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Eismeister Zaugg

Stell dir vor, es ist Fussballmatch und fast niemand geht hin

Die Spieler laufen ins leere Stadion im Fussball Meisterschaftsspiel der Super League zwischen dem Grasshoppers Club und dem FC Sion, im Letzigrund, am Mittwoch, 22. Mai 2019 in Zuerich. (KEYSTONE/Enn ...
Leere Ränge im Letzi.Bild: KEYSTONE
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Stell dir vor, es ist Fussballmatch und fast niemand geht hin – aber es funktioniert!

Wenn wir mit dem Virus leben müssen, dann sind der bezahlte Fussball und das bezahlte Eishockey, so wie wir es heute kennen, nicht mehr finanzierbar. In einer sich rasch verändernden Welt braucht es neue, unkonventionelle, revolutionäre Geschäftsmodelle. Aber eines bleibt: die Bedeutung der Fans als Kunden.
05.07.2020, 13:3205.07.2020, 13:46
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Fussball und Eishockey sind Massenveranstaltungen mit hohem Erlebniswert. Noch so gute TV-Technik kann das Erlebnis «dabei gewesen zu sein» nicht ersetzen. Trotz neuen Ertragsmöglichkeiten (Werbung, Catering, Merchandising, TV-Gelder) bleiben die Zuschauereinnahmen eine wichtige Finanzierungsquelle. Fallen die Ticket-Verkäufe weg, gibt es auch das Gastro-Geschäft nicht mehr und der Spielbetrieb ist nicht mehr finanzierbar.

Wegen der Virus-Krise weiss inzwischen niemand mehr, ob die nächste Fussball- oder Eishockey-Meisterschaft an den vorgesehenen Daten im September starten kann. Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen, was zu tun ist, wenn eine Meisterschaft ohne oder nur mit eingeschränktem Publikum gespielt werden muss.

Einen interessanten Teil der Antwort haben wir bereits bekommen. Die Hockeyclubs verkaufen auch in Zeiten der Virus-Krise Saisonkarten. Obwohl die Gegenleistung (Spiele mit Zuschauern) nicht garantiert werden kann. Das hat es so in unserem Sport noch nie gegeben. Der Verkauf der Saisonabis läuft im Hockey trotz der Ungewissheit gut.

Nun gibt es zwei Erklärungen: Es kann sich einfach nach wie vor niemand vorstellen, dass wir im nächsten Herbst nicht mehr ins Stadion dürfen. Aber noch etwas anderes ist denkbar: Die Verbundenheit mit dem Klub ist viel stärker als bisher angenommen. Der Kauf einer Saisonkarte ist gerade in schwierigen Zeiten ein Treuebekenntnis zum Klub. Die interessante Frage ist: Wären die Fans auch dann bereit, gleich viel oder gar noch mehr zu bezahlen, wenn sie nicht ins Stadion gelassen werden und für ihr Geld auf andere Art und Weise einen privilegierten Zugang zum Klub bekommen?

Gibt es also eine Alternative zum bisherigen Spielbetrieb (Zugang zum Stadion gegen Bezahlung)? Ja, die gibt es. Wenn die Fans nicht mehr zum Spiel gehen können, dann muss das Spiel zu den Fans kommen.

Machen wir ein praktisches Beispiel: Die ZSC Lions kümmern sich selbst um die TV-Produktion ihrer Heimspiele. Zum ungefähr gleichen Betrag wie für eine Saisonkarte (der Preis ergibt sich aus einer Mischrechnung der verschiedenen Kategorien) bekomme ich den exklusiven Zugang zu den TV-Bildern meines Heimklubs. Und wenn ich nur ein Heimspiel sehen will, dann kann ich mir im Netz dieses eine Spiel zum etwa gleichen Betrag kaufen, wie ich bisher für ein Einzelticket bezahlt habe.

