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Arme Leute lernen, auch ohne Musik zu tanzen. Und Gottéron versteht es, die Nacht selbst dann lang zu machen, wenn es nichts zu feiern gibt. Sondern Niederlagen zu verdauen.
Das 1:3 gegen Bern hat Gottéron am Dienstagabend die letzte Gewissheit gebracht, dass die Leichtigkeit des Seins vorbei ist. Das Spiel ist vor 22.00 Uhr fertig. Aber Trainer Gerd Zenhäusern kommt erst um kurz vor Mitternacht aus der Kabine.
Die Chronisten haben sich die Wartezeit mit allerlei verbalen Bösartigkeiten verkürzt. Eine geht so: Was ist der Unterschied zwischen Hans Kossmann und Gerd Zenhäusern? Es gibt keinen Unterschied. Beiden ist vor der Entlassung noch der Vertrag verlängert worden.
Das ist allerdings durch und durch boshaft. Hans Kossmann ist im letzten Herbst tatsächlich kurz nach einer Vertragsverlängerung gefeuert worden. Und achtmal hintereinander wie jetzt Gerd Zenhäusern (dessen Arbeitsverhältnis kürzlich vorzeitig bis 2018 prolongiert worden ist) hat er nicht verloren. Nur viermal.
Aber das Gottéron im Dezember 2015 ist ein anderes Gottéron als jenes im Herbst 2014. Damals war Gottéron noch hoffärtig. Lebte im Wahn, ein Spitzenteam zu sein. Deshalb musste Hans Kossmann gehen und Gerd Zenhäusern Platz machen.
Aber jetzt ist Gottéron vom Hochmut geläutert und mit sich selbst wieder im Reinen. Die Saison mündet in ein Drama. Endlich. So muss es sein bei Gottéron. Was wäre ein sorgloses Gottéron, das, getrieben von Höhenwinden der Tabelle sorglos in die Playoffs segeln würde? Kein echtes Gottéron. Ein Gottéron für Warmduscher. Das echte Gottéron badet nicht im Champagner. Es zittert, leidet, kämpft. Das ist die wahre Natur dieses Hockeyunternehmens.
Eine echte Gottéron-Saison mahnt ein wenig an die Erzählungen des preisgekrönten Dichterfürsten John Steinbeck. Phantasievoll, aber auch schwermütig und ohne triumphales Ende. Sogar über den wunderbaren russischen Flugjahren schwebten einst die Nebel der Melancholie: selbst mit Slawa Bykow und Andrej Chomutow ist Gottéron nie Meister geworden.
Gottéron hat die acht ersten Partien der Saison gewonnen – darunter ein Heim- und ein Auswärtssieg gegen Meister Davos. Und jetzt hat Gottéron gegen den SCB die achte Niederlage in Serie kassiert. Eine davon war ein 1:9 auf eigenem Eis gegen Davos. So dramatische Saisonverläufe gibt es nur bei Gottéron.
Wie ist das möglich? Trainer Gerd Zenhäusern hat einst sechs Jahre für Gottéron gespielt. Er kennt die Kultur dieses Unternehmens. Die Frage, ob er denn überhaupt ein Gottéron ohne Drama kenne, erheitert ihn und er antwortet nach kurzem Nachdenken: «Nein, eigentlich nicht.» Dann kehrt er in die triste Gegenwart zurück und sagt, dass das ja keine Antwort sein könne auf die Krise.
Was ist los? Gerd Zenhäusern hat recht, wenn er sagt, seine Mannschaft sei viel stärker als ein Spitzenteam auf einzelne Spieler angewiesen. Wenn Leitwölfe wie Julien Sprunger (Schulterverletzung) oder Marc-Antoine Pouillot und Benjamin Plüss (Gehirnerschütterung) fehlen, dann ist es, als sei das Team von seinen Kraftquellen abgeschnitten. Ohne seinen «Linienzwilling» Julien Sprunger wirkt der flinke Andrej Bykow gegen den SC Bern wie ein Vogel, der sein Nest nicht mehr finden kann und verzweifelt herumflattert.
