Was zählen in der Gegenwart der Playoffs Erfahrung, Geschichte, vergangene Titel und Triumphe? Nichts!
Eine grössere Differenz ist nicht denkbar. Lausanne hat bis heute erst 14 NLA-Playoffpartien bestritten, ist nie übers Viertelfinale hinausgekommen und Trainer Dan Ratushny hat noch kein NLA-Playoffspiel erlebt. Davos hat sich unter der Leitung von Arno Del Curto in mehr als 200 Playoff-Auseinandersetzungen bewährt.
Aber das ist alles vergessen. Der Unterschied in dieser Saison ist auf eine Zufallsdifferenz geschrumpft.
Auch die vier Direktbegegnungen der Qualifikation helfen uns nicht weiter.
So unterschiedlich der HC Lausanne und der HC Davos auch sein mögen – auf dem Eis treten diese beiden Teams verblüffend ähnlich auf. Beide Trainer haben das gleiche Ziel. Sie versuchen ihren Schwierigkeiten und Zweifeln davonzulaufen.
Lausannes Sportdirektor Jan Alston ist es zwar noch nicht gelungen, einen Königstransfer zu machen. Aber er hat konsequent seine Mannschaft schneller gemacht und sorgsam darauf geachtet, dass jeder kräftiger, ausdauernder und schneller wird. Lausanne ist der Gegenentwurf zum Vorurteil der «weichen Welschen». Trainer Heinz Ehlers hatte eine so hohe defensive Stabilität erreicht, dass ihn Jan Alston am Ende der letzten Saison feuerte um durch den «Offensiv-Trainer» Dan Ratushny zu ersetzen.
Und so ist Lausanne nun im besten Wortsinne zum ersten Mal zum NLA-Playoff- Heimvorteil (4. Rang) geflogen. Selbst Heinz Ehlers, der ja nach seiner Absetzung keinen Grund hat, seinen ehemaligen Arbeitgeber gratis zu rühmen, sagt, Lausanne sei eine der schnellsten und physisch besten Mannschaften der Liga geworden. Wir können gar sagen: neben Davos die schnellste der Liga. Am 15. Oktober hat Lausanne den HC Davos mit 8:1 vom Eis gefegt.
Lausanne wäre ein aussichtsreicher Aussenseiter, wenn es nicht doch Zweifel gäbe. Nach neun Siegen in Serie hat die Mannschaft seit dem 17. Januar nur noch zwei von elf Partien gewonnen. Aber in dieser Zeit ist Cristobal Huet (41) nur noch sechsmal eingesetzt worden. Er hat in diesen zwei Partien bloss zwei Tore zugelassen.
Sportdirektor Jan Alston und sein Trainer Dan Ratushny versichern zwar, alles sei in bester Ordnung. Lausanne spielte in den letzten Partien nicht mehr «Vollgas», schonte Cristobal Huet (Kniebeschwerden) und einen Teil des ausländischen Personals. Die Strategie ist klar: Auf Knopfdruck geht es los und Lausanne läuft allen Zweifeln davon.
Arno Del Curto versucht schon während der ganzen Saison den Zweifeln davonzulaufen. Die grosse Frage war ja: Geht es ohne Leonardo Genoni? Ohne grossen Torhüter?
Seit dem ersten Titelgewinn unter Arno Del Curto vor 15 Jahren kann sich der HCD auf grosse Torhüter verlassen: Lars Weibel, Jonas Hiller, Reto Berra und zuletzt Leonardo Genoni. Lars Weibel befindet sich längst im Ruhestand, Jonas Hiller ist in der NHL Dollar-Millionär geworden und hütet heute den Kasten für Biel, Reto Berra spielt in Amerika und Leonardo Genoni beim SCB. Und so vertraut Arno Del Curto auf Gilles Senn (21) und Joren van Pottelberghe (19). Beide haben noch nie ein NLA-Playoffspiel bestritten.
Den Zweifeln um die Torhüterposition sind die Davoser in der Qualifikation davongelaufen. Die Reaktion auf die unerfahrenen Goalies war nicht eine Defensivtaktik. Arno Del Curto ist seinem mitreissenden Powerhockey treu geblieben und sicher in die Playoffs geflogen. Er sagt zwar, Lausanne sei so gut, dass er wohl auf eine Defensivtaktik umstellen werde. Tatsächlich? Er räumt ein: «Zumindest sagen kann ich das so.» Es sei einfach wichtig, nicht in Konter zu laufen.
Womit nun zum Kern der Sache vorgedrungen sind: Dieser Viertelfinal wird durch die Torhüter entschieden. NHL-Titan Cristobal Huet (40), Stanley-Cup-Sieger, Luganos Meistergoalie von 1999 gegen den Playoff-Frischling Gilles Senn (21).
Entweder werden wir hinterher sagen, Cristobal Huet sei nicht mehr dazu in der Lage gewesen, eine Playoffserie zu gewinnen – oder Gilles Senn sei noch nicht gut genug, um ein Playoffheld zu sein.
Arno Del Curto tritt zum 23. Mal zu NLA-Playoffs an. Schon beinahe ist vergessen, dass er 1992 schon mit dem ZSC Playoff-Ggeschichte geschrieben und mit einem Viertelfinal-Triumph über den himmelhohen Favoriten Lugano den Titanen John Slettvoll für immer gestürzt hat.
Noch Fragen? Ja. Dan Ratushny tritt zum ersten Mal in der NLA zu Playoffs an. Das ist kein Nachteil. Lars Leuenberger stand im letzten Frühjahr auch zum ersten Mal überhaupt als Cheftrainer in NLA-Playoffs an der Bande, triumphierte im Halbfinal gegen Arno Del Curto und wurde schliesslich Meister. Eine Warnung der Geschichte, die wir nicht ignorieren sollten.
Die statistische Differenz (Fangquote) ist gering. Trotzdem ist Cristobal Huet, sofern er fit ist, noch immer der bessere Torhüter. Gilles Senn wird die Serie als Nummer 1 beginnen. Kein anderer Torhüter hat während der Saison so grosse Fortschritte erzielt. Er ist vom mental zerbrechlichen Riesen zum coolen, stilsicheren Titanen gereift und wird von Arno Del Curto sorgfältig von Ablenkungen abgeschirmt.
Der Optimist hofft, Gilles Senn werde als Playoff-Neuling gleich zum Helden wie einst Ken Dryden bei den Montréal Canadiens. Der Realist geht hingegen davon aus, dass Cristobal Huet immer noch besser ist.
Statistisch ist gibt es aus der Qualifikation nur eine Zufallsdifferenz (Davos hat vier Tore weniger kassiert). Arno Del Curto zelebriert das bedingungslose Vorwärtsspiel. Die Verteidiger werden dazu angehalten, die Scheibe in allen Situationen sofort vorwärts zu spielen. Das ist riskant. Lausannes Verteidiger sind etwas scheibensicherer.
Auch bei der Torproduktion gibt es nach 50 Qualifikationsspielen nur eine Zufallsdifferenz (Lausanne hat zwei Tore mehr erzielt). Aber Lausanne hat das bessere Powerplay. Davos wird die gelaufenen Kilometer nur dann in genügend Tore ummünzen können, wenn Perttu Lindgren fit ist.
Lausanne schafft die Überraschung. Aber wenn es über sieben Spiele geht, triumphiert der HC Davos.