Ist das der wahre, der raue, der «taffe» Hans Kossmann? Nein, er ist es nicht. Das Spiel ist aus. Der SCB hat das erste Spiel unter dem neuen Trainer 0:3 verloren. Seine Männer sind still und mit hängenden Köpfen soeben in die Kabine zurückgekehrt. Keine Wutausbrüche. Keine zertrümmerten Stöcke. Keine Flüche. Nur stille Resignation und Frustration. Stumme Verlierer.
Hans Kossmann, eigentlich ein Mann der träfen, fadengeraden Worte, versucht die Niederlage zu erklären. Er sagt, er habe einiges gesehen, das ihm gefallen habe. Viel Laufarbeit, beispielsweise von Jan Mursak (boshafte Anmerkung: Wenn einer der SCB-Ausländer wenigstens läuft, ist das inzwischen schon ein Grund für ein Lob), Leidenschaft und eine dominantere Spielweise («auf den Zehen stehen»). Also gute Ansätze. Grund zur Hoffnung.
Wie es sich gehört, rühmt der neue SCB-Trainer den Gegner und als er Ambris Qualitäten aufzählt, sagt er wörtlich «vier gute Ausländer». Tja, so weit ist es inzwischen gekommen: der 50 Millionen-Umsatz-Hockeykonzern SCB bringt noch einen brauchbaren ausländischen Feldspieler (Mark Arcobello) aufs Eis. Ambri hingegen vier. Noch Fragen?
Hans Kossmann lobt den Gegner so sehr, dass ein Zuhörer zum Schluss kommt, der krasse, finanzschwache Aussenseiter SCB habe sich soeben gegen einen reichen, übermächtigen Titanen heroisch, aber vergeblich gegen die unvermeidliche Niederlage gestemmt. Die Hockeywelt ist wahrlich aus den Fugen geraten. Wo ist bloss das bernische Selbstvertrauen geblieben?
War der neue SCB-Trainer bei einem anderen Spiel? Nein. Die Statistik gibt ihm recht. Der SCB hat diese Partie mit 35:27 Torschüssen dominiert. Auch der optische Eindruck entspricht Hans Kossmanns Einschätzung. Also doch ein «neuer» SCB? Nein. Die Berner versuchten einfach vergeblich, ihrer Verunsicherung davonzulaufen. Hektische Flucht nach vorne. Und tatsächlich wankte Ambri in einigen Phasen und brauchte den Rückhalt eines grossen Benjamin Conz. Aber im SCB-Spiel war zu viel Unruhe und Ungenauigkeit in allen drei Zonen.
Wir wollen das Kind nicht gleich mit dem Bade ausschütten: Hans Kossmann hat bloss sein erstes Spiel verloren. Er hat noch neun Chancen, um die Playoffs zu erreichen. Aber ob den Erregungen der letzten Tage in Bern ist es schon ein wenig verwunderlich, wie wenig sich durch den Trainerwechsel gebessert hat. SCB-Manager Marc Lüthi hat bekanntlich am Dienstag Trainer Kari Jalonen gefeuert («stimmt nicht, nur freigestellt, das macht juristisch einen Unterschied») und durch Hans Kossmann ersetzt. Gross die Aufregung. Flächendeckend die SCB-Medienpräsenz. Neuer Trainer, neue Hoffnung, neuer SCB?
Ach was. Marc Lüthi sah zwar eine verbesserte Angriffsauslösung («schneller, direkter, ohne Rückpässe»), ansonsten haben wir nach wie vor in den Grundzügen Kari Jalonens SCB gesehen. Gut strukturiert («Schablonenhockey»), aber berechenbar. Einfach alles bloss bisschen hektischer, unpräziser und aufgescheuchter. Als hiesse der neue Trainer Hannu Kosmalainen.
Dass Hans Kossmann taktisch noch nichts geändert hat, ist einerseits dem Respekt für die Arbeit seines Vorgängers (drei Jahre, zwei Titel) und andererseits der Vernunft geschuldet: Er hat die Mannschaft erst am Mittwoch übernommen. Er hatte noch keine Zeit, etwas am System zuändern.
Was erstaunt, ist das Fehlen des «weichen Faktors». Also des «Ruckes», der jeweils nach einem Trainerwechsel durch eine Mannschaft geht. Des Energieschubes, den ein Kommandowechsel auslöst, weil alle froh sind, dass der ungeliebte Chef endlich weg ist. Aber eigentlich ist es nicht verwunderlich, dass dies in Bern nicht der Fall ist. Es war ja keiner gegen Kari Jalonen. Die Mannschaft hat nie den Eindruck erweckt, sie wolle den Trainer loswerden. Die erste Reaktion des Kabinenpersonals auf den Trainerwechsel ist deshalb nicht dynamische Erleichterung («so-jetzt-aber-erst-recht»). Sondern Verwunderung, Verwirrung, Verunsicherung.
Die Reaktion ist also vorerst ausgeblieben. Ja, die Tapferen der Leventina haben den Meister in erster Linie durch ein klares Plus in den Bereichen Energie, Willen, Leidenschaft, Konzentration und Disziplin besiegt. Typisch dafür die alles entscheidende Szene: Im Powerplay bringt SCB-Verteidiger Eric Blum den forecheckenden Marco Müller hinter dem SCB-Tor zu Fall. Das SCB-Überzahlspiel ist beendet und kurz daraufmarkiert Giacomo Dal Pian das 1:0 (38:29 Min.).
Dass die Berner nach dem ersten Gegentreffer nicht mehr zu einer Reaktion fähig waren, müsste die SCB-Chefetage beunruhigen. Wahrscheinlich ist es Zeit, dass SCB-Manager Marc Lüthi in die Kabine hinuntersteigt und eine aufrüttelnde Brandrede hält. Ganz im Sinne von König Salomon («Gehet hin zur Ameise, ihr Faulen, sehet ihre Weise an und lernet!»). So oder besser noch energischer als damals am 24. Januar 2016 nach einer nicht ganz so schmählichen Niederlage (3:4n.P) in Biel acht Runden vor Schluss der Qualifikation. Die Reaktion auf den Wutausbruch des obersten Chefs war die Playoff-Qualifikation mit anschliessendem Titelgewinn vom 8. Platz aus.
Die Frage geht also an Marc Lüthi: Dürfen wir bald einen Kabinen-Auftritt wie damals in Bieler warten? «Spinnen Sie eigentlich?» weist er freundlich, aber bestimmt den frechen Fragesteller zurecht. «Ganz sicher nicht.»
Der allerhöchste Chef, die sportliche Führung, der Trainer und die Spieler haben in Bern den Ernst der Lage nach wie vor nicht richtig erfasst. Die grosse Frage ist nun: Erfolgt im Derby auf eigenem Eis gegen die SCL Tigers endlich eine erste wuchtige Reaktion? Ein «Big Bang»?
Wenn nicht, beginnt für den Meister nach der Nationalmannschafts-Pause zum ersten Mal seitdem Wiederaufstieg von 1986 der Abstiegskampf. Der SCB war in Ambri im ersten Spiel unter neuer Leitung nur noch die Karikatur eines Meisterteams. Aber nach wie vor sind beide Extreme möglich: Playoffs und Platzierungsrunde, Titelverteidigung und Relegation. Und nach einem «Big Bang» auf dem Eis braucht es so oder so einen «Big Bang» in der sportlichen Führung.