Kristian Kapp («Tages-Anzeiger»), der bestinformierte HCD-Insider, setzte am Mittwochabend per Tweet das Gerücht in die Welt, der neue HCD-Trainer könnte Harijs Witolinsch heissen.
Er lag richtig. Noch am gleichen Abend bestätigt Jaro Tuma, der letzte Gentlemen in diesem Business und Agent des Letten im kleinen Kreis: Ja, es stimme, die Verhandlungen seien weit fortgeschritten. Er werde am Donnerstag mit seinem Klienten nach Davos fahren, um die letzten Details zu klären. Am Mittwoch war das noch nicht möglich, weil er einen Termin in Deutschland gehabt habe.
Er hier dürfte der Trainer beim @HCDavos_off werden, eine Legende des @ehcchur https://t.co/D2e5FvX7tY via @tagesanzeiger
— Kristian Kapp (@K_Krisztian_) 19. Dezember 2018
Wer ist Harijs Witolinsch? Ein weit gereister «Hockey-Desperado», der das Eishockey in der Schweiz, in Nordamerika, in Schweden und vor allem auch in Osteuropa – noch zu Zeiten des Kalten Krieges – als Spieler und nach dem Mauerfall als Trainer kennengelernt hat.
Er spielte ab 1986 in der höchsten sowjetischen Liga, in nordamerikanischen Farmteamligen, acht Partien in der NHL und in der Schweiz. Darüber hinaus war er Captain der lettischen Nationalmannschaft bei Olympia- und WM-Turnieren.
Die Schweiz kennt er also bestens. Er geniesst beim EHC Chur, wo er 1992/93 und noch einmal von 1996 bis 2001 stürmte, Kultstatus wie Todd Elik in Langnau.
Seine erste Trainererfahrung sammelte er ab 2006 in der 2. Liga bei Oberthurgau. Dieser Region ist er bis heute verbunden geblieben.
Ab 2008 war er vor allem in der KHL tätig. Als Assistent und zwischen 2014 und 2015 sogar als Headcoach bei Dynamo Moskau. Zuletzt arbeitete er in der vergangenen Saison als Assistent in St.Petersburg.
Die beste Zeit hatte er als Assistent seines lettischen Kumpels Olegs Znaroks (55). Die beiden rockten das russische Hockey. Sie wurden mit Dynamo Moskau russischer Meister (2012, 2013) und mit Russland Weltmeister (2014) und Olympiasieger (2018).
Harijs Witolinsch ist ein kluger, freundlicher Mann mit einem gesunden Selbstvertrauen und viel, viel Lebens- und Hockeyerfahrung.
Ein Mann, der schon mehr über Hockey wieder vergessen hat, als viele seiner Kollegen je gewusst haben. Und schliesslich auch einer, der weiss, wie man das Wort Autorität buchstabiert. Notfalls kann er auch toben.
Obwohl ihre Herkunft und Biographie verschiedener gar nicht sein könnten, so sind Arno Del Curto (62) und sein Nachfolger durch die Art und Weise, wie sie Hockey verstehen und leben doch in gewisser Weise Hockey-Seelenverwandte. Deshalb kann der Lette durchaus ein «Energiecoach» sein wie Arno Del Curto. Ja, wir können Harijs Witolinsch durchaus als «Arno des Ostens» bezeichnen. Eigentlich sogar als «Arno des wilden Ostens».
Wo liegen die Chancen? Wo die Risiken? Nun, jeder Trainer, der jetzt den HCD übernimmt, geht ein Risiko ein und wird so selbst ein Risikofaktor.
Eigentlich ist seine Trainererfahrung in der KHL und mit dem russischen Nationalteam ein Risikofaktor. So hohe taktische Ansprüche wie in Russland kann er in Davos nicht durchsetzen. Ohne ein bisschen Geduld geht es nicht. Befehlen und Gehorchen funktionieren in Davos oben nicht ganz so wie in Russland. Aber die Spieler haben sich in Davos im Laufe von mehr als 20 Jahren ja an den Umgang mit einem allmächtigen Trainer gewöhnt.
Und vor allem kennt Harijs Witolinsch die helvetische Hockey-Mentalität aus seiner Zeit als Spieler in Chur, Rapperswil, Langnau und Ambri.
Gäbe es bessere Kandidaten? Diese Frage wird uns erst die Geschichte beantworten. Im Frühjahr, wenn alles vorbei ist, wird jeder Laie ein Fachmann sein. So wie nach dem Kriege jeder Soldat ein General ist. Kritik an diesem Trainerentscheid wäre hinterher billig.
Unter Berücksichtigung aller Faktoren – natürliche Autorität, Hockeyerfahrung, Kenntnis unserer Mentalität, Nervenstärke und Selbstvertrauen, um in heikler Lage nicht gleich in Panik zu geraten – ist Harijs Witolinsch eine gute, ja eigentlich die bestmögliche Wahl.
Und ganz nebenbei hofft der Chronist natürlich auch, dass der neue HCD-Coach für gute Unterhaltung sorgen wird. Allerdings wird er Arno Del Curto als «Entertainer» nicht ersetzen können.
Das Ziel ist einfach, wahr und klar: den Ligaerhalt schaffen. Und dieses Ziel wird er erreichen. Mehr kann und darf nicht erwartet werden.