Ist Eishockey nun ein Spiel, ein organisiertes Experiment mit dem Zufall, also Romantik, oder halt doch eine exakte taktische Wissenschaft?
Der Zufall will es, dass zwei fast gleichaltrige Männer die Nachrichtenlage dominieren, die diese beiden extremen Positionen personifizieren. Arno Del Curto (62) ehemaliger Trainer der ZSC Lions, und Kari Jalonen (58), aktueller Coach beim SC Bern.
Mit einer Prise Jalonen hätte Del Curto die Playoffs nicht verpasst. Mit einer Prise Del Curto wäre Jalonen jetzt schon fürs Finale qualifiziert. Oder noch polemischer formuliert: Eigentlich müssten der SC Bern und die ZSC Lions die Trainer tauschen.
In einem sind diese beiden Trainer gleich: Im Streben nach Kontrolle, das gelegentlich skurrile Züge annehmen kann. Trotzdem ist ihre Hockeyphilosophie eine gänzlich andere. Kari Jalonen zerlegt das Spiel in seine Einzelteile, setzt es wieder zusammen und strebt nach der Beherrschung des Zufalls. Arno Del Curto ist ebenso besessen. Aber er versucht nicht, den Zufall auszuschliessen. Er fordert den Zufall heraus. Er versucht, den Zufälligkeiten davonzulaufen und fordert ein immer schnelleres, intensiveres Spiel.
Beide haben es in ihrem Bestreben übertrieben. Deshalb hat Del Curto den HCD verlassen und deshalb darf er nicht mehr im Hallenstadion auftreten. Und deshalb hat Jalonen in Bern Schwierigkeiten.
Die beiden extremen Trainer unterscheiden sich auch im Umgang mit den Spielern. Jalonen ist ein Kabinengeneral, der sich nur mit seiner Garde bespricht (dem «Moser-Kreis»), also mit den Leitwölfen in der Kabine. Die übrigen Spieler dürfen froh sein, wenn sie auch hin und wieder des Trainers Ohr haben. Del Curto ist schon eher ein «Hockey-Sozialarbeiter», der sich um seine Jungs auf und neben dem Eis kümmert und keine Konfrontation scheut.
Anro Del Curto, der Romantiker, muss sich einen Job suchen. Kari Jalonen, der Anti-Romantiker, kann immer noch Meister werden. Ist das das Ende der Romantik?
Nein. Es ist nur das Ende der Romantik, wie wir sie im letzten Jahrhundert kannten. Keine Sorge, Eishockey ist und bleibt ein Spiel. Aber wie schon die alten Römer sagten: Die Zeiten ändern sich und wir uns in ihnen. («Tempora mutantur et nos mutamur in illis»). Das Probelm bei Arno Del Curto und Kari Jalonen ist dabei: Sie ändern sich in den sich ändernden Zeiten nicht. Das spricht für eine starke, bewundernswerte Persönlichkeit. Aber es wird zu einem Problem im Sport, der wie nur wenige Geschäfte dem Wandel der Zeiten ausgesetzt ist.
Die Emotionen, die Zufälle, die Faszination sind unverändert da. Aber die Spieler ändern sich in den Zeiten sehr wohl. Den «Zeugen Del Curto», der für seinen Meister durchs Feuer gegangen ist, gibt es nicht mehr. Den «Janolisten», den folgsamen taktischen Dienstboten, auch nicht mehr. Und wenn es ihre Chefs nicht tun, dann gibt es ein Problem.
Womit wir zur Frage kommen: Ist es richtig, dass sich die ZSC Lions von Arno Del Curto getrennt haben? Der Chronist sagt empört: Falsch! Man hätte Arno Del Curto unbedingt eine Chance geben müssen, sein Eishockey in Zürich zu entwickeln! Er hatte in der kurzen Zeit ja gar keine Chance! Es ist nicht gut, ständig den Trainer zu wechseln!
Wenn der Chronist aber ganz ehrlich ist, zu sich und der Hockeywelt, dann muss er sagen: Die leidenschaftliche Forderung nach seinem Verbleib im Amt ist nicht nur eine sachliche. Sie ist auch eine egoistische: Der Nonkonformist, mehr Rockstar als Bandengeneral, sorgt für so gute Unterhaltung, liefert so viele Storys, dass ein Chronist, wenn er bei Sinnen ist, gar nicht gegen Arno Del Curto sein kann. Das ist der tiefere Grund für die Verehrung dieses Trainers auch in Zeiten des fliehenden Erfolges. Und man kritisiere jetzt nicht die ZSC Lions für das «Experiment Del Curto». Die Versuchung war einfach für alle zu gross.
Hiesse der ZSC-Nottrainer Adalbert Curti und hätte nicht die ruhmreiche Vergangenheit Arno Del Curtos, dann hätte es geheissen: Hinweg mit ihm! Unter keinen Umständen verlängern! Wer mit dieser Mannschaft die Playoffs verpasst hat, ist ein überforderter Operetten-Trainer!
Ganz nüchtern, hockeytechnisch und ohne jede Romantik betrachtet, ist der Entscheid richtig, die Zusammenarbeit mit Del Curto nicht mehr zu verlängern. Die ZSC Lions sind eine Hockeyfirma mit dem hohen Anspruch, jedes Jahr um den Titel zu spielen. Gute Unterhaltung muss natürlich auch sein und hin und wieder liegt ein Rendezvous mit der Romantik, ein Experiment wie jenes mit Del Curto, durchaus drin.
