Manchmal ist es ganz einfach, einen Ausgang aus einer scheinbar ausweglosen Situation zu finden. Die folgende Episode ist verbürgt. Hin und wieder kommt Arno Del Curto ins bernische Oberaargau und gewinnt dort auf langen Wanderungen Abstand vom Hockey-Alltag.
In dieser hügeligen, bewaldeten Gegend im Herzen Helvetiens, die Fremde manchmal «Wolfsland» nennen, weil niemand überrascht wäre, wenn hier auf einmal ein Wolf auftauchen würde, kann sich ein Ortsunkundiger leicht verirren.
So ist es dem dem HCD-Trainer kürzlich ergangen. Müde, durstig und hungrig bat er auf einem einsamen Hof nahe der Hochwacht bei Melchnau einen Bauern, ihn doch zum nächsten Dorf zu fahren. Und bezahlte für die gern gewährte Dienstleistung mit einer schönen Banknote. Seither kann man hin und wieder an einem Wirtshaustisch hören, wie Arno Del Curto gelobt wird. Das sei ein gar freundlicher, guter, grosszügiger Mensch. Nicht so hoffärtig wie die Städter.
Der Weg aus der HCD-Krise, der «IKEA-Krise», ist nicht ganz so einfach zu finden wie der Weg aus der oberaargauischen Wildnis ins nächste Dorf. Für den Preis von teuren Designer-Möbeln hat Arno Del Curto den schwedischen NHL-Torhüter Anders Linbäck (30) eingekauft, der so unverhofft aus dem Leim geht wie ein billiges IKEA-Möbelstück.
Ja, der HCD steckt in einer Krise. An Arno Del Curtos Wesen und Wirken erkennen wir beim HCD die drei Stufen Hochstimmung, Alltag oder eben Krise.
In Hochstimmung, wenn sich der HCD problemlos in der Spitzengruppe der Liga hält oder die Tabelle mit zehn Punkten Vorsprung anführt, ist Arno Del Curto ein mitreissender Geschichtenerzähler (oder moderner: Kommunikator), der sich ins Feuer redet und die Zuhörer in seinen Bann schlägt.
Dann ist er ein charismatischer Hockey-Revolutionär, der aus dem Stegreif ein atemberaubendes Szenario der globalen Entwicklung des Welteishockeys entwerfen kann. Wer ihm zuhört, wird von seinem Enthusiasmus mitgerissen und fühlt sich bald zehn Zentimeter grösser. Aber selbst in dieser Hochstimmung wird er nie arrogant oder gar überheblich und vergisst nie zu betonen, dass der HCD trotz allem ein krasser Aussenseiter sei und um die Playoff-Qualifikation zittern müsse.
Im Alltag, wenn der HCD im Mittelfeld mehr oder weniger sorgenfrei einer weiteren Playoff-Qualifikation entgegensurft (unter Arno Del Curto hat der HCD die Playoffs noch nie verpasst), überkommt ihn manchmal eine Art leise Hockey-Melancholie. Gerne und ausführlich gibt er Auskunft, gewährt Interviews, aber er sieht jetzt mehr die Schwierigkeiten des lokalen und globalen Hockeys und nimmt für jede HCD-Niederlage die Schuld auf sich.
Die Aussenseiterrolle seines HCD wird jetzt nicht mehr nur erwähnt, sondern zelebriert. Gerühmt werden die Titanen aus dem Unterland, die zu besiegen fast unmöglich sei. Am Ende setzt sich doch sein Optimismus durch und der Zuhörer ist überzeugt: der Arno packt’s, der HCD kann Meister werden.
Und in der Krise? Die hat es bisher in diesem Ausmass in Davos unter Arno Del Curto noch nie gegeben. Zum ersten Mal seit der Amtsübernahme im Sommer 1996 ist Arno Del Curto durch die «IKEA-Krise» verunsichert. Zum ersten Mal in seiner Amtszeit muss er nicht mehr untertreiben und den HCD nicht mehr zum Aussenseiter kleinreden. Tabellenlage und Resultate sagen genug.
Verunsicherung bei Arno Del Curto ist so selten, so undenkbar wie eine Jass-Meisterschaft im Vatikan. Natürlich gibt er freundlich Auskunft. Aber er redet sich nicht mehr ins Feuer, wirkt fast ein wenig kleinlaut und bittet darum, ihn jetzt, in dieser heiklen Phase nicht zu zitieren. Das ist nicht der wahre, der streitbare Arno Del Curto.
Bei der Verpflichtung des ausländischen Torhüters ist er ein hohes Risiko eingegangen. Da war beispielsweise einerseits der Kanadier Dustin Tokarski (29) auf dem Markt. Ein unspektakulärer Torhüter mit Starstatus in den Farmteamligen aber nie die Nummer 1 in der NHL, nur 183 Zentimeter gross, mental robust und vom Stil her eher einer wie Martin Gerber. Und da war eben auch der Schwede Anders Lindbäck (30) zu haben. Ein Riese, ein Titan (198 cm), spektakulär an guten und schlechten Tagen. Fähig, ein Spiel im Alleingang zu gewinnen, aber oft auch so miserabel, dass er eine Partie im Alleingang verliert. Und vor dem Spiel weiss der Coach halt nie, welchen Lindbäck er bekommen wird.
Es liegt in der Natur des Hockey-Revoluzzers Arno Del Curto, dass er sich für Anders Lindbäck entschieden hat. Und es wäre ja logisch, dass einer, der es immerhin auch zu einigen NHL-Einsätzen gebracht hat, bei weitem gut genug für unsere heimische Liga sein müsste. Aber eben: das Hockey in der Schweiz ist teuflisch schnell und ohne jede Boshaftigkeit dürfen wir sagen: Anders Lindbäck hat sich noch nicht an das hohe NL-Tempo gewöhnt. Nacheinander sieben Gegentreffer mit einer Fangquote von 79,41 Prozent gegen Langnau sowie fünf Gegentreffer und 82,14 Prozent abgewehrte Pucks gegen Gottéron.
Arno Del Curto hat inzwischen auch Wort gehalten. Er hatte versprochen, der erste seiner zwei nun nicht mehr benötigten heimischen Goalies einen neuen Klub finde, dürfe gehen. Nun wird Joren van Pottelberghe (21) in der dänischen Operettenliga vorübergehend aushelfen. Gilles Senn (22) muss bleiben.
Da kann nach den beiden miserablen Vorstellungen von Anders Lindbäck (0:7 gegen Langnau, 2:5 gegen Gottéron) die Frage nicht ausbleiben: steht bald wieder Gilles Senn im Tor? Arno Del Curto bittet darum, auf diese Frage keine Antwort geben zu müssen. Die Bitte sei ihm erfüllt.
Wer sagt, dass Anders Lindbäck spätestens dann auf die Tribune muss, wenn der HCD einen zusätzlichen ausländischen Feldspieler unter Vertrag genommen hat, liegt nicht falsch.
Arno Del Curto mag in diesen Tagen zweifelnd und verunsichert in den Ruinen des vergangenen Ruhmes durch die Meisterschaft stolpern. Aber eher früher als später wird er Verunsicherung und Zweifel in trotzige Energie verwandeln und zur Bestform auflaufen. Wir sollten nie den Fehler machen, den HCD-Trainer zu unterschätzen.
Aber selbst der wahre Arno Del Curto wird aus dieser «IKEA-Krise» nicht ganz so leicht und so einfach wieder herausfinden wie kürzlich aus den Hügeln und Wäldern rund um die Hochwacht im bernischen Oberaargau.