Eine Auferstehung von historischen Dimensionen. Die ZSC Lions verpassten letzte Saison als Titelverteidiger die Playoffs. Nun haben die Geschmähten die fünf ersten Heimspiele gewonnen.
Solcherlei ist letztmals im Herbst 2004 unter Trainer Christian Weber (heute bei Lustenau) gelungen. Im Frühjahr 2005 reichte es dann zum verlorenen Final gegen den HC Davos. Nur noch einer dieser herbstlichen Helden spielt heute noch mit. Zumindest auf der Bühne. Tim Ramholt, damals Verteidiger, ist der Leadsänger der Rockband «We and the Bulls» mit dem aktuellen Aussenbahnkünstler Roman Wick als Gitarrist.
Sportchef Sven Leuenberger (50) ist ein weitgereister Hockeymann. Der ehemalige Nationalverteidiger und SCB-Sportdirektor mahnt zu nüchterner Beurteilung. Er weiss zu gut, dass die Könige des Herbstes schon oft die Bettler des Frühjahres waren. Die Liga sei so ausgeglichen, dass die Tabelle eine Falle sei, in die man mit jeder Analyse hineinfalle könne.
Das Lob sei trotz des gesunden Realismus des klugen Sportchefs gestattet: Der Stilwechsel der «Löwen» ist spektakulär. Sie stürmen. Sie checken. Sie schiessen. Sie berennen unablässig die gegnerische Zone, haben ligaweit am meisten Tore erzielt und führen die Tabelle an.
In drei der fünf Heimpartien gegen Davos, Lausanne, Gottéron, Ambri und Biel haben die Statistiker mehr als 40 Torschüsse notiert. Ein solches Spektakel ist im Hallenstadion seit der Einführung der Torschussstatistik noch nicht geschaut worden. Eigentlich hatten sich letzte Saison dieses Hockey alle nach der Verpflichtung von Arno Del Curto erhofft.
Es ist eine Ironie der Hockeygeschichte, dass erst sein Nachfolger zumindest vom Unterhaltungswert her «Arno-Hockey» spielen lässt. Arno Del Curto kommentiert übrigens weder das Geschehen bei den ZSC Lions noch jenes beim HC Davos. Er plaudert gut gelaunt am Hosentelefon über Gott und die Welt. Allerdings unter einer Bedingung: Fällt in irgendeinem Zusammenhang das Wort «Eishockey», wird das Gespräch sofort beendet.
Diese neue ZSC-Herrlichkeit kommt schon ein wenig unerwartet. Denn an der Bande steht mit Rikard Grönborg (51) ein Schwede.
Die schwedischen Trainer gelten eigentlich als Hexenmeister des taktischen «Schablonismus» und nicht als Spektakelbringer.
Eine solche Einschätzung provoziert Sven Leuenberger zum Widerspruch: «Das Auftreten unserer Mannschaft überrascht mich nicht. Rikard Grönborg setzt das um, was er uns verkauft und versprochen hat. Aber vor der Saison wollte uns niemand glauben, dass ein schwedischer Trainer solches Hockey spielen lässt.» Vor der Saison hat ein Chronist gar die Prognose gewagt, die ZSC Lions würden wieder Meister – aber nicht unter Rikard Grönborg. Diese Weissagung könnte sich als spektakulärer Irrtum erweisen. Aber ein anderer grosser Chronist – Johann Wolfang von Goethe – hat ja einmal gesagt, nur irrend lerne man.
Der ehemalige schwedische Nationaltrainer (und zweimalige Weltmeister) ist zwar tatsächlich Schwede. Aber sein Hockeyweltbild wurde in den 15 Jahren geformt, die er als Juniorentrainer und Manager in Nordamerika verbracht hat. Der charismatische Kommunikator eignet sich im Wesen und Wirken zum Gegenentwurf eines typischen Schweden.
Sven Leuenberger bringt den erfrischenden Auftritt seiner Mannschaf in Zusammenhang mit dem neuen Trainer, der mit seiner Art zur neuen Spielergeneration passe. «Es genügt nicht mehr, wenn einer mehrmals hintereinander ‹f…› sagt. Meine Generation liess sich noch regelmässig vom Chef zusammenfalten. Heute kommt ein Trainer nicht weit, wenn er polternd erklärt, was falsch läuft. Er muss Antworten und Lösungen präsentieren.»
Neuer Trainer, neues Glück und allenthalben eine Neuorientierung nach den verpassten Playoffs. Der ZSC-Sportchef sagt: «Die missglückte letzte Saison hat zu einem Umdenken geführt.»
Auch rein hockeytechnische Faktoren tragen zum herbstlichen ZSC-Glück bei. Die Mittelachse ist nun so gut, dass der Ausfall des schwedischen Centers Marcus Krüger gar nicht ins Gewicht fällt.
Das war vor einem Jahr anders. Nach dem Ausfall von Roman Cervenka (nun bei den Lakers) musste Pius Suter (23) die zu schwere Last des Erstlinien-Centers tragen. Er kam in 41 Partien gerade mal auf 9 Tore. Jetzt ist er im ersten Sturm auf den Aussenbahnen in 9 Spielen schon zu 6 Treffern geflogen.
Der ZSC-Sportchef sagt, das Verletzungspech sei letzte Saison ein wichtiger Grund für das Scheitern gewesen. «Aber wir werden als grosse Organisation wahrgenommen und wenn uns gleich mehrere wichtige Spieler fehlen, wird es ignoriert. Wenn hingegen in Biel oder Langnau ein paar Spieler verletzt sind, gibt es gleich eine Sondersendung im Fernsehen.»
Es war eben noch nie einfach, der grosse ZSC zu sein.
Bis jetzt war das noch nicht der Fall oder nötig.
Die Frage ist, können sie das über eine ganze Saison tun?
Wir werden es sehen!
Auf eine spannende Saison!