Eigentlich war es bloss ein bedeutungsloses Spiel mit Gratiseintritt. Aber die Partie der SCL Tigers gegen die meisterlichen ZSC Lions eröffnete einen Blick in die Zukunft. In die Polemiken der kommenden Wochen.
Polemik? Das Resultat ist geradezu diplomatisch. Die SCL Tigers verlieren 3:4. Ein ewiger Pessimist mag nun sagen, es sei beunruhigend, wenn die Langnauer auf eigenem Eis gegen den 7. der letztjährigen Qualifikation verlieren. Aber die ZSC Lions sind ja auch Meister.
Löwen besiegen Tiger im letzten Test
— ZSC Lions (@zsclions) 14. September 2018
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Langnaus Trainer Heinz Ehlers ist einerseits in einer komfortablen, andererseits auch in einer heiklen Lage. Er hat fünf ausländische Stürmer zur Verfügung. Komfortabel, weil er davon ausgehen kann, in jeder Partie vier einsetzen zu können. Was für ein Team der hinteren Tabellenhälfte von entscheidender Bedeutung sein kann. Heikel, weil er jedes Mal einen aus dem Quintett Harri Pesonen, Eero Elo, Mikael Johansson, Chris DiDomenico und Aaron Gagnon auf die Tribüne setzen muss.
Heinz Ehlers sagt, er werde immer wieder einen anderen zuschauen lassen. Sozusagen im Rotations-Prinzip. Taktische Erwägungen gibt es ja nicht: alle fünf sind Stürmer. Die Leistung und nichts als die Leistung möge die Richterin sein.
Ohne Boshaftigkeit dürfen wir jetzt schon sagen: Dieses «sozialistische Prinzip» der Gleichbehandlung aller wird er bald aufgeben. Das unbedeutende Spiel gegen die ZSC Lions hat es gezeigt. In der 28. Minute kassiert Chris DiDomenico nach einer Unbeherrschtheit zusätzlich zu einem Zweiminuten-Ausschluss eine Zehnminutenstrafe. Es ist nicht sein Spiel. Kein Tor, kein Assist.
Heinz Ehlers sagt, er habe eigentlich schon gewusst, welche vier Ausländer er beim Saisonstart am nächsten Freitag einsetzen wird. Nun sagt er nach der Partie gegen die ZSC Lions: «Nun bin ich nicht mehr sicher, wer es sein wird ...» Denn nach diesem Spiel ist eigentlich klar: Chris DiDomenico gehört gegen die Lakers auf die Tribüne.
«Jesus Chris» beim Saisonstart auf eigenem Eis gegen den Aufsteiger auf der Tribüne? Nachdem letzte Saison ständig gejammert worden ist, die skandinavischen Ausländer hätten zu wenig Temperament, man brauche einen ausländischen Leitwolf, der Emotionen wecken, das Team auf dem Eis und in der Garderobe führen könne. Einen wie Chris DiDomenico. Und so hatte Sportchef Jörg Reber alles daran gesetzt, den Kanadier zurückzuholen, der im Februar 2017 Langnau kurz vor Saisonschluss Richtung NHL verlassen hatte.
Nie mehr seit den fernen Zeiten von Todd Elik steht in Langnau ein ausländischer Arbeitnehmer so sehr im Mittelpunkt wie Chris DiDomenico. Der Verräter des Frühjahres 2017 personifiziert im Herbst 2018 die Hoffnungen auf die nächsten Playoffs. Dass erneut über 4000 Saisontickets verkauft worden sind, verdanken die Langnauer der Rückkehr des verlorenen Sohnes.
Der kanadische Feuerkopf hat auf die provokative Frage, ob er eine Verbannung auf die Tribüne akzeptieren werde, schon vor einiger Zeit wie ein echter Musterprofi gesagt: «Der Trainer ist der Chef, er entscheidet.» Ja klar, das sagt jeder.
Aber einer mit dem Temperament von Chris DiDomenico kann eine Verbannung auf die Tribüne gar nicht akzeptieren. Sonst wird er sich selbst untreu. Er ist ein «Alphatier». Ein Leitwolf. Gerade deshalb haben ihn die Langnauer ja zurückgeholt. Aber ein Leitwolf kann nicht im Rudel traben. Er muss es führen. Das ist seine Natur. Das Problem: Wenn es nicht so läuft, wie es laufen sollte, neigt Chris DiDomenico zum «überbeissen»: Er wartet nicht mit staatsmännischer Gelassenheit auf seine Chance. Er versucht, das Schicksal zu zwingen. Die Strafbank ist dann oft nicht mehr weit.
Der feurige Leitwolf im taktischen Käfig eines grossen Trainers: Bei Heinz Ehlers ist die Mannschaft, das Kollektiv immer grösser als der Einzelspieler. Das ist die Frage, die ihn in den nächsten Monaten umtreiben wird: Ist Chris DiDomenico ein so grosser Spieler, dass er grösser sein darf als das «System Ehlers»? Oder etwas polemischer: Was tun mit einem Spieler, der grösser ist als der Trainer?
Und die ZSC Lions? Dort hat der neue Trainer ganz ähnliche Sorgen. Er hat nicht bloss einen Spieler, der grösser ist als das System, als der Trainer, wie Heinz Ehlers mit Chris DiDomenico. Er hat mindestens 15 davon.
Die Zürcher sind fast nicht mehr wiederzuerkennen. Aus einer Mannschaft, die das Spiel in den Playoffs so sehr vereinfacht hatte, dass alle verzweifelten, auch die grössten Gegner, ist ein Spektakel-Team geworden, wie es unsere Liga noch nicht oft hatte. «Harlem Globetrotters on Ice». Immer wieder blitzt die Klasse der einzelnen Stars auf. Was bei Langnau im Spiel der Zufall ist, das ist bei den Zürchern Talent, Berechnung, Klasse. Einfach grossartig.
Eigentlich war es ja bloss ein bedeutungsloses Spiel. So unwichtig, dass der Eintritt gratis war. Also ist es nicht notwendig, mit der gleichen Demut im System zu arbeiten wie in den Playoffs. Deshalb spielt es keine Rolle, dass bei diesem Test jeder fast nur offensiv dachte und die Mannschaft von der taktischen Disziplin der Playoffs so weit entfernt war wie das Hallenstadion vom Madison Square Garden.
Und doch lässt diese Partie erahnen, was Trainer Serge Aubin in den nächsten Wochen und Monaten umtreiben wird: Wie kann er diese schier unermessliche Menge an Talent in taktische Formen giessen? Wie kann er die Notwendigkeit von taktischer Disziplin während der Qualifikation vermitteln? Es zeichnet sich nämlich schon ab, dass die Zürcher dank ihres schier unermesslichen Talentes zu viele Spiele doch noch gewinnen werden, die sie eigentlich aufgrund taktischer Liederlichkeiten hätten verlieren müssen.
Diese ZSC Lions sind wahrlich eine grosse Mannschaft. Eine grosse Mannschaft braucht einen grossen Trainer. Sonst spielt sie nicht wie eine grosse Mannschaft. Das ist die Frage, die in Zürich in den nächsten Monaten das Potenzial zu Polemik hat: Ist Serge Aubin tatsächlich ein grosser Trainer?