Den Meister gewogen und für die Playoffs als zu leicht und zu weich befunden. So lässt sich nach der ostermontäglichen Niederlage des Titelverteidigers im Hallenstadion (1:3) die Serie in wenigen Worten erklären.
Die ZSC Lions waren in den ersten drei Spielen bereits bissiger und nur einmal besiegt worden. Im zweiten Spiel mit viel Pech in der Verlängerung (3:4). Sie hatten die zwei Partien in Bern gewonnen. Und doch waren es noch keine ganz grossen Siege. Denn dieser SCB, den sie da zweimal besiegt hatten, konnte doch nicht der wahre, der raue, der echte, der grosse, der mächtige, der meisterliche SCB gewesen sein. Diesen wahren SCB würden die ZSC Lions schon noch zu spüren bekommen.
Aber nun hat am Ostermontag zum ersten Mal der wahre, der raue, der echte, der grosse, der mächtige, der meisterliche SCB verloren. Es war das Spiel der Wahrheit. Diese Partie war nicht mehr Playoff-Auftakt und auch kein zweites oder drittes Spiel, das man noch verlieren durfte. Weil noch Gelegenheit zur Korrektur bleibt. Am Ostermontag waren im Hallenstadion tiefe Playoffs ohne Rückzugsmöglichkeiten.
Von der ersten Sekunde an ist in dieser vierten Partie klar, dass die Berner diesmal alles mobilisieren. Und nun zeigt sich: der echte SCB ist nicht gross, rau, mächtig und meisterlich genug, um gegen die ZSC Lions zu bestehen. Die Berner können sich in den Zweikämpfen nicht durchsetzen. Sie werden dort dominiert, wo das Spiel aufhört und der Kampf beginnt. Ausgerechnet in dem Bereich, der eigentlich seit jeher zur Kultur, zur DNA dieses Klubs («Big Bad Bears») gehört. Und die Berner wurden von allen vier ZSC-Linien physisch dominiert und zu Fehlern verleitet.
Diese nicht ganz überraschende Verweichlichung ist die bittere Frucht einer zu grossen spielerischen und taktischen Überlegenheit, die es dem SCB ermöglicht hat, die Qualifikation als «weichstes» Team (am wenigsten Strafminuten) nach Belieben zu dominieren. Und auch in diesen Playoffs haben die Berner bisher am wenigsten Strafminuten verbüsst. Der Direktvergleich: Qualifikation: 394 Strafminuten gegen den SCB, 591 gegen die ZSC Lions. Playoffs: 48 Strafminuten gegen den SCB, 154 gegen die ZSC Lions – bei gleich vielen Spielen. Die Berner haben verlernt, wie es ist, wenn gerumpelt wird.
Wer fast zwei Jahre lang nie mehr hart zur Sache gehen musste, wer sich fast zwei Jahre lang in jeder Partie ein paar Fehler und Nachlässigkeiten leisten konnte und nie richtig herausgefordert worden ist, kann seine Playoff-Tauglichkeit verlieren. Inzwischen fehlt den Bernern diese. Sie haben im Hallenstadion 1:3 verloren.
Obwohl sie alles versucht hatten und Leonardo Genoni kein Lottergoalie war. Aber es gab ein symbolisches Bild: Im ersten und dritten Drittel hütete Leonardo Genoni das SCB-Tor auf der Seite, auf der oben das Trikot der ZSC-Legende Ari Sulander mit der Nummer 31 hängt. Genoni hat die Nummer 30. Eine Nummer kleiner als Sulander – und weniger gut als der aktuelle ZSC-Goalie Lukas Flüeler.
Allerdings ist es nicht möglich, alleine mit Härte den SCB zu bezwingen. Es braucht auch das blitzende Schwert des Talentes. Es braucht Spieler wie Fabrice Herzog (23). Er personifiziert die Auferstehung der ZSC Lions in diesen Playoffs. Unter Trainer Hans Wallson war Fabrice zum Mitläufer geworden. Der Schwede setzte nicht auf den sensiblen Titanen (189 cm/80 kg) der Aussenbahnen. Und Fabrice Herzog ist ein sanfter Musterprofi, der es nicht wagte, zu rebellieren und still verkümmerte. Als Hans Wallson endlich, endlich, endlich gehen musste, da mochte Fabrice Herzog nicht schlecht über den abgesetzten Chef reden und sagte, er sehe den Trainerwechsel als Chance.
Er hat diese Chance unter Hans Kossmann genützt. Seine Treffer zum 1:0, 2:0 und 3:1 waren wie Stiche ins Herz des schnaubenden Bären, geführt mit schneller, sicherer Hand. Der zweite eiskalt vollendet beim schnellen Gegenangriff bei numerischer Unterlegenheit. In 50 Qualifikationspartien hat er sieben Tore erzielt. Gestern buchte er die Playoff-Treffer Nummer vier, fünf und sechs.
Die ZSC Lions brauchen noch einen Sieg fürs Finale. Für die Entthronung des Meisters. Sie bekommen für diesen Sieg drei Chancen. Die erste am Donnerstag in Bern. Die Frage ist, ob sich der SCB auch vor seinem Publikum, dem grössten Europas, in den Zweikämpfen dominieren lassen wird. Die Frage ist auch, ob die Berner noch genug Energie haben.
SCB-Leitwolf Andrew Ebbett will nichts von Müdigkeit wissen. «Das ist kein Problem.» Er analysierte die Situation nach dem 1:3 im Hallenstadion nüchtern und professionell: «Wir haben alles versucht. Aber der Gegner war einfach besser. Wir hatten grösste Schwierigkeiten durch die neutrale Zone zu kommen.» Und er macht den ZSC Lions ein Kompliment: «Wir spielen gegen den härtesten Gegner, seit ich in Bern bin. Wir sind mussten 2016 und 2017 in den Playoffs nie über sieben Spiele gehen. Jetzt müssen wir, wenn wir ins Finale wollen…»
Was ist nun zu tun? Andrew Ebbett sagt: «Es ist nun an den Leadern, die Verantwortung zu schultern und dieses Team zutragen. Das gilt auch für mich.» Wo er Recht hat, da hat er Recht. Die Titanen sind gefordert. Simon Moser (-1), Andrew Ebbett (-2), Mark Arcobello (-2), Maxim Noreau (-1) und Gaëtan Haas haben das Eis am Ostermontag mit einer Minus-Bilanz verlassen.
Der kanadische Stürmer ist zuversichtlich und sagt, in der Kabine seien genug starke, erfahrene Persönlichkeiten, um diese Serie zu drehen. Und auch genug Meisterschaften. Oder haben diese Spieler am Ende schon zu viele Titel gewonnen? «Nein, das ist kein Problem. Wir sind alle hungrig.» Die Zürcher müssen damit rechnen, dass der SCB, tief im Stolz gekränkt, doch noch wie der der wahre, der echte, der grosse, der mächtige, der meisterliche SCB auftreten wird.
Eine Kostprobe hat es im Hallenstadion in der Schlussphase gegeben. 211 Sekunden vor Schluss ersetzte Kari Jalonen den Torhüter durch einen sechsten Feldspieler und die Berner liessen nicht locker, bis sie das 2:1 erzielt hatten. Aber es war zu spät. Zu spät für dieses Spiel. Aber noch nicht zu spät für diese Serie.