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Für einmal bin ich etwas früher von der Hockey-WM heimgereist. Am Mittwoch noch in Moskau, am Freitag im Garten einer Villa in der Toskana. Der Grund: Kein anderer Töff-GP bietet ausserhalb des Medienzentrums und des Fahrerlagers so viel wie der Grosse Preis von Italien in Mugello. Für wenig Geld lässt sich über das GP-Wochenende eine Villa in der Umgebung mieten. Airbnb sei Dank.
Auf den ersten Blick scheinen Hockeystars und Asphaltcowboys kaum Gemeinsamkeiten zu haben. Doch nun sind mir verblüffende Parallelen zwischen unseren «Eisgenossen» von Moskau und unseren Schräglagen-Akrobaten Tom Lüthi und Dominique Aegerter aufgefallen. Es hätte mir schon früher auffallen müssen.
Die Hockeyszene und der GP-Zirkus pflegen beide eine ganz besonders ausgeprägte Machokultur. Männlichkeit, Härte gegen sich (und andere) wird nachgerade zelebriert. Ebenso gehört das Überwinden von Schmerzen dazu. Aber unter den rauen Schalen finden wir in den Bäuchen der Hockeystadien und im Fahrerlager weiche Kerne. Und wer sich verkrampft, wer zu viel will, der trifft das Tor nicht mehr oder fährt keine schnellen Rundenzeiten. Mental zerbrechlich sind manchmal beide, die rauen Hockeystars und die furchtlosen Töffhelden.
Ja, Tom Lüthi und Dominique Aegerter haben durchaus ihre Ebenbilder in der WM-Mannschaft von Moskau. SCB-Verteidiger Eric Blum und «Rohrbach-Rossi» Dominique Aegerter sind beide ganz ähnliche, coole Rock’n’Roller. Hoch talentiert, aber von der ganz grossen Bühne, der NHL, ist Eric Blum so weit entfernt wie Dominique Aegerter von der Königsklasse MotoGP.
Mit seinem unermüdlichen Fleiss, der in Moskau doch nicht zu Toren geführt hat, seiner Erfahrung und seiner ländlichen Herkunft mahnt Nati-Captain Andres Ambühl durchaus an Tom Lüthi.
Manchmal läuft es und hinterher kann eigentlich keiner richtig erklären, warum es so gut gelaufen ist. Das war so bei der Silber-WM 2013 und das war so nach dem WM-Titel von Tom Lüthi 2005 und beim GP-Sieg von Dominique Aegerter 2014 auf dem Sachsenring. Unsere Nationalmannschaft ist inzwischen von der nächsten WM-Medaille mindestens so weit weg wie Tom Lüthi vom nächsten WM-Titel und Dominique Aegerter vom nächsten GP-Sieg.
Die Analysen – oder etwas boshafter: die Ausreden – sind indes die faszinierendste Parallele zwischen Hockeystadien und Rennstrecken. Bei den Erklärungen, warum das gewünschte Resultat nicht erreicht wurde, gibt es kaum noch Unterschiede zwischen Nationaltrainer Patrick Fischer, Tom Lüthi und Dominique Aegerter.
Der Hockey-Nationaltrainer hat es etwas schwerer und deshalb ist es gut, dass er ein so guter Rhetoriker ist. Er kann ja, anders als die Asphaltcowboys, das Wetter, die Technik und die Mechaniker nicht in die Ausredenkultur einbauen. Aber ansonsten gibt es zwischen Patrick Fischers Analysen nach den WM-Partien in Moskau und Tom Lüthis und Aegerters Erklärungen nach den ungenügenden Trainingsresultaten hier in Mugello kaum Unterschiede.
Der Kern der Aussagen ist stets der gleiche: Man ist überzeugt davon, dass es klappen kann, man ist guter Dinge, es fehlte wenig, die Stimmung ist gut, das Team arbeitet super (im Eishockey die Mannschaft, im Töff das Technik-Team). Kritik gibt es höchstens leise bei jenen Faktoren, die man nicht beeinflussen kann: Was das Material beim Töff ist, sind die Schiedsrichter im Eishockey.
Töff ist, wenn der Hockey-Schiedsrichter ein Pneu ist. In der Moto2-WM fahren zwar alle die gleichen Maschinen – aber die Jungs können härtere oder weichere Reifen wählen. Und im Eishockey wird ja auch über weichere (tolerantere) und härtere (strengere) Schiris gejammert.
Früher, im letzten Jahrhundert, in der guten alten Zeit, da waren die Aussagen kerniger. Da redeten die harten Kerle so, wie sie dachten. Unvergessen bleibt beispielsweise, wie der grosse Eddie Lawson seinen frommen Rivalen Freddie Spencer verhöhnte: Er wisse jetzt, warum der Freddie ein so grosses Motorhome brauche. Damit der Altar Platz habe. Heute wäre so etwas gänzlich unvorstellbar.
Selbst die verbalen Nadelstiche von Valentino Rossi, dem grössten Töff-Kommunikator aller Zeiten, sind politisch korrekt. Und im Eishockey waren die Nationaltrainer früher nicht zimperlich. Ich erinnere mich gut, wie Nationaltrainer John Slettvoll während der Eishockey-WM 1992 in Prag im Kabinengang glühend vor Zorn einen Chronisten am Kragen packte und an die Wand drückte.
Ein Spieler ging dazwischen und verhinderte eine Schlägerei. Dass Patrick Fischer heute gegen einen Hockeychronisten tätlich wird, ist absolut unvorstellbar geworden. Er würde höchstens sagen, er sei mit einer Kritik nicht ganz einverstanden, aber es sei schon okay.
Und damit sind wir bei der wichtigsten Parallele angelangt: Sport ist im 21. Jahrhundert mehr denn je Business. Will heissen: Der Sport muss politisch korrekt sein, Niederlagen müssen schöngeredet werden. Damit nach aussen alles tipptopp und wunderbar aussieht und den Werbepartnern verkauft werden kann.
Ecken und Kanten werden erst abgehobelt und dann folgt noch eine Nachbearbeitung mit der Nagelfeile. Nur ja um Himmelswillen nicht anecken! Nur ja nichts sagen, was einen potenziellen Werbepartner verärgern könnte! Das Marketing hat im 21. Jahrhundert das Primat über das Persönlichkeitsprofil, die Wahrheit und den Sport.
Tja, solche Überlegungen reifen unter den schattigen Bäumen einer Parkvilla in der Toskana. Ist es überhaupt für einen Chronisten statthaft, von einer WM in Moskau für einmal ein paar Tage früher abzureisen und es sich in der Toskana gutgehen zu lassen? Ja, das ist es.
Als Johann Wolfgang Goethe, auch ein Chronist, im Herbst 1786 den Eindruck hatte, er verliere im grauen Weimar seine Kreativität, reiste er mit der Postkutsche in die Toskana. Er blieb nicht nur für ein Wochenende. Er blieb gleich vier Monate in Italien. Das war eben die gute alte Zeit für die Chronisten.