Für SCB-Manager und -Mitbesitzer Marc Lüthi ist gute Unterhaltung so wichtig wie der Ruhm aus Siegen und Titeln. Er ist bis heute der einzige Manager Europas, der seinen Trainer wegen langweiliger Spielweise gefeuert hat (Larry Huras im November 2011).
Der SCB lebt halt wie kein anderes Hockeyunternehmen von der Bewirtschaftung der Zuschauer. Europas grösster Hockey-Tempel (17'031 Plätze) kann nur mit unterhaltsamem Hockey regelmässig gefüllt werden. Diese Saison war der Tempel noch nie voll: Auch wegen langweiliger Spielweise («Schablonen-Hockey»).
Aber Besserung ist in Sicht. Die schlechte Nachricht: Der SCB hat gegen die letztjährigen «Playoutisten» in zwei Partien gerade mal drei Punkte geholt. Weder gegen die Lakers (4:5 n.V) noch gegen den HC Davos (4:3 n.P) reichten zwei Tore Vorsprung. In Rapperswil-Jona vergab der Meister eine 3:0 und 4:1-Führung, gegen Davos am nächsten Tag genügte ein 2:0 und 3:1 nicht für drei Punkte.
Aber es gibt eben auch eine gute Nachricht: Die Unterhaltung stimmt so wieder. Dem SCB gebührt inzwischen das grösste Kompliment, das es während der langen Monate der Qualifikation gibt: Man darf nicht nach Hause gehen, bevor das Spiel vorbei ist.
In den letzten drei Jahren unter Kari Jalonen (seit dem Herbst 2016) reichten zwei Tore Vorsprung gegen Teams wie die Lakers den aktuellen HCD bei Weitem zum Sieg. Leuchtete oben auf dem Videowürfel bei Spielhälfte ein 2:0 oder 3:1 konnte man sich getrost in die Stadionbeiz zurückziehen – oder vorzeitig nach Hause gehen, um nicht in den Verkehrsstau zu geraten.
Das ist jetzt nicht mehr zu empfehlen. Die taktischen Schablonen sind inzwischen nur noch aus Sperr- und nicht mehr aus Hartholz. Was hat das für den weiteren Verlauf der Saison zu bedeuten?
Die SCB-Titanic fährt zwar blind durch den Nebel. Oben auf der Kommandobrücke herrscht Ratlosigkeit darüber, wie es weitergehen soll. Die Hoffnung, Kari Jalonen möge einem den Entscheid abnehmen und von sich aus Ende Saison gehen, wird sich mit ziemlicher Sicherheit nicht erfüllen.
Marc Lüthi und sein Sportchef Alex Chatelain müssen den folgenschweren Entscheid (mit Kari Jalonen verlängern – ja oder nein?) bei den veränderten Verhältnissen selber fällen. Juho Sintonen, der Freund und Agent des SCB-Trainers sagt nämlich: «Kari ist keiner, der davonläuft, wenn schwierigere Zeiten kommen.» Dass Marc Arcobello nach der Saison zu Lugano wechselt, und dass der SCB womöglich bald kein meistertaugliches Team mehr hat, vermögen den finnischen Meistertrainer nicht abzuschrecken. Zu gut sind Bezahlung und Lebensqualität im schönen Bern.
Mag die Ratlosigkeit über den zu steuernden Kurs oben auf der Kommandobrücke der SCB-Titanic anhalten – unten im Maschinenraum hat «Chef-Ingenieur» Kari Jalonen die Sache nach wie vor recht gut im Griff.
Als drittälteste Mannschaft der Liga (Gottéron und Lausanne sind im Schnitt noch älter) kann der SCB nach dem Verlust wichtiger Spieler (wie Leonardo Genoni und Gaëtan Haas) die Qualifikation nicht mehr nach Belieben dominieren wie in den letzten drei Jahren. Quantitativ und qualitativ ist der SCB nicht mehr gut genug für konsequentes «Schablonenhockey». Gegen mutige, jüngere Lauf- und Tempomannschaften gerät der Meister inzwischen gehörig ins Wanken.
Dabei spielt der Verlust von Leonardo Genoni nicht mehr jedes Mal eine zentrale Rolle: Gegen die drei HCD-Treffer war Niklas Schlegel am Samstag ganz einfach machtlos. Es war die Abwehr, die unter dem Druck auseinanderbrach und den HCD-Stürmern dreimal freie Schussbahn gewährte. Wichtige SCB-Verteidiger wie Eric Blum (33), Justin Krüger (32) oder der aktuell verletzte Beat Gerber (37) und der Zweiwegcenter Andrew Ebbett (36) werden eben älter und langsamer. Und der ausländische Verteidiger (Miika Koivisto) würde nicht spielen, wenn er Colin Gerber hiesse.
Das bedeutet eine neue Rolle für den Meister. Abschied von der Rolle des Titanen. Konzentration auf das Wesentliche: Genug Punkte sammeln, um in die Playoffs zu kommen – und dann kann es in den Playoffs noch immer «räblä».
Der SCB ist nicht mehr eine «Siegesmaschine», gebaut für das «Feuerwehr-Hockey» in der Qualifikation. Für dieses Lauf- und Tempohockey («run and gun»), das für unsere Liga so typisch ist.
Zwar ist aus dem «Maschinenraum» der SCB-Titanic ab und an Murren unter den «Mechanikern» zu vernehmen. Kari Jalonen ist in der Kabine nicht nur populär. Grosse Trainer waren in der Kabine noch nie populär.
Aber die Leistungskultur ist intakt. Die Leitwölfe um Simon Moser halten das Team zusammen und weisen die Murrenden in die Schranken. Es gibt keine Zerfallserscheinungen. Und natürlich gibt es einen neidvollen Blick nach Zug, das genug Geld hatte, um Grégory Hofmann einzukaufen, der soeben den Spitzenkampf gegen die ZSC Lions mit drei Treffern entschieden hat und die Liga-Skorerliste anführt. Aber vielleicht wird ja aus Vincent Praplan wenigstens ein «Grégory Hofmann des armen Mannes». Er hat gegen Davos zum ersten Mal für den SCB zwei Treffer in einem Spiel erzielt.
Wenn es im Frühjahr um den Titel geht, wird anderes Hockey als im Herbst gespielt. Dann werden Erfahrung und Schlauheit, das «Geheimwissen», wie man Meisterschaften gewinnt, von zentraler Bedeutung. In diesem Bereich müsste der SCB eigentlich nach wie vor konkurrenzfähig sein.
Die grosse Frage, wie nächste Saison die Mannschaft erneuert werden kann, klammern wir gnädigerweise erst einmal aus. Bei dieser Analyse geht es um die Gegenwart.
Sportchef Alex Chatelain hat mehr als genug Zeit, um bis im Februar einen brauchbaren vierten Ausländer (als Ersatz für Miika Koivisto) und zur Absicherung einen ausländischen Torhüter zu verpflichten. Sein Ausreden-Konto ist leer.
Nach wie vor sind die Spieler und ihr Trainer unten im Maschinenraum der SCB-Titanic Löwen. Es wird sich zeigen, ob sie auf der Kommandobrücke oben von sportlichen Eseln geführt werden.
#katzenbaumzaugg