In den letzten 20 Jahren hatte Langnau gefühlte 50 Ausländer in Lohn und Brot. Aber nur vier Namen kommen den Emmentalern spontan in den Sinn: der nicht immer nüchterne Rock’n’Roller Todd Elik, Weltmeister Harri Pesonen, der nüchterne Rock’n’Roller Chris DiDomenico und Ville Koistinen. Wobei der letztgenannte finnische Verteidiger mehr mit Frauengeschichten als Leistungen auf dem Eis für Aufsehen im Dorf sorgte.
Die Langnauer sind durch die letzten drei Partien getaumelt. Dass sie auf wundersame Weise gegen Ambri (4:3) und nun gegen Lugano (3:2) trotzdem gewonnen haben, verdanken sie den Tempoblitzen von Harri Pesonen, der Leidenschaft, dem Genie und der Unberechenbarkeit von Chris DiDomenico und den Paraden von Ivars Punnenovs. Und dem Eingreifen des Verwaltungsrates.
Gestern Freitagmorgen brannte der Baum in Langnau. Der sonst so besonnene und kluge Sportchef Marco Bayer hatte sich in der klubnahen «Berner Zeitung» zitieren lassen, Chris DiDomenico müsse sich beweisen. Es sei noch nicht sicher, ob die Verlängerungsoption per Ende Januar eingelöst werde.
Langnaus charismatischer Leitwolf ist eine eigenwillige und sensible Persönlichkeit. Wie die meisten Spieler mit einer Prise Genie und der Fähigkeit, Partien zu entscheiden. Er will unbedingt in Langnau bleiben. Das Tal der zornigen Winde ist seine zweite Heimat geworden. Erst recht, seit ihn die Langnauer nach dem erzwängten und gescheiterten NHL-Abenteuer im Sommer 2018 wie einen verlorenen Sohn wieder aufgenommen haben.
Die Äusserung des Sportchefs, die ihm am Freitag natürlich umgehend zu Ohren gekommen ist, versetzte ihn in Aufruhr. Sie fühlte sich für ihn an wie Verrat. So wie wenn ein treuer Dienstbote im Wirtshaus vernehmen muss, der Meister wolle ihn vom Hof jagen. Die Dummheit, die Langnau fast den Sieg gegen Lugano gekostet und in eine Krise gestürzt hat. Die Emmentaler haben nicht viel Spatzig (= Spielraum). Ihr sportliches Glück steht auf dünnem Eis.
Langnaus Glück: Im Laufe der Zeit hat Chris DiDomenico zu einem der Verwaltungsräte, dessen Name mir gerade entfallen ist, ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Bei ihm schüttete er nun sein Herz aus und wurde beruhigt. Sodann erging an den Sportchef umgehend die Anweisung, Chris DiDomenico zu erklären, die ganze Sache sei ein missverständlicher Irrtum.
Chris DiDomenico wurde von seinem väterlichen Freund aus dem Verwaltungsrat aber auch strengstens ermahnt, nun gegen Lugano auf dem Eis eine bäumige Reaktion zu zeigen. Und siehe da: Er war der Vater des ersten Tores und des Siegestreffers zum 3:2. «Dido» hat gerockt, wie ihm aufgetragen worden ist.
Die Geschichte ist allerdings noch nicht zu einem glücklichen Ende gekommen. Der von Marco Bayers Vorgänger Jörg Reber ausgehandelte Vertrag mit Chris DiDomenico sieht nämlich vor, dass die Langnauer sich bereits bis Ende Januar und nicht erst nach der Saison zum Kanadier bekennen und die Verlängerungsoption einlösen müssen.
Marco Bayer ist darüber alles andere als glücklich und hat eigentlich vor, die Sache im Januar zu regeln. Er bittet den Chronisten für einmal vergeblich, die Sache ja nicht an die grosse Glocke zu hängen, und sagt, Chris DiDomenico soll erst einmal zum Spengler Cup fahren und dann werde man schon eine Lösung finden. Damit geht er ein erhebliches Risiko ein: Vertragsgespräche mit dem wichtigsten und sensibelsten Feldspieler ausgerechnet während der entscheidenden Qualifikationsphase im Januar mit zwölf Partien in 30 Tagen. Unruhe im denkbar dümmsten Moment.
Der Verwaltungsrat, dessen Name mir inzwischen nicht wieder eingefallen ist, wird noch einmal eingreifen und die Weisung erlassen, den Kontrakt mit Chris DiDomenico zügig, aber ohne Hast zu prolongieren.
