Nord- und Südkorea bilden gemeinsam ein Team fürs olympische Turnier. Ein sportdiplomatisches Meisterstück, das eigentlich René Fasel, dem Präsidenten des internationalen Hockeyverbandes (IIHF), den Friedensnobelpreis einbringen sollte. Vier Jahre internationale Überzeugungsarbeit waren notwendig. Und Geheimhaltung. Erst im Januar wurde das Projekt eines gemeinsamen koreanischen Teams publik. Vorher hatte ein kleiner Kreis von weniger als 20 Personen an der Mission gearbeitet. Nur so konnte verhindert werden, dass sich alle möglichen Kreise gegen diese politisch hochbrisante Sache wenden.
Das Einverständnis der nord- und südkoreanischen Regierungen war bei weitem nicht das einzige Problem. Das politische Okay kam so spät, dass es schliesslich auch sportliche Einwände gab. Die südkoreanische Nationaltrainerin Sarah Murray (eine Tochter des legendären Trainers Andy Murray) hatte ihr Team intensiv vorbereitet. Sie steht seit ihrem Rücktritt als Spielerin (die letzten drei Jahre in der Schweiz bei Lugano und den ZSC Lions) an der südkoreanischen Bande. Es war ihr nicht zuzumuten, kurz vor den Spielen die Hälfte ihrer Spielerinnen wieder auszuladen.
IIHF-Sportdirektor Dave Fitzpatrick fand dann den rettenden Kompromiss: Statt 25 dürfen die beiden Korea 35 Spielerinnen für die Spiele melden. Davon kommen 12 aus Nordkorea. Dagegen erhoben ausgerechnet die Funktionäre aus der Schweiz vergeblich Einspruch: es sei eine sportliche Verfälschung, wenn ein Team so viele Spieler nominieren dürfe und ein Verstoss gegen die geltenden Reglemente. Was streng genommen richtig, aber in einer so grossen, hockeywelthistorischen Sache etwas gar kleinlich ist.
Aufs Matchblatt kommen nun, wie bei allen anderen Teams, lediglich 22 Spielerinnen. Mindestens drei davon müssen Nordkoreanerinnen sein. An der Bande ist ein Platz für Nordkorea reserviert und wird vom nordkoreanischen Nationaltrainer eingenommen. Er arbeitet als Assistent von Sarah Murray.
Eigentlich sollte die Integration der Nordkoreanerinnen ins Team kein Problem sein. Weil ja im Norden und Süden die gleiche Sprache gesprochen wird. Aber im Norden sind Anglizismen strengstens verboten. Damit sind für die Nordkoreanerinnen alle gängigen Hockeyfachausdrücke unbekannt. Insgesamt sind rund ein Drittel der in Südkorea im Alltag gebräuchlichen «ausländischen» Wörter im Norden tabu. Also muss Murrays Assistent auch als Übersetzer aushelfen.
Auch die Weltpolitik hat sich eingemischt. Die amerikanische Firma Nike stellt die Bekleidung für alle olympischen Hockeyteams her. Wegen der Sanktionen gegen Nordkorea dürfen die Amerikaner jedoch die Leibchen für das vereinigte koreanische Team nicht fabrizieren. Diese sind nun von Takla in Finnland geliefert worden.
Die internationalen Sanktionen sind für Nordkoreas Hockey ein fast unlösbares Problem und entsprechend ist die sportliche Bedeutungslosigkeit. Die Männer stehen in der Weltrangliste auf dem 39., die Frauen auf dem 25. Platz. Ausrüstungen dürfen nicht nach Nordkorea geliefert oder den Spielern und Spielerinnen aus einem anderen Land ausgeführt und mit nach Hause genommen werden.
Wie kommen trotzdem Pucks, Schlittschuhe, Ausrüstungen und Stöcke für die insgesamt 2320 registrierten Spielerinnen und Spieler ins Land? IIHF-Präsident René Fasel pflegt auf solche und ähnliche Fragen zu sagen: «Die grosse internationale Eishockey-Familie hält zusammen …»
Der hockeyfamiliäre Zusammenhalt funktioniert. Ausländische Mannschaften, die in Nordkorea spielen, lassen ihre Ausrüstungen dort zurück. Es ist praktisch der einzige Weg. Es gibt sogar Schweizer Hobby-Teams, die für Freundschaftsspiele nach Nordkorea gereist sind. Auf Anfrage bestätigt Fasel, dass der Internationale Eishockeyverband offiziell aus Bundesbern wegen diesem mutmasslichem Unterlaufen der Sanktionen gegen Nordkorea gerügt worden ist.
Hier in Südkorea ist bereits klar gemacht worden, dass die Spielerinnen Stöcke oder Ausrüstungsgegenstande, die sie erhalten sollten, nicht ausser Landes gebracht werden, also nicht mitgenommen werden dürfen.
Es ist für die Koreanerinnen eine einmalige Chance zum Auftritt auf der Weltbühne. Sie haben keine Chance, sich sportlich für olympische Spiele zu qualifizieren. Südkorea steht in der Weltrangliste auf dem 22., Nordkorea auf dem 25. Platz. Der olympische Auftritt ist nur möglich, weil Südkorea Gastgeber der Spiele ist.
Theoretisch ist die Schweiz am Samstag (13 Uhr Schweizer Zeit) als olympisches Bronze-Team von 2014 und Nummer 6 der Weltgegen das vereinigten Korea haushoher Favorit. Theoretisch.
Doch die Koreanerinnen sind viel besser als es die Weltranglistenposition vermuten liesse. Rechtzeitig vor dem grossen olympischen Auftritt sind sechs Amerikanerinnen eingebürgert worden. Allesamt Weltklassespielerinnen. Die letzten Testspiele (u.a. ein 1:3 gegen Schweden) haben gezeigt, dass das Team sportlich ungefähr auf Augenhöhe der Schweizerinnen steht.
Unsere Spielerinnen sind sich ihrer hockeyweltgeschichtlichen Rolle als erste Gegnerinnen des vereinigen Korea wohl bewusst. Sie haben ganz offensichtlich fleissig ihr Verslein geübt. Wer immer nach dem bevorstehenden grossen Spiel fragt, bekommt sinngemäss stets die Antwort: Es sei schön, dass der Sport völkerverbindend sei.
Wo sie recht haben, da haben sie recht.