Noch immer spielt er sein käferiges Offensivspiel: immer geschäftig, immer Bewegung, immer auf ein Tor aus. Aber er findet keinen Draht zu seinen Mitspielern und keinen Weg zum erfolgreichen Abschluss. Er läuft und läuft und läuft. Ins Leere.
Gottéron verpasst eine einmalige Gelegenheit, leichte Tore gegen Jakub Stepanek zu erzielen. Berns neuer Goalie-Titan ist bei seinem ersten Einsatz noch unsicher, wird aber nur einmal bezwungen (Fangquote 96%). Er wird von nun an von Spiel zu Spiel besser bis er Ende Januar ein grosser Torhüter sein wird. Aber weil alle denken, dass er ein Titan ist, spielte beim SCB gegen Gottéron jeder so als sei er in jeder Beziehung eine Nummer grösser als er in Wirklichkeit ist. So ist das mit der Psychologie in einem so unberechenbaren Spiel. Mehr noch als Taktik, Talent und Training macht der blinde Glaube an den Goalie eine Defensive stabil. Und umgekehrt ruinieren Zweifel am Schlussmann jede Abwehr.
Nach der Weihnachtspause kommt bei Gottéron vorerst Julien Sprunger zurück. Für die Spiele der Wahrheit. Zwischen dem 2. und 9. Januar 2016 tritt Gottéron je zweimal gegen Langnau und Lausanne an. Armagedon. Drama.
Gerd Zenhäusern analysiert die Schwächen seines Teams mit einer ruhigen Nüchternheit, die ich noch bei keinem Trainer nach der achten Niederlage de Suite erlebt habe. Er bemängelt fehlende Entschlossenheit. Er sagt, dass sich einige Spieler verstecken und ihre Verantwortung nicht übernehmen. Den Puck lieber dem Nebenspieler zuschieben als selber den Abschluss zu suchen. Das Selbstvertrauen sei verloren gegangen. Das ist zwar die klassische Krisenanalyse. Aber Gerd Zenhäusern sagt es ohne jammernden Unterton. Er stellt es einfach fest.
Was ist dagegen zu tun? Jeder müsse sich hinterfragen und selbstkritisch sein. Die Spieler und die Trainer. Er sagt mit einer Prise Selbstironie, dass das klassische Krisenprogramm bereits durchgespielt worden sei. «Ich war laut in der Kabine, die Spieler haben sich zum Krisenfondue getroffen, der Sportchef hat in der Kabine eine Ansprache gehalten.» Viel bleibe nicht mehr. Es werde Zeit, endlich wieder ein Spiel zu gewinnen.
Dann verzieht er sich wieder in sein Trainerbüro. Um das Spiel von heute in Genf vorzubereiten. Er müsse gegen Servette wohl mit drei Linien spielen. Mehr gesunde Spieler habe er nicht mehr zur Verfügung. Feierabend wird er erst gegen 03.00 Uhr haben.
Bei einem normalen Hockeyunternehmen müsste sich der Trainer nach der achten Niederlage hintereinander und einem Sturz von der Tabellenspitze in den Strichkampf Sorgen um seinen Job machen. Trotz Vertrag bis 2018. Gerd Zenhäusern nicht. Nicht mehr. Weil Gottéron nach dem dreijährigen Irrweg (mit zwei Halbfinals, einem Finale und einem Qualifikations-Sieg sowie zeitweise vollen Kassen) wieder zu seinen Ursprüngen zurückgekehrt ist und nach seiner wahren Bestimmung lebt: Wir verlieren, wir leiden, also sind wir.
Obwohl die Mannschaft gegen den SCB keine Chance hat, gibt es während des ganzen Spiels nie Pfiffe aus dem Publikum. Gottéron ist krisenfest wie kein anderes NLA-Unternehmen. 1980 in die NLA aufgestiegen und hinter Kloten (Promotion 1962) am zweitlängsten in der höchsten Liga. Seit Gottéron oben ist, sind beispielsweise Davos, der SCB, Langnau, Lausanne, Biel, Zug und der ZSC ab und wieder aufgestiegen. Gottéron, die Unabsteigbaren.
Aber noch einmal acht Niederlagen in Serie mag es bei Gerd Zenhäusern trotzdem nicht leiden. Und bei Sportchef Christian Dubé übrigens auch nicht.