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Um es etwas poetisch zu formulieren: Langnau ist in seinem neuen Stadion im Frühjahr 2013 vom Abstieg überrascht worden wie von einem Dieb in der Nacht.
Es gibt beängstigende Parallelen zu Langnau. Auch Biel ist in der neuen Arena in die gefährlichste Krise seit dem Wiederaufstieg geraten – fast ohne es zu merken. Es ist zwar jetzt, im November, bei weitem noch nicht so dramatisch wie in den Jahren nach dem Wiederaufstieg. Wie 2009 und 2010, als die Rettung erst nach Trainerentlassungen in der Liga-Qualifikation gelungen ist. Aber eher gefährlicher.
Ein Blick zurück hilft uns die Gegenwart etwas besser zu verstehen: Das Biel der ersten Jahre nach der Rückkehr in die NLA (2008) ist eine Schicksalsgemeinschaft. Zusammengehalten von Kevin Schläpfer. Erst als Sportchef, dann als Nottrainer und ab 2010 als Cheftrainer. Die NLA ist ein Abenteuer. Sportlich und wirtschaftlich. Es bleibt keine Zeit, um zurückzublicken, aufzuatmen. Alles ist in Bewegung, es ist eine atemlose Zeit der permanenten sportlichen und wirtschaftlichen Herausforderung mit einer Mannschaft im emotionalen Ausnahmezustand. Dreimal in vier Jahren erreicht Biel schliesslich die Playoffs, dreimal in vier Jahren schaffen die Bieler ein Hockeywunder.
Aber mit dem neuen Stadion ist der Normalzustand eingekehrt. Der Platz in der NLA wird mit dem Einzug in die neue Arena selbstverständlich. Erst recht nach dem famosen Saisonstart mit vier Siegen in den ersten fünf Spielen. Biel ist angekommen. Gerade deshalb macht die Krise mit inzwischen zehn Pleiten in 13 Spielen ratlos. Es ist kalt geworden in Biel. Im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist es auch im inneren dieser wunderbaren Anlage seltsam kühl. Ja, unten in den Kabinengängen zieht am Dienstagabend nach der Cup-Niederlage gegen Kloten (2:3 n.P) ein kalter Wind.
In jedem anderen Hockeyunternehmen wäre jetzt der Trainer das zentrale Thema. Aber nicht in Biel. Es ist, als sei diese Diskussion tabu. Kevin Schläpfer hat unter Tränen am 15. Oktober auf das Amt eines Nationaltrainers verzichtet, das ihm hinter dem Rücken des Bieler Managements angeboten worden ist. Um den Vertrag in Biel (2018) zu erfüllen. Das macht ihn nicht nur unentlassbar. Es macht ihn unantastbar. Unkritisierbar.
In einem sehr ähnlich gelagerten Fall hat Biel hingegen umgehend gehandelt. Hinter dem Rücken von Biels Management hat Luganos Trainer Doug Shedden Biels ausländischen Stürmer Tim Stapleton kontaktiert. Biels Sportchef Martin Steinegger sagt: «Doug Shedden hat ihn ständig angerufen. Die Situation ist unhaltbar geworden. Deshalb haben wir den Vertrag mit Tim Stapleton aufgelöst. Er war sichtlich froh, gehen zu können». Nun stürmt er für Lugano. Der Trainer darf nicht gehen. Der Spieler hingegen schon.
Die grosse, die bange Frage lautet: Ist Kevin Schläpfer nach dem Flirt mit der Nationalmannschaft noch der Kevin Schläpfer der Jahre 2009 bis 2014? Diese Frage wird über Biels Zukunft entscheiden. Es geht nicht nur um die vielen Niederlagen. Es geht um die Art und Weise, wie die Mannschaft inzwischen verliert. Um die tiefe Verunsicherung. Um die Führungslosigkeit. Die Mannschaft hat auf dem Eis keine Leader. Keine Leitwölfe. Biel würde in der aktuellen Verfassung eine Liga-Qualifikation gegen Langenthal verlieren.
