HCD-Trainer Christian Wohlwend hat die Formation schon im Kopf: «Joe wird als Center eine Linie mit Hischier und Paulshaj führen.» Den nominell ersten HCD-Sturm im nächsten Spiel gegen die Rapperswil-Jona Lakers bilden also Joe Thornton (41), Luca Hischier (25), der ältere Bruder von NHL-Star Nico Hischier (21), und der Amerikaner Aaron Palushaj (31). Diese 97-jährige Angriffsformation könnte am Samstag im Heimspiel gegen die Lakers nach den zwei Auftakt-Niederlagen in Genf (2:5) und Lausanne (3:4) unter Umständen den Weg zum ersten Saisonsieg ein wenig ebnen.
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— Hockey Club Davos (@HCDavos_off) October 15, 2020
«Wir haben für diese Saison einen Investitionsstopp» sagt HCD-Präsident Gaudenz Domenig. Wie ist es dann möglich, eine NHL-Legende in die Mannschaft einzubauen? «Für Joe sind die Einsätze mit uns ein Teil der Vorbereitung auf die NHL-Saison» erzählt Sportdirektor Raëto Raffainer. «Wir haben ihm erklärt, dass bei uns ein Investitionsstopp gilt und er hat uns gesagt, das sei kein Problem. Wichtig sei, dass der HCD diese schwierige Zeit überlebe und es sei okay, wenn wir ihm die Spesen im nächsten oder übernächsten Jahr bezahlen. Einfach dann, wenn es möglich sei. Sein Gastspiel belastet unsere Jahresrechnung nicht.»
Vorerst sei Joe Thornton im Versicherungspool der Mannschaft integriert. Erst wenn er einen neuen NHL-Vertrag habe, werde eine zusätzliche Versicherung notwendig. Toronto und San José bemühen sich um die Dienste des Mittelstürmers. Es geht um einen Einjahresvertrag zwischen einer und drei Millionen. Wann die NHL-Saison beginnen wird, ist nach wie vor offen. Zurzeit gilt der 1. Januar als mögliches Datum für den Saisonstart. In diesem Falle würde Joe Thornton den HCD Anfang Dezember verlassen. Und wenn es keine NHL-Saison geben sollte, dann bleibt er so lange beim HCD wie bei uns gespielt wird.
Anders als beim ersten Gastspiel vor 16 Jahren beansprucht Joe Thornton jetzt kein Salär. Damals kostete er den HCD für eine ganze Saison 250'000 Franken netto. Nun sind es bloss Spesen, und die dürften sich in überschaubaren Grenzen halten. Gaudenz Domenig sagt: «Wir stellen ihm ein Auto zur Verfügung und werden allfällige Bussen für Geschwindigkeitsübertretungen bezahlen …» Joe Thornton kann es sich leisten, gegenüber dem HCD grosszügig zu sein. Bisher hat er im Laufe seiner Karriere seit 1997 brutto 111,67 Millionen Dollar eingespielt.
Diese Geschichte vom Superstar zum Nulltarif ist glaubhaft, weil es zwischen Joe Thornton und dem HCD eine ganz besondere Beziehung gibt. Als der Spielbetrieb in der NHL eine ganze Saison ruhte (2004/05), kam er zum HCD und lernte hier seine Frau kennen. Seither reist er Jahr für Jahr im Sommer nach Davos (er hat im Dorf eine Wohnung gekauft). Er hat inzwischen auch den Schweizer Pass. Er belastet also das HCD-Ausländerkontingent nicht. Sein Sohn River stürmt bereits bei den U9-Junioren in einer Linie mit Lino Du Bois und Tim Wohlwend, den Söhnen von Verteidiger Félicien Du Bois und HCD-Trainer Christian Wohlwend. Gut möglich, dass diese Formation dereinst in den 2030er Jahren unsere Liga dominieren wird.
Die Frage ist natürlich: Wie gut ist Joe Thornton? Eigentlich ist diese Frage beinahe eine Beleidigung. Während des NHL-Lockouts (2004/05) dominierte er unsere Liga. Erst mit 10 Toren und 44 Assists in den 40 Partien der Qualifikation und dann in den Playoffs mit sagenhaften 25 Punkten in 14 Spielen (4 Tore, 21 Assists). Der HCD stürmte mit zwei weiteren NHL-Stars (Rick Nash und Niklas Hagman) zum Titelgewinn. Diese herrlichen Zeiten sind vorbei. Damals war Joe Thornton 25 und in der anschliessenden NHL-Saison kam er in 81 Partien auf 125 Punkte, wurde NHL-Topskorer und war einer der besten Stürmer der Welt. Inzwischen ist er 41 geworden und letzte Saison reichte es in 70 NHL-Spielen noch zu 31 Punkten.
Aber Joe Thorntons Wert für den HCD lässt sich nicht in Statistiken messen. Der freundliche Riese (193 cm/100 kg) ist nach wie vor einer der charismatischsten Spieler, die je das HCD-Dress übergestreift haben. Trainer Christian Wohlwend erzählt: «Joe ist topfit. Keiner arbeitet so hart wie er. Nach den Trainings geht er zusätzlich mit unserem Skills Coach aufs Eis, schiebt Extra-Schichten im Kraftraum und er ist auch mit dem Rennvelo unterwegs.» Einer wie Joe Thornton elektrisiert mit seiner Präsenz nach wie vor jede Mannschaft. Der Motivationsschub beim HCD dürfte also erheblich sein. Angewöhnungszeit braucht der eingebürgerte Kanadier sowieso keine. Seit seiner Ankunft Anfang August trainiert er mit dem HCD.