Die moderne Bosshard-Arena ist fast leer. Ein bisschen Lärm macht bloss eine kleine Gruppe von Gästefans aus Langenthal, die im weiten Rund verloren wirkt wie eine Gruppe verregneter Zugvögel, die den Abflug nach Süden verpasst hat.
Weil jegliche Stimmung fehlt, rückt das wahre, ehrliche Spiel in den Mittelpunkt des Interesses. Kein «Ahh» und «Ooh» macht eine Aktion akustisch besser als sie wirklich ist. Das Kratzen der scharf geschliffenen Kufen auf dem Eis und die Zurufe der Spieler sind in der VIP-Loge zu hören.
Die Schiris werden nicht durchs Publikum beeinflusst. Sie walten wie unbestechliche Sheriffs ihres Amtes. In der zweitletzten Minute schicken sie zwei Zuger gleichzeitig auf die Strafbank und ermöglichen Langenthal ein Powerplay 5 gegen 3 das schliesslich durch die Herausnahme des Goalies noch zu einem 6 gegen 3 ausgebaut wird. Ein Tor fällt trotzdem nicht.
Daran hätten die Unparteiischen in einem ausverkauften Stadion bei einer Partie des wahren EV Zug nicht einmal zu denken gewagt.
Bloss 228 Schaulustige sind gekommen. Weil er ein Ticket für 20 Franken gekauft hat, wird der Chronist durch die Zuschauerzahl sozusagen im Matchtelegramm verewigt.
Ich erwische zuerst die falsche Türe, dann die falsche Treppe und auf einmal bin ich in der VIP-Loge angelangt. Sie ist gut besetzt. Taucht für so ein «Dutzendspiel» ein älterer, unbekannter Herr im Mantel auf, so geht das Personal davon aus, dass er wohl dazu gehört und er wird freundlicherweise eingelassen.
Das war nichts!! Niederlage gegen den @official_EVZ Academy mit 3:2.#gäubblauiliebi💛💙 #sclangenthal #oberaargau #evzacademy #scl #swissleague #sihf#bossardarena pic.twitter.com/CnZMVnyuYF
— SC Langenthal (@seit1946) December 18, 2019
Noch im Laufe des ersten Drittels wird mir klar, woran mich dieses ganz besondere Spektakel erinnert: An Fussball in Katar. Ja, richtig: Fussball im Morgenland.
Vor gut zehn Jahren bin ich dort einmal von honorigen Funktionären und Geschäftsleuten zu einem Spiel der nationalen Meisterschaft in die VIP-Loge eingeladen worden.
Die moderne Arena war praktisch leer. Ein bisschen Lärm machte unabhängig vom Spielverlauf nur eine kleine Gruppe von Claqueuren (bezahlten Applausmacher), die auf den sonst leeren Rängen verloren wirkte wie eine Gruppe seltsamer Zugvögel, die den Weiterflug nach Süden verpasst hatte.
Weil jegliche Stimmung fehlte, rückte das wahre, ehrliche Spiel in den Mittelpunkt des Interesses. Kein «Ahh» und «Ooh» machte einen Spielzug akustisch besser als er denn wirklich war. Der Schiri wurde nicht durchs Publikum beeinflusst und waltete wie ein Sheriff seines Amtes. Die Zurufe der Spieler waren bis hinauf in die VIP-Loge zu hören.
Hakan Yakin, schon im Seniorenalter – er muss damals 31 oder 32 Jahre alt gewesen sein – fiel mir durch seine Schlauheit auf. Soweit ich mich erinnern kann, war er an mindestens einem Treffer beteiligt. Und genauso fällt mir jetzt Langenthals Captain Stefan Tschannen – mit 35 im noch höheren Seniorenalter – durch seine Schlauheit auf: Tatsächlich erzielt er das zu späte Anschlusstor zum 3:2. Tschannen sozusagen als Yakin des Hockeys. Na ja. Nehmen wir noch ein Glas Roten.
Selbst die VIP-Loge unterscheidet sich in der überdachten Zuger Arena nur unwesentlich von jener im natürlich nicht überdachten Fussballstadion.
Eine Episode ist mir allerdings in Erinnerung geblieben, die ich noch erzählen möchte: In der Pause wurde eine Luxuskarosse aufgrund der Nummern auf den Eintrittskarten verlost.
Arglos fragte ich, was denn sei, wenn einer der Claqueure da draussen den schicken Wagen gewinne. Das sei kein Problem: Schon vor der Verlosung sei klar, wer aus besserem Haus mit Zutritt zur VIP-Loge jeweils das schöne Auto bekomme: Derjenige, der es zugute habe, gebe vor der Auslosung per Hosentelefon seine Ticket-Nummer durch. Die schreibe dann der mit der Auslosung beauftragte Herr auf die Hand, ziehe einfach irgendeine Eintrittskarte und lese die Gewinnnummer auf seiner Hand ab. Ich bin sehr, wirklich sehr boshaft und glaube, fast so hat früher, natürlich in längst vergangenen Zeiten, der tüchtige Willi Vögtlin die Partien im Schweizer Cup ausgelost.
