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Ein bisschen Nostalgie. Ein bisschen Wehmut. Vor zwölf Jahren war ich im Oktober 2005 in New York. Mark Streit, der grosse Star der ZSC Lions, Captain und Leitwolf der Nationalmannschaft, versucht bei den Montréal Canadiens als erster helvetischer Feldspieler in der NHL einen Stammplatz zu erkämpfen.
Bei der ersten Partie in Boston wurde er nicht eingesetzt. Und jetzt darf er auch in New York gegen die Rangers nicht spielen. Wir haben damals ein Interview gemacht. Es lohnt sich durchaus, noch einmal nachzulesen, was Mark Streit im Oktober 2005 sagte, als er ganz am Anfang seiner NHL-Karriere stand. Als überhaupt noch nicht sicher war, ob er überhaupt je in der NHL eine Rolle spielen wird. Nur zwölf Jahre sind seither vergangen, aber es ist wie ein Dokument aus einer längst vergangenen Zeit.
Kehren Sie im Laufe der Saison zu den ZSC Lions zurück, wenn Sie ins Farmteam nach Hamilton geschickt werden?
Mark Streit: Nein.
Sie beissen sich definitiv durch?
Ja.
Wirklich definitiv? Keine Hoffnung für die ZSC Lions?
Nein, definitiv keine Hoffnung. Ich bin ja in einer viel besseren Situation, als ich mir erhofft hatte. Ich war darauf vorbereitet, nach dem Trainingscamp ins Farmteam geschickt zu werden. Dass ich als einziger Verteidiger mit einem Zweiwegvertrag eine Chance im NHL-Team bekomme, ist mehr, als ich erwartet hatte.
Kommt allenfalls nach Ablauf Ihres NHL-Vertrages nach der Saison 2005/06 eine Rückkehr nach Zürich in Frage?
Ich brauche meine ganze Kraft und Konzentration, um mir hier einen Stammplatz zu erarbeiten. Darüber hinaus plane ich nicht. Niemand weiss, wie meine Situation im Frühjahr 2006 sein wird. Also lohnt es sich nicht, sich darüber jetzt schon Gedanken zu machen.
Was macht denn die Faszination NHL aus? Das Geld kann es ja nicht sein. Sie müssen mit dem NHL-Minimalsalär von 450'000 Franken brutto zufrieden sein.
Es ist definitiv nicht das Geld. Es ist so etwas wie der Mythos NHL.
Wie ist das zu verstehen?
Schon als Bub träumte ich von der NHL. Ich war acht oder neun Jahre alt, da habe ich mir schon zu Weihnachten ein Originaldress von Chris Chelios gewünscht. Hier in Nordamerika zu spielen, hier zu sein, ist ein ganz besonderes Erlebnis. Nehmen wir die letzte Woche: Wir spielen in Boston und fliegen gleich nach dem Spiel noch nach New York und dann fährst du mit dem Bus nach Manhattan hinein, ins Hotel am Broadway. Das alles zusammen ergibt dieses ganz besondere Feeling. Nichts gegen die NLA – aber so etwas kann man nur in der NHL erleben.
Sie waren bei den ZSC Lions und in der Nationalmannschaft ein Alphatier. Hier stehen Sie in der Teamhierarchie ganz unten und müssen darum kämpfen, überhaupt zum Einsatz zu kommen.
Das ist überhaupt kein Problem. Ein Alphatier, wie Sie es sagen, war ich nur in den letzten paar Jahren. Davor war ich ständig in einer ähnlichen Situation wie jetzt: Ich galt nie als grosses Talent. Ich musste überall hinten anstehen und mir erst einmal einen Platz im Team erkämpfen. Beim SCB war ich in der Elite-B-Juniorenmannschaft Verteidiger Nummer sieben oder acht. Wenn ich nicht zu Fribourg gewechselt hätte, wo mich Ueli Hofmann dann förderte, wäre ich heute bestenfalls ein Erstliga-Verteidiger. Ich war noch mit 18 in den Junioren-Nationalteams nur ein Mitläufer und 1998 bei der A-WM in der Schweiz schaffte ich es zusammen mit Olivier Keller gerade noch als Letzter, ins Team zu kommen. Die aktuelle Situation ist mir also sehr wohl vertraut. Ich weiss, dass ich gut genug bin, um in dieser Liga und in dieser Mannschaft zu spielen. Aber ich komme aus der Schweiz, nicht aus einer Weltmeistermannschaft, und ich kann nicht erwarten, dass man mich hier einfach hereinwinkt. Ich muss mich Schritt für Schritt durchbeissen.
