Ein Nordamerikaner erfasste es instinktiv. Hollywood! Ein ganzes Drama, eine ganze Karriere in der Nussschale dieses einzigen Wortes.
Zornig, ja aufgebracht rief ZSC-Meistertrainer Marc Crawford im Frühjahr 2015 «Hollywood!». So beklagte er sich über das Theater, das Biels Trainer Kevin Schläpfer während der Viertelfinalserie an der Bande inszenierte. Die Zürcher schafften mit dem grossen kanadischen NHL-Bandengeneral im 7. Spiel doch noch das Halbfinale und verloren erst im Finale gegen Davos.
«Hollywood!» ist drei Jahre später wieder das einzig wahre Wort für die aufregenden Hockey-Wirklichkeiten. Nur dass alles noch viel dramatischer geworden ist. Biel zelebriert im Halbfinal die aufregendsten Tage seit dem Wiederaufstieg von 2008. Die Chance, gegen Lugano zum ersten Mal in der Geschichte den Final zu erreichen, stehen mindestens 50:50.
Es ist eine «Jahrhundert-Chance» für die Bieler. Die Konstellation, in den Final zu kommen, ohne vorher gegen die ZSC Lions oder den SC Bern antreten zu müssen, wird es vielleicht auf Jahre hinaus nicht mehr geben. Sie ist so selten wie Jupiter, Mars und Saturn in einer geraden Reihe am Nachthimmel.
In einer heilen Welt sässe Kevin Schläpfer jetzt hoch verehrt im Bieler Hockeytempel in der VIP-Loge neben seiner Freundin oder als Experte im TV-Studio, um den wundersamen Erfolg «seines» Klubs zu kommentieren. Er hat schliesslich als Sportchef und Trainer das Fundament für diesen Vorstoss ins Halbfinale gelegt. Er spielte bei der Entwicklung Biels vom Aufsteiger und Aussenseiter zum Spitzenteam und Herausforderer der Titanen jahrelang eine zentrale Rolle.
Aber ausgerechnet jetzt, da in Biel die Post abgeht wie nie zuvor im 21. Jahrhundert, ringt und bangt und zittert Kevin Schläpfer mit Kloten um den Ligaerhalt – und um alles, was er sich in den letzten 20 Jahren aufgebaut hat: um seine berufliche Reputation und um seine Zukunft in der Branche. Steigt Kloten ab, dann ist sein schöner Vertrag bis 2020 nur noch Makulatur. Und er würde so schnell in unserem Profihockey keinen neuen, gleichwertigen Job finden. Läuft's dumm, wäre seine nächste Station keine Hockey-Arena, sondern ein RAV im Baselbiet.
Kevin Schläpfer konnte sich in Biel nur entfalten und Wunder wirken, zum «Hockey-Gott» mit dem Charisma eines Rockstars werden, weil sein Rückhalt auf allen Ebenen bedingungslos war. In der Kabine, im Management, im Verwaltungsrat, im Publikum und in den Medien. Seine Sensibilität ist die eines Künstlers. Sie ist immer wieder unterschätzt worden.
Als er diesen Rückhalt in Biel verlor, ging seine Zeit mit der Entlassung am 14. November 2016 nach elf Jahren zu Ende. Deshalb ist Kevin Schläpfer jetzt, da «sein» Biel nach den Sternen greift, in den sportlichen Niederungen Trainer des EHC Kloten.
Es gehört zu dieser Geschichte, dass die Entlassung von Kevin Schläpfer für Biel der Schritt aus dem Mittelmass war. Mit seiner Entlassung ging das Zeitalter der Romantik, des Abenteuers, des Rock’n’Rolls zu Ende. Mit der Entlassung von Kevin Schläpfer hat Biel die «Pubertät» hinter sich gelassen und ist erwachsen geworden. Die Aufregung ist einer ruhigen Professionalität gewichen.
Zu diesem Schritt weiter nach oben gehört die Verpflichtung von Antti Törmänen. Zum ersten Mal wird Biel nicht mehr von einem «Familienmitglied» geführt. Sondern von einem Trainer, der von auswärts kommt. Der keine «familiären» Rücksichten nehmen muss. Der keine Vergangenheit in Biel hat. Ein Trainer, der Biel nicht mehr als Aussenseiter wahrnimmt. Sondern ganz einfach als Mannschaft, deren Potenzial es zu nützen gilt.
