Eine Szene unten im «Bärengraben», im Vorhof der Kabinen, sagt uns wie dieser überraschende 3:2-Sieg der Zürcher einzuordnen ist. Ein Reporter eines Lokalradios stellt verwundert fest, dass er Sven Leuenberger keine euphorischen Aussagen entlocken kann. Der ZSC-Sportchef hat schon viel zu viel erlebt. Deshalb mag er auch nicht von einem «besseren Spiel» seiner Mannschaft reden. Er sagt lediglich: «Wir haben dieses Spiel gewonnen. Das ist alles was zählt.»
Es gibt diese Allerweltsfloskel, eine Mannschaft habe besser gespielt und doch verloren. Das ist natürlich barer Unsinn. Der Zweck des Spiels ist ja der Sieg und wer siegt, ist immer besser. Und doch trifft die Aussage vom besseren Spiel trotz Niederlage manchmal zu. Beispielsweise bei diesem 3:2 der ZSC Lions in Bern. Es war ein «Zufallssieg» gegen einen besseren Gegner. Wenn wir diese Partie zehnmal wiederholen, dann gewinnt zehnmal der SCB.
Warum Zufall? Weil Leonardo Genoni für einmal ein Lottergoalie war. Zuerst hat er zwei Direktduelle gegen Fredrik Pettersson verloren. Zweimal läuft der bissige ZSC-Zauberschwede alleine auf ihn zu und versenkt die Scheibe. Zum 1:1 und zum 1:2.
Nun trifft den Torhüter keine Schuld, wenn er so allein gelassen wird. Aber grosse, charismatische Goalies gewinnen sehr oft dieses einsame Duell Mann gegen Mann. Dass Leonardo Genoni zweimal vom gleichen Stürmer überlistet wird, ist ungewöhnlich und wer wollte, der konnte darin bereits ein Zeichen des heraufziehenden Unheils erkennen. Und tatsächlich rutschte dem mehrfachen Meistergoalie im letzten Drittel bei numerischer Überlegenheit seiner Mannschaft (!) die Scheibe zum Siegestreffer ins Netz. Eines der fatalsten Tore, das er in Bern kassiert hat.
Selbst der grosse, mächtige SCB ist nur so gut wie sein Torhüter. Aber Eishockey ist ein Mannschaftsport. Eine so gut geölte und justierte Hockeymaschine wie der SCB sollte eigentlich dazu in der Lage sein, in einem Spiel vor eigenem Publikum – dem grössten Europas – mehr als zwei Treffer zu produzieren. Es wäre also polemisch und billig, Leonardo Genoni die Schuld für diese Niederlage in die Schoner zu schieben.
Die Niederlage hat noch einen anderen Grund. Die Berner spielen nach wie vor kein Playoff-Hockey. Im Viertelfinal hatten sie Servettes Operettenteam eliminiert und nun sassen sie gegen die ZSC Lions immer noch im Hockey-Opernhaus. Aber es wurde nicht mehr Operettenhockey gespielt. Um beim Musik-Vergleich zu bleiben: Statt in der Hockey-Oper musste der Meister bei einem Hockey-Hardrock-Konzert auftreten. Und alle taten so, als seien sie noch immer in der Oper.
Die Berner sind spielerisch klar besser. Sie laufen schneller – was bei Bernern an und für sich bemerkenswert ist – und sie lassen die Scheibe schneller laufen. Wer mit dem Bären offen tanzt, ist verloren.
Wer aber dem Bären auf den Füssen herumsteht wie die ZSC Lions, wer ihm keinen Raum lässt, um sich im Walzertakt zu drehen, wer die Räume eng macht, hat eine gute Chance.
Hockeytechnisch erklärt: der SCB ist nur mit bissiger, hartnäckiger Störarbeit (Fachsprache: Forechecking) zu besiegen. Die Verteidiger schon beim Spielaufbau unter Druck setzen. Verhindern, dass die SCB-Maschine in Fahrt kommt. Störarbeit im Maschinenraum. Und dann, wenn sich die Gelegenheit bietet, blitzschnelle Nadelstiche anbringen.
Genau das haben die Zürcher getan. Es ist ihnen nicht gelungen, den SCB spielerisch zu dominieren. Die SCB-Abwehr auszukombinieren. Es ist ihnen nur gelungen, den SCB am entfalten seines überlegenen Potenzials zu hindern und mit drei Nadelstichen drei Treffer zu erzielen. Ein «richtiger», logischer, zwingender Sieg ist das nicht.