Gewiss, ausländische Spieler kommen und gehen, die SCL Tigers bleiben bestehen. Aber die Langnauer haben neben dem SCB die taktisch berechenbarste Mannschaft der Liga.
Sie funktioniert nur so gut, weil Harri Pesonen durch Tempo und Chris DiDomenico durch taktischen Ungehorsam, Genie und viel Leidenschaft ein entscheidendes Element der Unberechenbarkeit beisteuern. Die beiden sind Langnaus Ausländer mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis seit dem unvergesslichen Duo Peter Sullivan / Neil Nicholson in den frühen 1980er Jahren. Team-Topskorer Harri Pesonen (31) hat einen Vertrag bis zum Ende der nächsten Saison.
Nicht zu unterschätzen ist auch die die Art und Weise, wie Chris DiDomenico das Innenleben der Mannschaft belebt: Er ist der personifizierte Widerspruch zu Heinz Ehlers Forderung nach absoluter Systemtreue.
Einerseits regt sich Langnaus Trainer über den Hang zur taktischen Aufmüpfigkeit seines kanadischen Stürmers auf, die halt auch mal ein Spiel kosten kann. Andererseits ist er erfreut über dessen spielentscheidende Wirkung, die soeben ein zentraler Faktor bei den Siegen gegen Ambri und nun Lugano war.
Dem Verwaltungsrat obliegt in einer Aktiengesellschaft (alle NL-Klubs haben die Rechtsform einer AG) die Aufsicht über die Geschäftsführung. Ständiges Dreinreden des höchsten Führungsgremiums ins Tagesgeschäft wäre in einem Sportunternehmen allerdings zerstörerisch. Eine kluge Führung greift ungefähr so selten ein wie der Hagelhans ins Leben seines Pächter-Paares Ueli & Vreneli im bestbekannten Gotthelf-Klassiker. So ein- oder zweimal in drei Jahren.
Das letzte Mal hat der Verwaltungsrat mit abgeschlossener Vermögensbildung, dessen Name mir einfach nicht mehr einfallen will, im Oktober 2016 eingegriffen. Er hat damals Sportchef Jörg Reber angewiesen, das unsinnige Experiment mit Trainer Scott Beattie sofort zu beenden und die Installierung von Trainer Heinz Ehlers veranlasst. Seither funktionieren die SCL Tigers wieder.
Sportchefs bedürfen halt manchmal der Aufsicht durch ihre Vorgesetzten. Nicht nur in Langnau. In Bern hat es der Verwaltungsrat bzw. SCB-Manager und Mitbesitzer Marc Lüthi diese Saison verabsäumt, Sportchef Alex Chatelain rechtzeitig anzuweisen, das bereits nach ein paar Spielen gescheiterte Goalie-Experiment im September abzubrechen und einen ausländischen Torhüter zu verpflichten.
Wegen dieser Pflichtvergessenheit ist der Titelverteidiger in die grösste Krise der Neuzeit gestolpert. Erst seit der Anstellung von Tomi Karhunen (Fangquote 92,86 Prozent) zeichnet sich endlich eine Stabilisierung ab und mit dem finnischen Goalie hat der SCB zwei der letzten drei Partien sogar auswärts gewonnen. Drei Titel in vier Jahren hatten genügt, um die sportliche Führung so arrogant werden zu lassen, dass sie meinte, der grosse SCB brauche keinen grossen Goalie.
Der Sport ist in einem Sportunternehmen eben eine zentrale Angelegenheit und viel zu wichtig, um ihn einfach den Sportchefs zu überlassen.
Auf der ernsteren Seite ist der Thematik um die Sportchefs leider nur beizupflichten. Der ideale Sportchef war ein ehemaliger Spitzen-Eishockeyaner (davon gibts einige), lebt und denkt für den Klub (durch die vielen Transfers gibts immer weniger davon), kann strukturell und strategisch denken (davon gibs nur wenige) und zu guter letzt kann er rechnen (davon gibts kaum welche). Deshalb ist es immer eine Glückssache, ob er einen guten Job macht oder nicht. Und deshalb wird dem KZ nie die Polemik abhanden kommen....was wir als Leser geniessen.
Aber der Klaus schreibt halt gerne über seine Tigerlis. Ich bin gespannt, wann Marco Bayer für die Wiederverpflichtung von Zaugg abgestraft wird. Es ist ja nichts unübliches, dass sich das Fähnlein auf dem Turm des Eismeisters schnell drehen kann.