Die Hoffnungen ruhen nun auf neuem ausländischen Personal. Aber entscheidend ist Kevin Schläpfer, der Leitwolf an der Bande. Um in dieser Bildsprache zu bleiben: Sein Fell, das in den Jahren des Ringens um die Existenz in der NLA auch in turbulentesten Zeiten glatt und glänzend war, wirkt jetzt seltsam matt. Glanzlos. Kevin Schläpfer ist authentisch. Seiner Körpersprache sagt meistens mehr als Worte. Und aus dieser Körpersprache lesen seine langjährigen Weggefährten jetzt zum ersten Mal so etwas wie Resignation.
Kann das sein? Auch der Chronist kann sich dieses Eindruckes nicht ganz erwehren. Aber vielleicht ist es auch so, weil jetzt, nach dem Verzicht aufs Amt eines Nationaltrainers, alle noch viel mehr auf das Wesen und Wirken dieses Trainers achten.
Er hat einmal gesagt: «Es gibt Tage, da darfst Du nicht verlieren. Punkt.» Jetzt, nach der Niederlage gegen Kloten sagt er: «Aber diese Tage sind noch nicht gekommen.» Er scherzt, gibt sich gut gelaunt und erzählt vom Geburtstagsfest, das er am nächsten Tag mit alten Freunden feiern wird. Kevin Schläpfer ist am Tag der Cup-Niederlage gegen Kloten 46 Jahre alt geworden.
Ende November ist das «sportliche Armageddon» noch weit, weit weg. Die Tage, an denen er nicht verlieren darf, kommen erst im Frühjahr. Wenn es wieder Laub an den Bäumen hat. Kevin Schläpfer versucht, die Dinge ins richtige Licht zu rücken: «Wenn ein Spitzenteam wie Bern oder Lugano eine Krise hat, dann verliert es ein paar Ränge und fällt auf Platz sechs oder sieben zurück. Das ist bei uns nicht anders. Wenn alles optimal läuft, dann reicht es für Rang acht – und wenn es nicht läuft wie jetzt, dann fallen wir halt auf Rang elf oder zwölf zurück».
Alles nur halb so schlimm? Vielleicht. Aber die bange Frage bleibt: Ist Kevin Schläpfer immer noch dazu in der Lage, solche Spiele zu gewinnen, die er nicht verlieren darf? Wenn es so kalt bleibt in Biel, im Stadion und rund um die Mannschaft wie in diesen letzten Novembertagen, wenn Kevin Schläpfer diese Krise nicht lösen kann, dann wird er im Frühjahr vielleicht nicht mehr dazu in der Lage sein. Aber dann ist es auch zu spät, um noch den Trainer zu wechseln.
Die Bieler stecken in der schwierigen Situation. Dieses Hockeyunternehmen ist ohne Kevin Schläpfer so wenig vorstellbar wie der HC Davos ohne Arno Del Curto. Die Bieler haben mit Kevin Schläpfer den Weg zurück in die höchste Liga gefunden.
Dieser neue EHC Biel ist ohne Kevin Schläpfer einfach nicht denkbar. Jene, die ihn in Frage stellen oder gar entlassen müssten, sind langjährige Weggefährten, einige (wie Präsident Andreas Blank oder Captain Mathieu Tschantré) sind mit ihm den ganzen Weg aus der NLB bis in die höchste Spielklasse und ins neue Stadion gegangen. Martin Steinegger ist nach dem Aufstieg von Bern nach Biel zurückgekommen. Erst war er Spieler. Heute ist er Sportchef. Eine Entlassung von Kevin Schläpfer hatte den Schwefelgeruch des Verrats.
Trainer kommen und gehen, der Klub bleibt bestehen – das mag für fast alle NLA-Klubs gelten. Aber diese Saison nicht für Biel. Und ist nicht Langnau 2013 abgestiegen, weil das Management die Nerven verloren und gleich zweimal den Trainer gefeuert hat?
In Biel steht nicht bloss eine Trainerkarriere auf dem Spiel. In Biel steht eines unserer erstaunlichsten Hockeyunternehmen vor den schwierigsten Monaten seiner neueren Geschichte.