Erschweren Vorurteile den Schweizer Spielern den Weg in die NHL?
Als Schweizer kommt man sich hier zwar manchmal fast so vor wie ein Kenianer in der Schweizer Ski-Nationalmannschaft. Die meisten Nordamerikaner wissen ja nicht einmal, dass wir in der Schweiz auch Eishockey spielen. Aber ich denke nicht, dass das uns Schweizern den Weg in die NHL erschwert. Hier zählt die Leistung. Daher spielt es letztlich keine Rolle, woher man kommt.
Ja, so war das damals. Die Schweizer als Exoten. Und der Schweizer, der da versuchte, seine NHL-Karriere in die Gänge zu bringen, ist nur eine Randfigur von der niemand Notiz nimmt. Und nun sind wir zwölf Jahre später wieder in New York. Am Vorabend hat drüben in Newark Nico Hischier sein NHL-Debüt gegeben. Als Nummer-1-Draft stand er im Mittelpunkt des ganzen Medienspektakels. Es kann der Anfang einer Karriere sein, die jene von Mark Streit einmal übertreffen kann.
Ich wollte im Madison Square Garden eigentlich sehen, wie gut Mark Streit noch im Schuss ist. Er wird im Dezember 40 Jahre alt. Daheim in der Schweiz ist schon gemault worden, der Streit sei inzwischen überfordert und zu alt.
Aber Mark Streit spielt nicht. Wie damals vor 12 Jahren. Die ersten beiden Partien gegen Buffalo (3:2) und Washington (1:6) kam er zum Zuge und jetzt darf er gegen die Rangers (Montréal wird 0:2 verlieren) nicht mehr mitmachen. Was ist los? Ist er enttäuscht? Vielleicht gar verbittert?
Wer nicht spielt, steht in der NHL am Spieltag offiziell den Chronisten für Interviews nicht zur Verfügung. Aber Montréals Mediengeneral Dominick Saillant (er war 2005 auch schon dabei) ist gnädig und sagt: «Schau, ob Du ihn irgendwo findest, dann kannst Du mit ihm reden.»
Und so treffen wir uns nach 12 Jahren am gleichen Ort im Madison Square Garden wieder. Sogar an der exakt gleichen Stelle unten beim Teambus. Und sogar in der gleichen Situation. Wie damals hat er nicht gespielt.
In der Zwischenzeit ist allerdings viel passiert. Mark Streit hat unterdessen 820 NHL-Partien bestritten, 100 Tore erzielt, 349 Assists gebucht, 392 Strafminuten abgesessen und mehr als 30 Millionen Dollar verdient. Er war Captain der New York Islanders und sein Name ist auf dem Stanley Cup eingraviert. Er hat Fabienne Kropf geheiratet und ist Vater einer Tochter geworden.
Damals vor zwölf Jahren waren er und Timo Helbling im Herbst 2005 beim Saisonstart die einzigen Schweizer Feldspieler – und keiner hatte einen Stammplatz. Timo Helblings Nordamerika-Karriere ging ein Jahr später nach nur elf NHL-Einsätzen zu Ende. Und in der NHL ins Tor getroffen hatte bis zu diesem Zeitpunkt erst ein einziger Schweizer: Reto von Arx für Chicago. Aber Stammspieler war auch er nicht. Erst Mark Streit setzte sich durch. Er kam in seiner ersten Saison schliesslich zu 48 Einsätzen, dann war er ab dem Herbst 2006 NHL-Stammspieler.
Nun haben 13 Schweizer die NHL-Saison begonnen, mehrere sind bereits Dollar-Millionäre und Roman Josi ist soeben zum Captain aufgestiegen.
Ob er sich so eine Entwicklung hätte träumen lassen, damals vor 12 Jahren? «Nein, sicher nicht.» Noch ein bisschen Small Talk über die alten Zeiten und wie das Leben so spielt – und dann kann die Frage nicht ausbleiben: Ist es jetzt die Saison zu viel? Eigentlich ist diese Fragestellung gegenüber einem Spieler, der so viel geleistet hat, ein wenig respektlos.