ZSC Lions Verteidiger Christian Marti (#54) und seine Mitspieler auf dem Weg in die Garderobe nach der 3-0 Niederlage im Eishockey-Meisterschaftsspiel der National League zwischen den SC Rapperswil-Jo ...
Januar 2020, als die Zuschauer noch im Stadion das Spiel verfolgten.Bild: KEYSTONE

Was ich für die TV-Bilder erstatte, geht direkt in die Kasse meines Klubs. Ich unterstütze meinen Klub als TV-Zuschauer genau so wie früher mit dem Kauf eines Tickets. Die Bereitschaft, Geld auszugeben, das meinem Klub zugutekommt, dürfte viel höher sein als die Bereitschaft, einem «anonymen» TV-Unternehmen Geld zu überweisen. Die Fans gewinnen so an Bedeutung und die Klubs werden sich intensiver um ihre Anhänger bemühen müssen und können gegen Aufpreis weitere Möglichkeiten zur Teilnahme am Klubleben offerieren. Eine Chance für die Kreativen, ein Plus an Kundenfreundlichkeit und ein Minus an Arroganz.

Ein Hockeyunternehmen verkauft also seine Heimspiele selbst auf dem TV-Markt. Was technisch möglich ist. Wer meine Heimspiele sehen will, wer also live dabei sein will, muss ungefähr gleich viel bezahlen wie bisher für den Stadionbesuch. So wird das TV-Erlebnis ähnlich exklusiv wie zuvor der Stadionbesuch. Und die Klubs können ihre Werbepartner viel besser in die eigenen TV-Produktionen integrieren. In der NHL gibt es bereits Beispiele für dieses Modell: Die Rangers mit ihrem eigenen TV im Madison Square Garden. In diesem Markt der Zukunft überlassen die Klubs und Ligen die TV-Bilder den TV-Stationen für die Schweizer Meisterschaft nur noch für Zusammenfassungen oder zeitverschobene Übertragungen verkauft.

Die wenigen, übriggebliebenen, noch erlaubten Plätze in den Stadien gelangen zu den Preisen zum Verkauf, die heute für VIP-Logen verlangt werden. Und wehmütig werden die Alten sagen: Ach, waren das noch wilde Zeiten, als es in den Stadien Stehplätze gab!

Die Bilder zum Geisterspiel-Abend in der National League

Im grossen, globalen TV-Markt funktioniert dieses Modell natürlich noch nicht. Weil Live-Rechte in diesen Märkten mit einem TV-Publikum im zwei oder gar drei- und vierstelligen Millionenbereich den global operierenden Pay-TV-Stationen und den Klubs Milliarden einbringen. Aber die Klubs bzw. die Ligen werden sich eher früher als später eine grundsätzliche Frage stellen: Warum überlassen wir das grosse TV-Geschäft eigentlich TV-Stationen und warum machen wir dieses Geschäft nicht selbst? Wenn TV-Stationen bereit sind, uns im globalen Geschäft Milliarden für Live-Rechte zu bezahlen, dann verdienen sie damit sehr viel Geld, das sie uns mit der Bezahlung der TV-Rechte nicht vollumfänglich weitergeben.

Der TV-Markt Schweiz ist ein Sonderfall und funktioniert nach anderen Gesetzen. Das Potenzial entspricht ungefähr dem Grossraum München und die Einschaltquoten im Pay-TV bewegen sich in der Regel im tiefen fünf- oder gar im vierstelligen Bereich. Bloss ein Nischen-Markt. Alle, die TV-Rechte im nationalen Hockey oder Fussball fürs helvetische Bezahl-TV einkaufen, schreiben tiefrote Zahlen. Eine Refinanzierung ist nicht möglich.

MySports (gehört UPC) dürfte mit den Hockey-Rechten mehr als 20 Millionen verlieren – pro Jahr. Für die Klubs sind die TV-Einnahmen in der Schweiz viel zu gering und eine Steigerung ist höchst ungewiss. Im Hockey ist das TV-Geld nicht viel mehr als ein Zustupf, der etwa beim SC Bern nicht einmal fünf Prozent der Einnahmen ausmacht. In einem so kleinen TV-Markt wie in der Schweiz könnte also der «Direktverkauf» der TV-Bilder an die eigenen Fans viel eher funktionieren als im globalen TV-Geschäft.

