Nach der 2:5 Niederlage gegen Biel wird Berns grosser Trainer Kari Jalonen gefragt, wie er nun die Partie gegen die New Jersey Devils vorbereite. Er sagt: «Nicht so wie andere Spiele.» Und auf die zweite Frage, ob es darum gehe, diesen Gegner zu besiegen oder einfach dieses Spiel zu überleben, ergänzt er: «Es geht darum, Spass zu haben.»
Auch die SCB-Spieler werden natürlich von den Chronisten zum kommenden Spektakel gegen die New Jersey Devils befragt. Und durchs Band hinweg ist die Rede von einem tollen Erlebnis. Als stehe die Hochzeitsnacht bevor. Nur davon, dieses Spiel zu gewinnen, spricht keiner.
Das ist typisch für den nach wie vor viel zu grossen Respekt vor der berühmtesten, besten und wichtigsten Liga der Welt. In Bern hat sich in den zehn Jahren seit dem schmählichen 1:8 gegen die New York Rangers in einem Testspiel im Oktober 2008 nichts verändert.
Natürlich ist die Partie gegen New Jersey ein «Jahrzehnt-Spiel.» Aber wir haben inzwischen eine so starke Liga, eine so hoch entwickelte Hockeykultur, dass diese Ehrfurcht vor der Mythos NHL völlig fehl am Platz ist.
Die NHL kommt – na und? An einem guten Abend kann der SCB die New Jersey Devils besiegen. So gut wie die ZSC Lions schon gegen Chicago gewonnen haben. Aber ein gutes Resultat ist natürlich nur möglich, wenn jeder daran glaubt. Und das war beim SCB am Samstagabend noch nicht der Fall.
Wenn es je ein praktisches Beispiel für die schöne Redewendung gegeben hat, wonach man die Wichtigkeit habe, die man sich selber gebe, dann erleben wir es in diesen Tagen in Bern.
Die amerikanischen «Hockey-Imperialisten» haben in Bern das Szepter übernommen. Sie passen sich nicht der Hockey-Kultur ihres Gastgebers an. Sie setzen wie selbstverständlich ihre Sitten und Bräuche durch. So ist auch klar, dass nach NHL-Regeln gespielt wird. Je ein Head- und ein Linienrichter kommen aus der NHL. Die wichtigste Regeldifferenz: wer prügelt, wird zwar auch, wie bei uns, mit fünf Minuten bestraft, kann aber anschliessend wieder spielen. Erst nach dem zweiten Prügel-Ausschluss wird ein Spieler unter die Dusche geschickt.
Die Devils hausen in der Gästekabine des Berner Hockey-Tempels. Sie haben sich wohnlich eingerichtet und den Kabinengang mit allerlei «Kalender-Sprüchen» wie «play for each other» versehen. Solche Allerweltsweisheiten hängen in Nordamerika in allen Kabinengängen.
Wären wir nun politisch nicht korrekt (wir sind es aber), dann würden wir spotten und sagen: so war es wohl, als in alten Zeiten der britische Gouverneur von Hyderabad eine Cricket-Partie organisieren liess um den staunenden Einheimischen zu zeigen, wie man richtig Cricket spielt und organisiert.
Gut, das ist böse. Aber die Wirkung des «Mythos NHL» ist in Bern, in der Hockey-Hauptstadt Europas, schon erstaunlich.
Es ist faszinierend, wie Trainer, Sportchefs und Fans aus dem ganzen Land herbeigeeilt sind, um am Sonntag das Training der Devils im Berner Hockey-Tempel zu verfolgen.
Die Übungsstunde der Devils unterscheidet sich kaum von einem SCB-Training. Es ist ein typisches NHL-Training: Geübt wird das System, es ist für die Spieler anspruchslos (ein bisschen wie im Militär), aber intensiv. Ein durchschnittliches NLA-Training ist weniger intensiv, dafür kreativer und vielseitiger.