Mark Streit nimmt es mit der Gelassenheit eines wahren Champions. «Es gibt ja eigentlich nur zwei Arten, eine Karriere zu beenden. Entweder hört man viel zu früh auf und bereut es dann jahrelang wie Renato Tosio. Oder dann macht man ein Jahr zu viel und nimmt in Kauf, dass da und dort Kritik aufkommt …»
Mark Streit hat nicht das Gefühl, dass es die Saison zu viel sein könnte. «Ich fühle mich sehr gut. Ich bin fit, in Montréal habe ich beim Ausdauertest vor der Saison das viertbeste Resultat erreicht und ich habe in den zwei ersten Partien ganz gut gespielt.»
Warum durfte er gegen die Rangers trotzdem nicht ran? «Man hat mir gesagt, es sei nicht wegen meiner Leistung. Aber es sei das zweite Spiel in zwei Tagen und deshalb sei ich nicht in der Aufstellung.» Er ist also geschont worden. Ein Tribut an das Alter? «Na ja, so viele Spieler die diese Saison 40 werden gibt es nicht in der NHL …» Er rechnet damit, dass er im Laufe der Saison immer wieder mal eine Pause bekommt, sonst aber regelmässig spielen kann.
Vor zwölf Jahren war der ehemalige SCB-Junior ein Neuling. Das Spiel durfte er nicht in voller Länge auf der Tribüne geniessen. Während seine Kollegen draussen auf dem Eis kämpften, musste er drinnen im Kabinengang bis ins Mitteldrittel hinein auf dem Standvelo strampeln. Das gehört zur Leistungskultur in der NHL. Wer nicht spielt, muss arbeiten.
So hat Mark Streit nun auch zwölf Jahre später die Vorstellung der Canadiens nicht oben auf der Tribune verfolgt. «Ich machte während des Spiels Krafttraining und sass auch noch auf dem Velo.» Ob Frischling oder bestandener Veteran – vor dem Gesetz der Leistung sind alle gleich. Standvelofahren im Madison Square Garden wie vor zwölf Jahren – als sei die Zeit für Mark Streit stillgestanden
Einen Unterschied gibt es allerdings schon. Damals vor 12 Jahren ging es für Mark Streit um alles oder nichts. So stark sein Selbstvertrauen nach einer grossen Karriere in der Schweiz auch war – die Nichtberücksichtigung für ein Spiel war für ihn schwierig zu akzeptieren.
Er musste positiv bleiben und gute Miene zum «bösen» Spiel machen, wenn seine Karriere nicht enden sollte bevor sie begonnen hatte. «Die Situation ist nicht mehr vergleichbar. Ich bin natürlich immer noch ehrgeizig und möchte unbedingt spielen. Aber wenn ich nicht darf, dann ist es halt, wie es ist und ich habe keine schlaflose Nacht, weil ich jetzt gegen die Rangers nicht spielen durfte.»
So oder so geht es ihm ja gut. «In Montréal spielen und leben zu können ist für meine Familie und mich super. Ich habe dort viele Freunde und Bekannte.» Ob er auch bei einem anderen Klub, vielleicht in der windumtosten Prärie in Winnipeg oder in der Wüste von Arizona eine weitere Saison gespielt hätte, lässt er offen. «Ich bin glücklich, dass es mit Montréal geklappt hat. Was soll ich mir da Gedanken machen, was gewesen wäre, wenn?»
Ein wenig ist diese Saison halt schon eine «Abschiedstournee». Marks Eltern waren auch in New York beim Spiel und werden nun nach Montréal fliegen. Sie wollen ihren berühmten Jungen spielen sehen, so lange er noch spielt. Wird es tatsächlich die letzte Saison sein? «Eigentlich möchte ich offen lassen, wann ich aufhöre. Aber wahrscheinlich ist es die letzte Saison.» Aber eines ist für ihn sicher: «Ich werde sicher nicht mehr in der Schweiz spielen. Das würde mir höchstens nur harsche Kritik einbringen. Allenfalls wäre es interessant, wenn ich kritikresistent werden möchte …» Hingegen ist für ihn klar, dass er nach seiner NHL-Karriere in der Schweiz, in Bern leben wird.