Beim Zuger Farmteamhockey gibt es natürlich keine solchen Gewinnspiele. Eigentlich schade. Die Unterschiede zwischen den VIP-Logen im Abend- und Morgenland sind mehr den unterschiedlichen Kulturen geschuldet: In Katar reichten junge Männer süsses Gebäck, Tee und Wasser, aber Fleisch nur vom Schaf.
In Zug bieten jungen Männer und Frauen feinen roten Wein und Wasser, Zuger Kirschtorte und Fleisch von allerlei Getier an. Nun erweist es sich als Glücksfall, dass ich mich so spät zum Matchbesuch entschlossen habe, dass es vor dem Spiel nicht mehr zum Abendessen gereicht hat. Gar köstlich munden nun Speis und Trank im Zuger Hockeytempel.
Aber vor allem interessiert uns das Hockey. Deshalb ist der Chronist ja gekommen. Und da es eben keine Ablenkung durch das Publikum gibt, gilt die ganze Konzentration ausschliesslich den fachlichen Komponenten des Spiels und nicht irgendwelcher Gerüchtemacherei. So wie es eigentlich immer sein sollte.
Ganz besonders interessiert natürlich Langenthals Meistergoalie Philip Wüthrich (21). Nächste Saison ausersehen, in Bern das Goalieproblem zu lösen. Also wird bald bei Zuger Hockeyfachpersonen Rat und Urteil erfragt.
Das Urteil ist unerbittlich. Einer, der über Hockey schon mehr wieder vergessen hat als andere je gewusst haben, sagt unter anderem: «Was? Der soll der künftige SCB-Goalie sein? Da braucht es aber noch viel Training. Er steht zu tief im Kasten und spielt viel zu passiv. So markiert er zu wenig Präsenz und hat keine Ausstrahlung.» Eigentlich seien alle drei Gegentreffer haltbar.
Um Philip Wüthrichs Agent André Rufener ein wenig zu ärgern, wird ihm diese gestrenge Beurteilung natürlich unter die Nase gerieben. Was er mit staatsmännischer Gelassenheit erträgt. Eine Karriere wird schliesslich nicht in einem Spiel gegen Zugs Farmteam entschieden.
Aber auch Langenthals Trainer Jeff Campbell scheint mit seinem Goalie nicht ganz zufrieden zu sein. Nach 40 Minuten (Zwischenresultat 1:3) belässt er Philip Wüthrich jedenfalls auf der Bank. Die letzten 20 Minuten spielt Connor Hughes (23), nächste Saison die Nummer 2 bei Gottéron.
Titelverteidiger Langenthal hat nun vier der letzten fünf Partien verloren. Kein Schuft, wer denkt, bald könnte Sportchef Kevin Schläpfer gefordert sein und sich fragt: Kann eigentlich Kevin Schläpfer auch in Langenthal Krise?
Ohne diese oder jene Transfernews geht ein Matchbesuch in einer Hockey-VIP-Loge natürlich nicht vorüber. Zu reden gibt unter anderem der noch geheim gehaltene Transfer per Saisonende von Luca Capaul (20) in die Organisation der ZSC Lions mit einem Dreijahresvertrag. Ein auffälliger Spektakelverteidiger. Flink, mutig und schlau, aber mit Hang zu taktischem Leichtsinn. Er assistiert zum zweiten Treffer.
Zugs Sportchef Reto Kläy ist schon ein wenig verärgert: «Er wäre bei uns nächste Saison in der National League die Nummer neun der Verteidiger geworden und zum Einsatz gekommen. Ich weiss nicht, was er in Zürich will. Bei den ZSC Lions wird er nicht spielen und so wird ihm wohl nur das Farmteam bleiben. Wahrscheinlich gefällt ihm halt die Stadt Zürich besser …»
Zugs Farmteam verteidigt das 3:2 am Schluss zäh und leidenschaftlich. Ein grosser Sieg! Torhüter Noël Bader (sonst die Nummer zwei bei den Lakers) zeigt ein paar ganz grosse Paraden. Der 23-Jährige ist ganz klar besser als Philip Wüthrich.
Das Spiel dramatisch, die Unterhaltung vorzüglich, die Neuigkeiten interessant und es ist sogar noch ein Stück Zuger Kirschtorte übrig geblieben, um Energie für die Heimfahrt zu tanken.