Wehe, wenn Guy Boucher böse wird. Dann wird es schwierig ihn zu bremsen.Bild: KEYSTONE
Eismeister Zaugg
Hat SCB-Trainer Guy Boucher (43) nach dem 2:3 n.V. gegen den HCD die Nerven
verloren oder nur grosses Theater gespielt?
Die Antwort auf diese Frage ist für den
Ausgang der Halbfinalserie gegen Davos
entscheidend.
18.03.2015, 07:4418.03.2015, 09:04
Ach, welch ein grossartiges Schauspiel. Die
beiden Headschiedsrichter Didier Massy und
Marc Wiegand haben dem SCB bis kurz vor
Schluss nur gerade zwei Strafminuten
aufgebrummt. Aber dann kassieren
nacheinander Eric Blum (56:40 Min.), Alain
Berger (57:26 Min.) und Leitwolf Martin Plüss
(58:17 Min.) je zwei Minuten. 11,5 Sekunden
vor Schluss trifft Davos mit sechs gegen vier
Feldspieler zum 2:2 und gewinnt in der
Verlängerung 3:2.
Also sind die Schiedsrichter das zentrale
Thema. SCB-Trainer Guy Boucher zelebriert
im Kabinennebenraum bei der
Medienkonferenz nach dem Spiel seinen
grössten Auftritt seit er im Januar 2014 den
SCB übernommen hat. Er mahnt irgendwie an
eine Mischung aus dem italienischen
Schauspieler Diego Abatantuano im Film «Eccezzziunale…veramente» – er spielt drei
unterschiedliche Formen der Fans von AC
Mailand, Inter Mailand und Juventus Turin – und Jack Nicholson in «The Shining».
Guy Boucher flucht schon unmittelbar nach dem Spiel wie ein Rohrspatz.gif: SRf
Das Spiel ist längst aus und bis Mitternacht
dauert es nicht einmal mehr eine halbe
Stunde. Das Lokalfernsehen TeleBärn hat
die Kamera auf den SCB-Trainer gerichtet,
Mikrofone werden ihm entgegengestreckt und
er legt los. Die letzte Strafe gegen Martin
Plüss bezeichnet er als kompletten Witz. «Er
ist vielleicht der disziplinierteste Spieler der
Liga, ein Held in diesem Land, und ihn so zu
bestrafen ist ein Witz und einer Liga mit
diesem Kaliber unwürdig.»
Der zornige SCB-Bandengeneral weist explizit
darauf hin, dass Didier Massy und Marc
Wiegand schon bei der 1:2-Niederlage im
sechsten Spiel in Lausanne gegen den SCB gepfiffen haben. So erweckt er den Eindruck
einer Verschwörung gegen den SCB.
Auf die Frage, ob sein Team gegen Davos also
wegen der Schiedsrichter verloren habe,
präzisiert er: «Verdrehen Sie nicht die Worte in
meinem Mund. Ich habe gesagt, diese Strafe
sei ein Witz gewesen.» Also hat der SCB
wegen eines Witzes verloren? «Ja.» Und der
Schluss liegt nahe, er muss es nicht einmal
sagen: Der Witz waren die Schiedsrichter.
Boucher spielt Theater
Es ist die kurze Zusammenfassung eines
grandiosen Auftrittes. Guy Boucher wirkt
zornig, mit wildem, stechendem, unheimlichem
Blick. Ein Mann sieht rot. Ein Trainer hat die
Nerven verloren.
Nein, so ist es nicht. Anders als bei seiner
Schiedsrichterbeschimpfung nach der
Niederlage mit Team Canada gegen Servette
beim Spengler Cup hat Guy Boucher diesmal
nicht die Nerven verloren. Der Kanadier spielt
nur Theater. Ganz grosses Theater. Jedes
Wort ist sorgfältig gewählt und er spricht
deutlich. Er hat sich jederzeit unter Kontrolle.
Guy Bouchers Ausraster am Spengler Cup 2014.video: srf
Wie es sich für einen Mann gehört, der einen
Universitätsabschluss in Psychologie hat. Die
Worte sind so gut gewählt, dass
formaljuristisch wahrscheinlich nicht einmal
eine Schiedsrichterbeleidigung nachgewiesen
werden kann. Ein guter Jurist müsste
eigentlich dazu in der Lage sein, in einem
allfälligen Verfahren von Einzelrichter Reto
Steinmann einen Freispruch zu erwirken.