Sind nun die ZSC Lions die Favoriten? Nein, sind sie nicht. Ihre Spielweise ist nämlich enorm kräfteraubend. Zwischenzeitlich drohte ihnen bereits in dieser ersten Partie der Schnauf auszugehen und sie gerieten im Mitteldrittel arg in Rücklage.
Damit zeichnet sich ab: dieser Halbfinal wird auch eine «Sauerstoff-Serie». Die Frage ist, ob die ZSC Lions die Energie haben um notfalls über sieben Spiele mit der gleichen Leidenschaft, Hartnäckigkeit, mit dem gleichen Mut und der gleichen Energie zu Werke zu gehen wie gestern.
Der SCB ist nach dieser ersten Niederlage keineswegs geschockt. Eric Blum sagt, was ein Musterprofi in solchen Situationen stets sagt. Man nehme Spiel für Spiel. Man müsse dieses Spiel abhaken und vorwärts schauen. Dann hält er inne und zeigt Sinn für Selbstironie. «Ich kann auch noch weitere solche Sprüche machen ...»
Die Berner sind nicht arrogant. Sie sind zweimal hintereinander Meister und Qualifikationssieger geworden und haben einfach ein gesundes Selbstvertrauen. Vorerst ist diese Auftaktniederlage nicht viel mehr als eine leichte Bodenwelle auf der rasanten Fahrt zum dritten Titel in Serie. Das SCB-Selbstvertrauen hat noch nicht einmal Haarrisse.
Und doch gibt es Warnsignale am Rand der Strasse des Ruhmes, die Kari Jalonen nicht übersehen sollte. Seine Mannschaft spielt nach wie vor nicht Playoff-Hockey.
Die drei vermeidbaren Gegentreffer sind nämlich die Folge einer leichtsinnigen und riskanten Spielweise mit Querpässen in der gegnerischen Zone, die nun mal zu gefährlichen Kontern führen können. Solchen Leichtsinn konnten sich die Berner in den Playoffs der letzten Saison gegen Biel, Lugano und Zug leisten. Und nun auch im Viertelfinal gegen Servette. Aber nicht mehr gegen die ZSC Lions, den ersten echten Playoff-Gegner der Ära Jalonen.
Was sich auch ändern muss: der vermeintlich härteste SCB-Spieler war in dieser ersten Partie nur ein Maulheld und ein Weichei. Thomas Rüfenacht zeigte bloss Aggressivität bei einer Attacke gegen Torhüter Lukas Flüeler (die ihm einen Zweiminuten-Ausschluss einbrachte). Er wurde von ZSC-Haudegen Kevin Klein fürchterlich gecheckt und durchgeschüttelt. Schliesslich schlich er mit einer Minus-3-Bilanz in die Kabine. Auch die anderen Leitwölfe und Titanen haben Minus-Bilanzen in der Statistik: Andrew Ebbett (-2), Maxim Noreau (-2), Mark Arcobello (-3) und Simon Moser (-3). So geht es nicht. Sie alle waren in dieser Partie – excusez l’expression – Weicheier.
⬇️ Auch wenn es nicht zum Sieg gereicht hat: Tristan Scherweys Führungstoreffer ist zum Geniessen 👏🏼 Alle Highlights der #Playoffs2018 und #Playouts2018 auf https://t.co/oRPyXodRvq 😉 #MySportsCH #HomeofSports #NationalLeague pic.twitter.com/mJ10NrrmO4
— MySportsCH (@MySports_CH) 27. März 2018
Und doch bleiben die Berner Titanen und Favoriten. Weil etwas nach wie vor für den SCB spricht: Leonardo Genoni ist und bleibt ein grosser Torhüter. Noch einmal wird er sich nicht dreimal so erwischen lassen. Gegen einen SCB mit einem Leonardo Genoni in Normalform hätten die ZSC Lions nicht gewonnen. Am Donnerstag wird der SCB-Torhüter im Hallenstadion in der zweiten Partie wieder in Normalform spielen.
Erst wenn dann den ZSC Lions gegen den «richtigen» Leonardo Genoni ein «richtiger» Sieg gelingt, wird es für den SCB kritisch.