Was wäre, wenn in Davos der Trainer und Sportchef beispielsweise Kevin Schläpfer hiesse? Die Kritik wäre vernichtend und die Analyse einfach: Der HCD müsste Trainer und Sportchef wechseln.
Das Doppelmandat Sportchef und Trainer ist ein Grund für die Krise. Es gibt inzwischen im HCD kein fachtechnisches Gegengewicht zum «allmächtigen» Trainer und Sportchef.
Die panikartige Verpflichtung des ausländischen «Lottergoalies» Anders Lindbäck ist ein unverzeihlicher Schnellschuss. Erstens ist der Schwede ganz einfach nicht gut genug. Das Scouting bei der Rekrutierung war unsorgfältig. Und zweitens hat dieser Transfer zu einem nicht mehr gutzumachenden Vertrauensbruch mit den beiden bisherigen Goalies Gilles Senn und Joren van Pottelberghe geführt.
Die defensive Organisation der Mannschaft ist miserabel. Ganz offensichtlich ist der Coach nicht mehr dazu in der Lage, das Spiel zu organisieren bzw. ein taktisches Konzept zu entwickeln und durchzusetzen, das dem Talent der Spieler entspricht. Wenn ein Torhüter in acht Partien 29 Tore kassiert, gibt es auch ein taktisches Problem. Der HCD hat von allen NL-Teams am meisten Tore zugelassen. 18 mehr als der SCB und immer noch 5 mehr als Aufsteiger und Schlusslicht Rapperswil-Jona. Und das mit einem ausländischen Goalie.
Die Mannschaft fällt beim kleinsten Rückschlag auseinander. Ein klares Zeichen, dass der Trainer mit seinen Worten die Herzen und Seelen seiner Spieler nicht mehr erreicht.
So würden wir erbarmungslos urteilen, wenn der HCD-Trainer Kevin Schläpfer, Roger Bader, Larry Huras, Serge Aubin, Ville Peltonen, Luca Cereda oder Doug Shedden heissen würde. Kaum ein Medium käme ohne die Schlagzeile aus: «Wann fliegt der Trainer in Davos?» Mit Genuss würden die Resultate aufgelistet: 2:5 gegen Ambri! 0:7 gegen Langnau! 2:5 gegen Gottéron! 3:7 gegen Biel! Es sind schon Trainer für weniger schlimme Resultate gefeuert worden.
Aber der Trainer heisst Arno Del Curto. Seit 1996 im Amt. Mit vielen Chronisten, Analysten und Kommentatoren über Jahre freundschaftlich verbunden.
Der HCD-Trainer hat Kultstatus und gehört zur helvetischen Hockeyfamilie. In der Familie wird nicht kritisiert. Schliesslich will man ja wieder, wie jedes Jahr in diesem Jahrhundert, gemeinsam «Spengler-Cup-Weihnachten» feiern.
Noch nie seit Einführung der Playoffs (1985/86) ist einem Trainer in einer solchen Krise so viel Verständnis und Respekt entgegengebracht worden.
Weil das Undenkbare nicht gedacht, geschweige denn ausgesprochen oder gar geschrieben werden darf und weil sich niemand den HCD ohne Arno Del Curto vorstellen kann, wird der Trainer in Davos nicht hinterfragt. Nicht kritisiert.
Vielmehr wird in der HCD-Krise respektvoll die Frage gestellt, ob sich Arno Del Curto neu erfinden könne. Ob er die Umstellung vom Titelanwärter zum Aussenseiter wohl schaffe. Ob dieser aufregende Herbst nur eine dem Torhüterpech geschuldete Episode sei. Und gross ist die Überzeugung, dass am Ende doch alles gut kommt. Wie immer seit 1996. Die Playoffs sind unter Arno Del Curto schliesslich noch nie verpasst worden.
Mit Spannung wird erwartet, was das neue ausländische Personal bringt. Anton Rödin ist Ausländer Nummer 6. Aber bald werden die Nummer sieben und acht folgen. Da der Trainer nicht in Frage gestellt werden kann, wird der HCD in den nächsten Monaten wohl mindestens eine Million in zusätzliche Ausländer investieren.
Das ist schön für Arno Del Curto. Aber ist es auch gut für den HCD? Die Hockeygötter mögen uns vor der schweren Sünde einer Polemik gegen den «ewigen» Trainer unseres Hockeys bewahren.
Aber es ist, wie es ist. Der HCD hat ein Trainerproblem. Eine neue Spielergeneration hat immer weniger Sinn für eine hochalpine «Hockeyromantik», die Arno Del Curto personifiziert. Es gehört zu seinen Stärken, dass er authentisch ist. Dass er sich nicht verbiegen lässt. Dass er ist, wie er ist.
Sein Pech ist es, dass sich nicht nur das Hockey verändert. Dass sich auch die Gesellschaft verändert. Dass beispielsweise die Aufmerksamkeitsspanne der «Generation Smartphone» vielleicht noch fünf oder sechs Minuten beträgt, wenn der Trainer tobt. Aber nicht mehr eine halbe Stunde wie noch um die Jahrhundertwende.
Es gibt eine Episode aus den letzten Tagen, die uns zeigt, wie gefährlich die Situation beim HCD ist.
Im kleinen Kreis ist mit HCD-Entscheidungsträgern die Torhüterfrage diskutiert worden. Ein Argument eines Aussenstehenden war: Der HCD hat doch mit Gilles Senn und Joren van Pottelberghe zweimal die Playoffs und einmal sogar das Halbfinale erreicht! Die beiden jungen Goalies können nicht so schlecht sein. Immerhin sind beide bereits durch den NHL-Draft gegangen! Das Gegenargument: Aber wir haben wegen der Goalies das Halbfinale 2017 verloren!
So ist das im Herbst 2018 in Davos: Die Verantwortlichen sind nach wie vor auf Spitzenmannschaft, auf den nächsten Titelgewinn programmiert. Zwar sagen sie brav, es gehe erst einmal um die Playoffs. Aber das sagen in Davos seit Jahren alle. Im Herzen hält sich jeder für «unabsteigbar». Dabei gibt es eine Warnung der Geschichte: Vier Jahre nach dem Titel von 1985 ist der HCD abgestiegen.
Wer sich für «unabsteigbar» hält, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, gerät in höchste Gefahr.
Mit dieser inneren Haltung ist im letzten Frühjahr der «unabsteigbare» EHC Kloten abgestiegen. Übrigens auch mit einem ausländischen Torhüter im Kader.