Aber es ist einfach alles wichtig. Es stehen bei der Spielerbank mehr Trinkflaschen herum, mehr emsige Helfer sind tätig, mehr Handtücher werden herumgereicht und mehr TV- und Videokameras zeichnen auf, was passiert.
So entsteht der Eindruck, hier sei ganz einfach eine viel bessere, wichtigere Mannschaft als der SCB im Einsatz.
Wir bescheidenen Schweizer werden nie lernen, so wichtig zu tun und herumzustehen wie ein echter NHL-Funktionär. Hockey-Bern verneigt sich in diesen Tagen vor den selbstbewussten, doch jederzeit freundlichen NHL-Abgesandten wie einst die alten Patrizier vor den Vertretern des französischen Königshofes.
Das ist es, was wir von der NHL lernen können: Die eigene Wichtigkeit zu zelebrieren und einen Mythos pflegen.
Dieser Mythos ist ein Teil des Geschäftes. Die NHL muss sich im gnadenlosen Sportkapitalismus Nordamerikas als Milliardengeschäft behaupten. Nur wer die eigene Wichtigkeit zu betonen und zu zelebrieren vermag, hat überhaupt eine Chance, wahrgenommen zu werden.
Wer Milliardäre dazu bringen will, zu investieren, muss richtig auftreten. Dazu gehört übrigens auch der respektvolle Umgang mit der eigenen Geschichte. Die Helden von einst werden verehrt, die Helden von damals kennt jeder Fan. Erst wer eine Geschichte hat und sie kennt, ist wichtig.
Item, sportlich hat ein Team aus unserer höchsten Liga keinen Grund mehr, sich vor einer Mannschaft aus der NHL zu verstecken. Wir können sportlich nicht mehr viel, von der Art und Weise, wie ein Geschäft aufgezogen wird, jedoch noch sehr, sehr viel von der NHL lernen.
Diese viel zu grosse Ehrfurcht habe ich vor 30 Jahren hier in Bern schon einmal erlebt. Im Dezember 1986 kommen die Sowjets zu einem Gastspiel nach Bern.
Was die NHL heute, das waren die Sowjets (also die Vertreter der russischen Eishockey-Kultur) damals: unbesiegbare Titanen, die wir bestaunten. Ein Mythos.
Die Spieler redeten vor diesem Länderspiel genau so wie jetzt die SCB-Stars vor der Partie gegen New Jersey. Vom Erlebnis war die Rede. Wie toll und einmalig das sei.
Die Russen besiegen? Daran dachte niemand auch nur im Traum. Ein kräftiger Stürmer, dessen Name mir längst entfallen ist, hatte das Aufgebot für die Partie gegen die UdSSR mit der Begründung abgelehnt: «Gegen Fetisow spielen? Nein, danke!». Slawa Fetisow war damals wahrscheinlich der beste Verteidiger der Welt. Er ist später auch Stanley Cup-Sieger geworden.
Die Partie im Berner Hockeytempel gegen die Russen war ein rauschendes Fest. Wir verloren kläglich 2:10.
Heute lachen wir über die damalige Heldenverehrung. 1998 haben wir die Russen erstmals im Rahmen einer WM besiegt, 2000 in St. Petersburg packen wir den einst übermächtigen Gegner sogar bei einer WM in Russland. Ein Gastspiel einer russischen Nationalmannschaft ist heute eine Partie wie jede andere auch. Nur das Resultat zählt.
Noch sind wir nicht soweit, auch eine Partie gegen ein NHL-Team wie ein gewöhnliches Spiel zu sehen. Diesen letzten Schritt haben die SCB-Spieler noch nicht gemacht. Auch deshalb spielen sie beim SCB und nicht in der NHL.
Gegen die New Jersey Devils antreten – na und? Der Schlüsselspieler der Devils (Nico Hischier) ist ja auch nur ein ehemaliger … SCB-Junior.