Welch ein Scheitern! Welch eine Dramatik. Lugano hat den grossen, den ersten Triumph seit 2006 zum greifen nah. Nur noch ein letzter Sieg auf eigenem Eis. Eine letzte Anstrengung. Ein letztes Hurra.
Aber es ist nicht wie sonst. Der Lärmpegel ist hoch, ja. Aber der Speaker, der sonst die Mannschaft unmittelbar vor dem ersten Bully eines Drittels so kultig lautstark mit einem letzten, langgezogenen Schrei aufpeitscht, ist heiser. Er hat im Laufe dieser aufwühlenden Playoffs ganz einfach zu oft geschrien.
Und bald zeigt sich: Nicht nur der Speaker ist am Ende seiner Kräfte. Auch seine Spieler sind es. Lugano findet nicht mehr die Kraft zur finalen, letzten Anstrengung. Es braucht wohl ein paar grosse Paraden von Lukas Flüeler, dem weissen Riesen im Tor des neuen Meisters. Das genügt. Lugano ist nie dazu in der Lage, die Partie zu dominieren.
Was ist passiert? Da ist einmal die Erfahrung, die Kraft und das Selbstvertrauen der Zürcher. In der wichtigsten Partie der Saison gelingt ihnen das perfekte Spiel. 2:0. Sogar der Torschütze des ersten Treffers, der bereits entscheidend sein sollte, ist perfekt. Als hätte es ein Drehbuch gegeben. Captain Patrick Geering trifft. Der Nachfolger von Kult-Captain Mathias Seger, der gestern sein letztes Spiel bestritten hat. Oder besser: Er war auf dem Matchblatt. Juristisch hat er also gespielt. Aber er sass bloss auf der Bank. Oder fast nur: Nach dem 2:0 von Ronalds Kenins, nach 59:40 Minuten, also 20 Sekunden vor dem Ende, zu einem Zeitpunkt, da nichts mehr anbrennen konnte, hat ihn Trainer Hans Kossmann doch noch aufs Eis geschickt.
Der Kniefall vor einer Legende: Der Trainer nimmt in der wichtigsten Partie der Saison einen 40-jährigen Verteidiger mit ins Team, den er nicht einsetzt. Aber dem er ein würdiges Karrierenende ermöglichen will. Es ist die ultimative Demonstration eines ungebrochenen Selbstvertrauens. Mathias Seger hat gestern als Meister die Bühne des nationalen Hockeys verlassen. Sein sechster Titel.
Aber wie kann es sein, dass Lugano 48 Stunden nach dem grossen Sieg in Zürich (3:2) auf eigenem Eis nun den Titel verspielt hat? Jetzt, im Rückblick erkennen wir, dass dieser Triumph im Hallenstadion ein Pyrrussieg war. Also ein zu teuer erkaufter Erfolg.
Lugano hatte zu viel Energie verbraucht. Das «Nachladen» ist nicht mehr gelungen. Und im Rückblick war die meisterschaftsentscheidende Szene der fürchterliche Check von ZSC-Topskorer Fredrik Pettersson 2,5 Sekunden vor Schluss dieser zweitletzten Partie. Dieser Check hat Luganos Leitwolf Maxim Lapierre in den Grundfesten erschüttert.
➡️Wie erwartet wird @zsclions -Topskorer @FredrikPetters2 vorsorglich für diesen Check gegen @Lappy14 gesperrt!#MySportsCH #NationalLeague #Playoffs2018 pic.twitter.com/U5uZfDAf4A
— MySportsCH (@MySports_CH) 26. April 2018
Der Kanadier blieb zwar auf den Beinen und taumelte in die Kabine und stand gestern wieder auf dem Eis. Aber er war nur noch ein Schatten seiner selbst.
Frederik Pettersson hat Luganos wichtigstem Feldspieler den Nerv gezogen. Er muss dafür mit Sperren büssen – aber die Zürcher konnten gestern seine Absenz verschmerzen. Er war ja ohnehin nicht mehr in Form.
Sag mir, wie Maxim Lapierre spielt und ich sage dir, wie es um Lugano steht. So flügellahm wie Maxim Lapierre, so flügellahm war letztlich Lugano. Es ist den ZSC Lions erstaunlich leichtgefallen, die Hoheit in den Zweikämpfen zu gewinnen. Sie waren frischer, immer wieder um entscheidende Sekundenbruchteile schneller – und mental «unzerstörbar».
Es hat eine Szene gegeben, die eine Mannschaft auch hätte aus dem Tritt bringen können. In der 14. Minute erzielen die Zürcher das 2:0. Nach langer Video-Konsultation annullieren die sehr guten Schiedsrichter den Treffer. Weil sie auf den Bildern der Hintertorkamera gesehen haben, dass Torhüter Elvis Merzlikins den Puck nur fallen liess, weil Mike Künzle auf seinen Blocker geschlagen hatte. Richtige Entscheidung.
Die ZSC Lions hatten also alles im Griff. Nichts konnte sie erschüttern. Nicht Lugano. Nicht ein annulliertes Tor. Nicht das temperamentvollste Publikum Europas.
Am Ende füllt gelber und weisser Rauch die Arena. Die frustrierten Anhänger des HC Lugano brennen ihre Feuerwerke halt trotzdem ab. Es wird eine Pokalübergabe in unwürdigem Rahmen, in stickiger Luft und trüber Sicht und einer Atmosphäre wie nach der Räumung eines besetzten Hauses unter Einsatz von Tränengas.
Wenigstens kommt es nicht zu Ausschreitungen wie 2001, als die Zürcher zum letzten Mal den Titel in der Resega gewonnen haben. Das ist immerhin ein Fortschritt.