Claude Blanc, die Präsidenten von Lazio Rom, Claudio Lotito, und dem SSC Neapel, Filmproduzent Aurelio De Laurentiis, ein Neffe der Hollywood-Grösse Dino De Laurentiis.
Im Kreis der Betroffenen sind viele Spielervermittler, manche aus früheren Skandalen bereits bekannt. Und auch bei den Spielern, gegen die die Justiz ermittelt, finden sich klingende Namen, etwa der aktuell von Milan an Atalanta ausgeliehene Nationalspieler Gabriel Paletta, der Milan-Mittelfeldspieler Antonio Nocerino und der inzwischen nach Paris weitergewanderte Ex-Neapel-Profi Ezequiel Lavezzi. Sogar ausgemusterte Altstars tauchen plötzlich wieder auf, wie Hernan Crespo und Adrian Mutu – wenn auch nicht in der Mannschaftsaufstellung, sondern in den Dokumenten der «Operation Abseits», wie die Staatsanwälte ihre Aktion tauften.
Die war eher zufällig zustande gekommen, nachdem in die Häuser einiger Neapel-Spieler eingebrochen worden war. Weil sie annahmen, die Mafia habe die Finger im Spiel, hörten die Fahnder grossflächig Telefongespräche ab. Und da staunten sie auf einmal, als der aus Argentinien stammende Neapel-Fussballer Lavezzi mit seinem Manager über ein Konto in der Schweiz redete, das er zugunsten seines ebenso aus Argentinien kommenden Mannschaftskollegen Chavez eröffnet hatte.
Der Manager sagte, dieses Konto sei jetzt geschlossen, ein anderes werde eröffnet. So erwachte die Neugier der Behörden. Die recherchierten fleissig weiter, und mit Beschlagnahmeverfügungen über zwölf Millionen Euro und etlichen Durchsuchungsbefehlen läuteten sie am Dienstag dieser Woche die erste Runde im ersten Fussballskandal 2016 ein.
Dabei ist der Vorläufer aus dem Jahr 2015 noch lange nicht aufgearbeitet. Im Mai erst hatten die Behörden 50 Menschen vorübergehend festgenommen, die sich zum gemeinsamen Sportwetten-Betrug zusammengetan haben sollen. Dutzende Spiele in der dritten und vierten Liga sollen manipuliert worden sein, etwa 30 Klubs waren darin verwickelt, Trainer, Klubpräsidenten und die Mafia. Seit Jahren geben italienische Fussballvereine mehr Geld aus, als sie haben. Nicht alle natürlich, aber zu viele.
Und dann versuchen sie, sich trickreich aber kriminell aus dem Sumpf zu ziehen. Fast immer geht das am Ende schief. Auch wenn die Schummelfantasie mitunter geniale Züge trägt: So lief wohl eine ganze Weile ein Gegenseitigkeitsgeschäft von Vereinen, das allen Beteiligten Vorteile brachte, ohne zunächst jemandem zu schaden.
Wenn der klamme Verein A einen Spieler zum doppelten Marktwert an den genauso verschuldeten Verein B verkauft, und B verkauft im Gegenzug einen überflüssigen und genauso überteuerten Kicker an den Verein A, dann müssen beide per Saldo nichts bezahlen. Beide haben aber, welche Überraschung, plötzlich einen teuren Spieler im Kader. Der bessert die Bilanz auf, sodass man bei der Bank oder bei wem auch immer einen höheren Kredit bekommt.
Zeitweise hätten, so erzählt es ein Staatsanwalt aus Turin, manche Klubs gleich mehrere teure Spieler im Kader gehabt, an deren tatsächlichen Einsatz auf dem Platz niemand je gedacht hatte. Aus Sicht der Vereine ein genialer Schachzug. Aber am Ende macht diese Genialität den Fussball kaputt.