Die Anstellung des ersten auswärtigen Trainers hätte auch einen Kulturschock auslösen können. Aber der freundliche Antti Törmänen erweist sich als Glücksfall. Die Befürchtungen haben sich vorerst zerstreut, er könnte zu freundlich sein wie damals in Bern, als er im November 2013 als Meistertrainer gefeuert wurde. Der Finne mit Hang zu antiautoritärem Führungsstil hat es in Biel bereits gewagt, einen Star, der nicht bei der Sache war, im Training nach Hause zu schicken.
Und so hat Biel den Schritt in neue sportliche Höhe ohne Kevin Schläpfer vollzogen. Was ja weiter nicht so dramatisch wäre, wenn Biels «Hockey-Gott» nun an einem neuen Ort glücklich wäre oder doch in schwierigen Zeiten als «Hockey-Gott» verehrt und geschätzt würde. Wie damals in Biel.
Aber so ist es nicht. Kloten ist nicht Biel. Das Glatttal nicht das Berner Seeland. Auch unter «Hockey-Gott» Kevin Schläpfer hat Kloten in 40 Spielen 28 Niederlagen eingefahren und muss nun in den Playouts gegen Ambri antreten.
Anders als in Biel hat er in Kloten in einer stürmischen Zeit nicht den gleichen Rückhalt in der Kabine, im Management, im Publikum und den Medien wie damals in Biel. Das hat er in den letzten Tagen gespürt. Offiziell findet er die Unterstützung von Felix Hollenstein und André Rötheli toll. Die beiden Kumpels sitzen neuerdings bei Heimpartien auf der Tribüne und schneiden die wichtigen Spiel-Szenen laufend auf dem Laptop zur sofortigen Verwendung für ihren Trainer zurecht.
Aber Kevin Schläpfer ahnt inzwischen, dass ihn weder Klotens «Hockey-Gott» Felix Hollenstein noch André Rötheli tief im Herzen ernst nehmen. Er sagt: «Ich komme aus Biel und dort habe ich eine Rolle beim Aufstieg, bei der Rettung vor dem Abstieg und bei der Qualifikation für die Playoffs gespielt. Das zählt in Kloten, einem Klub, der fünf Titel gewonnen hat, wenig bis gar nichts. Ich spüre, dass ich hier bloss einer aus der Hockey-Provinz bin. Ich kann irgendwie verstehen, wenn sich hier wichtige Leute sagen: Was will der Schläpfer hier? Was will denn der uns sagen?» Er weiss, dass er in Kloten alleine ist.
Der romantische Hockey-Optimist sagt nun: Kevin Schläpfer hat keine Chance – also packt er sie. Diese ultimative Herausforderung wird dazu führen, dass wir noch einmal den wahren Kevin Schläpfer erleben. Er wird in Kloten noch einmal zum Klassenerhalt rocken.
Der realistische Hockey-Pessimist sagt: Kevin Schläpfer hat tatsächlich keine Chance. All seine taktischen Massnahmen und Motivations-Tricks mahnen nur noch an das Umstellen der Liegestühle auf der Titanic. Ein Hockey-Rockstar auf der Titanic. Kloten ist nach 56 Jahren in der NLA zum Untergang verurteilt.
Ein neutraler Beobachter, der einfach nur die aktuelle Situation kennt und nichts über Klotens und Ambris Geschichte weiss, stellt vor den Playouts fest: Ambri ist auf einer Mission. Sportchef, Trainer und Spieler wissen, was sie wollen. Sie kämpfen vereint um die Existenz und um die gemeinsame Zukunft.
In Kloten hingegen hat die Hälfte der Spieler die Zukunft längst bei anderen Klubs geregelt. Ausser Kevin Schläpfer kämpft niemand mehr um die Existenz und es gibt keine gemeinsame Zukunft. Klotens Trainer hat eigentlich nur eine Bitte an das Hockey-Schicksal: «Nur ja nicht eine Liga-Qualifikation gegen Olten. Das wäre ein Albtraum.»
Dieses Szenario wird so oder so nicht eintreten. Entweder rettet Kevin Schläpfer Kloten vorzeitig und die Liga-Qualifikation entfällt. Verliert er die Playouts gegen Ambri, wird er gefeuert.
Kloten gerettet oder gefeuert – in beiden Fällen hätte er dann Zeit, ein Finale mit Biel im TV-Studio zu analysieren. Das wäre ein letztes Mal «Hollywood» mit Kevin Schläpfer und dem EHC Biel.