Ist also Arno Del Curto gescheitert? Ja. Er ist nach einer biblischen Amtszeit in Davos gescheitert und er ist bei seinem Blitzbesuch im Hallenstadion gescheitert.
Hat unser Hockey also keinen Platz mehr für Romantiker? Doch, aber der Romantiker muss sich den Zeiten, der neuen Generation anpassen. Kann sich Arno Del Curto der neuen Generation anpassen? Oder ist er mit 62 Jahren ein Hockey-Altrocker ohne Zukunft?
Diese Frage können wir nicht beantworten. Weil die Aufgabe im Hallenstadion zu schwierig war. Ein Urteil über ihn nur aufgrund der aufregenden Wochen im Hallenstadion zu fällen, wäre arrogant, anmassend und unfair. Ein paar Wochen können ja nicht einfach 20 Jahre Lob und Preis in den Bergen auslöschen. Allerdings zeigt uns dieses Beispiel halt auch die Gnadenlosigkeit des Sportes, der schlimmer noch als das richtige Leben nur die Gegenwart respektiert und so schnell die Verdienste der Vergangenheit ausblendet. Und Dankbarkeit gibt es schon gar nicht. In diesem Sinne: Arno Del Curto hat eine neue Chance verdient. Warum denn nicht in Kloten, in Olten, in Langenthal?
Und die ZSC Lions? Sportchef Sven Leuenberger hat turbulente Monate hinter sich. Eine Saison mit Trainerwechsel und meisterlichem Triumph und eine Saison mit Trainerwechsel und kläglichem sportlichen Scheitern.
Inzwischen hat er zehn Spieler ausgetauscht und einen neuen Trainer braucht er auch. Nun können wir sagen, dass die ZSC Lions nicht gut gemanagt sind. Dass sie orientierungslos durch die Zeiten taumeln und nicht wissen, was sie eigentlich wollen. Von einer Strategie sei nichts mehr zu erkennen. Erst charismatische NHL-Bandengeneräle, dann humorlose schwedische Ausbildner, dann die Einakter mit einem kanadischen Nothelfer, einem kanadischen Systemtrainer und nun mit einem Rockstar. Und der Sportchef war nicht dazu in der Lage, für eine erstklassige Besetzung aller Ausländerpositionen zu sorgen.
Diese Kritik ist im Kern richtig. Aber dabei vergessen wir eine Besonderheit der ZSC Lions. Sie sind die verwöhnten Kinder unseres Eishockeys. Ihre wohlhabenden Eltern haben hehre Ziele, wollen nur das Beste und lesen ihnen jeden Wunsch von den Lippen ab.
Das Problem der ZSC Lions ist zu viel Geld. Die Möglichkeit, praktisch jeden Spieler durch ein noch besseres Lohnangebot zu bekommen, hat aus den ZSC Lions das Lugano des Nordens gemacht. Das ist logisch, wenn der Sportchef nur ein Defizitverwalter ist und weiss, dass am Ende des Jahres eine Männerrunde in ein paar Minuten selbst siebenstellige Verluste ausgleicht.
Das Problem sind also nicht die Trainer und das ungenügende ausländische Personal. Das Problem ist eine völlig aus den Fugen geratene Salär-Hierarchie. Hohe Saläre sind nie das Problem. Ein Problem sind die Saläre nur, wenn sie nicht leistungsgerecht bezahlt werden. Wenn Hinterbänkler aus der dritten Linie 650'000 Franken verdienen wie bei den ZSC Lions. Die Zürcher haben einerseits eine der besten Nachwuchsabteilungen Europas und andererseits gehören sie zu den schlimmsten Lohntreibern im Land.
Entscheidend für die Rückkehr zu stabilen sportlichen Verhältnissen ist, natürlich, auch die Wahl des neuen Trainers, die Besetzung der Ausländerpositionen und die Lösung des Torhüterproblems. Aber noch viel wichtiger ist es, in der Kabine wieder Lohngerechtigkeit herzustellen.
ZSC-Sportchef Sven Leuenberger sagt, es gebe keine grossen Veränderungen mehr im Hinblick auf nächste Saison. Er habe ja schon zehn Spieler ausgetauscht. Er irrt sich. Bis die ZSC Lions wieder rollen, braucht es noch mehr Wechsel. Ohne Rücksicht auf bestehende Verträge. Und er hat den Vorteil, dass es in Zürich keine Rolle spielt, was es kostet.
Leider gibt es eine schlechte Nachricht: Sven Leuenberger schliesst ein Engagement seines Bruders Lars aus. Obwohl der doch den SC Bern 2016 vom 8. Platz aus zum Titel geführt hat. Ach, das ist schade. Lars im Löwenkäfig – so manche schöne Story kann nicht geschrieben werden.
Der Z wechselt die Trainer häufiger als ein Fribourger die Unterhose. Kossmann oder Simpson vielleicht. Aber wie das so ist mit alten Sachen neu aufleben weiss jeder, der schon mal nach einigen Jahren mit einer Ex geschlafen hat...es macht zwar Spass, aber ist nicht dass was man wirklich will.
Allerdings stellen sich hier für mich zwei entscheidende Fragen:
Die erste hat Glenn Quagmire schon gestellt: Wollte ADC überhaupt noch?
Und die 2.: Hätten die Diven wie Wick den Arno-Drill überhaupt mitgemacht?