Leute arbeiten in den Studios in der Romandie von UPC MySports in Rossens am Mittwoch, 6. September 2017. (KEYSTONE/Christian Merz)
Ein Blick in die Studios von MySports.Bild: KEYSTONE

Die Frage ist natürlich: Aus dem TV-Auge, aus dem Sinn? Könnten sich die höchsten Ligen im Fussball und im Hockey bei uns tatsächlich einen auf die eigenen Fans eingeschränkten TV-Bereich leisten? Verlieren sie dann nicht ihre Bedeutung? Sind frei zugängliche TV-Bilder nicht der Sauerstoff des Sport-Geschäftes?

Solche Fragen waren bisher nie ein Thema. Aber wenn sich die Welt verändert, wenn wir künftig mit einer latenten Virus-Bedrohung leben müssen, wenn die Fussball- und Hockeyspiele, wenn Sport-Events überhaupt als Massen-Veranstaltungen, wie wir sie bisher gekannt haben, nicht mehr oder nur noch in eingeschränkter Form möglich sind – dann hängt das kommerzielle Überleben an genau solchen Fragen. Im helvetischen Fussball und Eishockey werden die TV-Rechte in den nächsten zwei Jahren neu vergeben. Damit besteht die Chance für eine komplette Neugestaltung der TV-Landschaft.

Um eine bestehende Marke (erfolgreiche Klubs sind Marken) zu hegen und zu pflegen, aber auch, um Live-Bilder von Sportereignissen (also nicht nur von Fussball- und Hockeyspielen) zum interessierten Kunden zu bringen und mit Werbeeinnahmen zu verknüpfen, gibt es in der Welt von heute und morgen längst andere und bessere Kanäle als das TV-Geschäft, wie wir es bisher kannten.

Unabhängig von der Virus-Krise kommt unser nationales Profi-Geschäft im Fussball und im Hockey nicht um tiefgreifende Reformen herum. Dazu gehören neben der Entwicklung neuer, revolutionärer Geschäftsmodelle auch die Anpassungen der Infrastruktur (nur noch Sitzplätze und personalisierte Tickets) und funktionierende Kostenkontrolle (wie Salärbegrenzungen) nach dem Vorbild der nordamerikanischen Ligen.

Heute noch unvorstellbar, ja absurd, aber in einer Welt von morgen und übermorgen nicht mehr auszuschliessen: Stell dir vor, es ist Fussball- und Hockeymatch, es ist Töff- oder Formel-1-Rennen und fast niemand kann hingehen – aber es funktioniert immer noch!

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11 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Elpampa
05.07.2020 15:23registriert September 2018
Die Abschaffung von Stehplätzen wäre einem Todesstoss gleichzustellen!
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Parkwächter
05.07.2020 14:37registriert Oktober 2017
Ich denke mal, für viele Fans gehört es zur Identität, seinen Verein im Stadion zu unterstützen. Man treibt sein Team nach vorne, will seinen Teil zu einer guten Leistung beitragen.
Man sieht sich als Teil des Teams und nicht in erster Linie als Finanzier.
Und wenn es dann "ewig" keine Stehplätze mehr geben sollte, würde für viele der Sinn am ganzen Fansein vergehen.
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Schneemaa
05.07.2020 20:35registriert August 2016
Das ist wie Homepffice: lustig über eine gewisse Zeit, aber irgendeinmal fehlen die sozialen Kontakte, die Kaffeepause das Bier mit den Kollegen, die Wurst in der Pause. Fehlt das permanent ist das nicht mehr interessant.
Ich bin deshalb sicher: das würde nicht funktionieren, früher oder spätee würdem sich die wirklich interessierten der Premier League oder der NHL zuwenden.
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Nur einer erhält die Bestnote – so gut waren die NHL-Schweizer diese Saison
Die Regular Season 2023/24 in der NHL ist vorbei – und die Bilanz der Schweizer durchzogen. Während Roman Josi überragte, gab es einige Enttäuschungen.

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