Was war die Philosophie von Ralph Krueger, dem Nationaltrainer, der uns zwischen 1997 und 2010 in die Weltklasse zurückgeführt hat? Systemtreue, Disziplin und Teamgeist sind wichtiger als pures Talent. Unter Ralph Krueger diente auch Patrick Fischer. Logisch also, dass er als «Zauberlehrling» etwas vom grossen Zauberer Ralph Krueger gelernt hat.
Wenn es nur um pures Talent ginge, dann gehören Luca Fazzini, Tanner Richard, Gregory Hofmann, Damien Brunner und Joël Genazzi zwingend ins Olympiaaufgebot. Fazzini, Richard und Hofmann belegen die Ränge zwei, drei und vier der Schweizer in der Liga-Skorerliste. Genazzi ist sogar der produktivste Verteidiger der Liga. Er und Richard haben sich zudem bei der letzten WM in Paris bewährt. Auch Brunner müsste so gesehen eigentlich im Aufgebot stehen. Er ist der einzige Stürmer, der sich in seinen besten Zeiten in der NHL durchgesetzt hat. Diese Zeiten sind zwar vorbei. Aber er ist ein schlauer Skorer, der auch dann aus jeder Situation heraus ein Tor erzielen kann, wenn er nicht in Hochform ist.
Der Verzicht auf die besten, kreativsten Offensivspieler ist nicht ohne Risiko. Zu den Schwächen der Schweizer gehörten im Laufe dieser Saison das Powerplay und die offensive Durchschlagskraft. Die bange Frage ist nach diesem Aufgebot: Wer schiesst für uns die Tore?
Aber aus Erfahrung wissen wir, dass defensive Verlässlichkeit und Systemtreue eine Mannschaft in einem internationalen Turnier weiter zu tragen vermögen als Offensivspektakel. Nach diesem Grundsatz hat Ralph Krueger jahrelang Mannschaften für Weltmeisterschaften und olympische Turniere zusammengestellt und manche Polemik durch den Verzicht auf begabte Offensivspieler provoziert.
Diese Philosophie von Ralph Krueger zieht sich wie ein roter Faden durch das Aufgebot. Wildes «Pausenplatz-Hockey» wie bei der ersten WM unter Patrick Fischer im Frühjahr 2016 in Moskau ist nicht zu befürchten.
Ein Aufgebot weicht allerdings von dieser Linie ab. Enzo Corvi ist zwar spielerisch begabt. Aber ein defensiver «Lottercenter» mit Minus-Bilanz. Er figuriert im Olympia-Aufgebot. Aber der robuste, raue Mittelstürmer Tanner Richard nicht. Obwohl Servettes Topskorer in Genf die zweitbeste Plus/Minus-Bilanz hat und bei der letzten WM in Paris unser zweitbester Bully-Spieler war. Der überraschende Verzicht auf Tanner Richard provoziert das erste Fragezeichen.
Wie einst Ralph Krueger lässt sich auch sein Zauberlehrling Patrick Fischer ein wenig von nostalgischen Gefühlen leiten. Anders ist die Nomination von Verteidiger Félicien Du Bois nicht erklärbar. Er ist ausser Form (in Davos mit Minus-Bilanz), nicht hundertprozentig fit und inzwischen für internationales Niveau zu langsam. Es wäre ein Wunder, wenn er das olympische Turnier durchsteht. Aber er hat sich halt bei insgesamt sechs Weltmeisterschaften schon unter Ralph Krueger und Sean Simpson bewährt. Sein Aufgebot und der Verzicht auf Joël Genazzi ist eine Überraschung und provoziert ein zweites Fragezeichen.
Im Falle eines Scheiterns muss Patrick Fischer seine ganze Kommunikationskunst mobilisieren, um zu erklären, warum er auf Tanner Richard und Joël Genazzi verzichtet und auf Enzo Corvi und Félicien Du Bois gesetzt hat.
Im Aufgebot stehen zahlreiche Spieler (Fabrice Herzog, Denis Hollenstein, Vincent Praplan), die in diesen Tagen nicht ihr bestes Hockey zelebrieren. Noch kein Grund zur Sorge. Alle drei haben sich bei internationalen Titelturnieren in der Vergangenheit bestens bewährt. Eine klare Formsteigerung bei der grossen Herausforderung Olympia darf erwartet werden.
Alles in allem ist es eine Mannschaft, die sich eine Medaille zum Ziel setzen kann, ja setzen muss. Die Abwesenheit der NHL-Stars wirkt sich bei unserer Konkurrenz stärker aus. Es ist eine Jahrhundertchance für die dritte olympische Medaille nach 1928 (Bronze) und 1948 (Bronze).
Eines lässt sich bereits jetzt sagen: Details werden die Differenz machen. Zu diesen Details gehören das Coaching und die Torhüterleistung. Das Aufgebot von Leonardo Genoni, Jonas Hiller und Tobias Stephan ist logisch und richtig – und doch für Patrick Fischer heikel. Es wird fast alles davon abhängen, ob er für die einzelnen Partien den richtigen Torhüter nominiert. Leonardo Genoni ist noch nicht in Form, Jonas Hiller war bei den letzten Einsätzen (WM Paris, Karjala Cup) ein Lottergoalie und Tobias Stephan hat noch nie etwas gewonnen.
Für die richtige Torhüterwahl braucht unser nationaler Hockey-Bandengeneral ganz einfach ein wenig Glück. Schon der grosse Napoléon, der etwas von dieser Sache verstand, pflegte zu sagen, er brauche nicht nur tüchtige Generäle. Er brauche vor allem Generäle mit Fortune.