Warum dieses Theater? In kritischen
Situationen kann ein Trainer durch einen
solchen Auftritt die Mannschaft enger um sich
scharen. So wird die Stimmung «Wir gegen
den Rest der Welt» heraufbeschworen. Guy
Boucher als grosser Hexenmeister der
Motivationskunst. Zum grossen Theater
gehört auch, dass der Trainer den Spielern
verbietet, nach dem Spiel Interviews zu
geben. Das sei nicht nötig, die Spieler seien in
der Sache auch seiner Meinung.
SCB-Trainer Guy Boucher gibt im Timeout seine Anweisungen. Tristan Scherwey scheint nicht ganz einverstanden.Bild: KEYSTONE
Weil es Operetten-Zorn und nicht echter,
heiliger, unkontrollierter Zorn ist, gibt es noch
Hoffnung für die Berner. Der SCB-Trainer hat
nicht die Nerven verloren. Er wird dazu in der
Lage sein, die Niederlage kühl zu analysieren.
Eine Analyse mit klarem Verstand zeigt
nämlich: Die Schiedsrichter haben diese
Niederlage nicht verursacht. Alle drei Strafen
in der Schlussphase sind berechtigt. Im
Regelbuch steht nicht, dass in den letzten
Minuten und dann, wenn eine Mannschaft
schon in Unterzahl spielt, grosszügiger
gepfiffen werden muss. Und diese letzten
Minuten sind der Beweis dafür, dass sich die
Schiedsrichter von der grössten
Zuschauerkulisse ausserhalb der NHL nicht
einschüchtern lassen. Und dass der SCB nicht
aus politischen Gründen von den
Schiedsrichtern und der Liga und den Medien
und Gott und der Welt bevorzugt wird.
HCD war besser, doch Bern hätte nicht verlieren dürfen
Entscheidend ist nun die Innenwirkung dieses
grossen Schauspiels. Die aufputschende
Wirkung auf die Mannschaft ist unbestritten.
Ein Trainer, der sich schützend vor die
Mannschaft stellt, ist ein Held. Aber die Schiedsrichterleistung darf nicht als
Ausrede für die Niederlage akzeptiert werden.
Es gibt klar ersichtliche hockeytechnische
Gründe für die Niederlage.
Der SCB steht in diesem ersten Halbfinal nach dem kuriosen Defensiv-Hockey der
Viertelfinalserie gegen Lausanne noch auf
wackligen Beinen. Deshalb verlieren die
Berner eine dramatische, aufwühlende Partie
in der 9. Minute der Verlängerung durch einen
Treffer von Samuel Guerra 2:3.
Guerra schiesst den HCD in der 69. Minute zum Sieg.gif: srf
Der HCD war ganz klar besser – und doch
hätten die Berner diese Partie eigentlich nicht
mehr verlieren dürfen. Sie machten gegen den
kraftvoll stürmenden HCD nicht den Fehler,
sich in der eigenen Zone zu verschanzen und
spielten ungleich aktiver, aggressiver, mutiger
und offensiver als in der Viertelfinalserie
gegen Lausanne. Der weltberühmte
humoristische Dichter Wilhelm Busch hätte
den «neuen» SCB in einem Satz charakterisiert: «Lange war der SCB in der Offensive krank,
jetzt stürmt er wieder, Gott sei Dank.»
Die Mannschaft von Trainer Guy Boucher
verlegte die Störarbeit (das Forechecking)
weiter nach vorne, oft bis vors gegnerische
Tor, und vermochte das gegnerische Spiel
gegen die unerfahrenen HCD-Verteidiger
bereits im Ansatz empfindlich zu stören. Und
beinahe, aber eben nur beinahe, wäre die
Rechnung aufgegangen. Der erste Treffer gelang nach einem Scheibengewinn in
der HCD-Abwehrzone. Dieses Tor rettete den
SCB durch eine kritische erste Spielhälfte und
nach dem Powerplay-Treffer zum 2:1 wäre ein
entscheidendes 3:1 möglich gewesen.
Zwischen Stuhl und Bank gefallen
Der Faktor Glück oder gar Zufall spielte gewiss
auch mit. Aber der späte Ausgleich und die
Niederlage in der Verlängerung hatten auch
ihre Logik. Gegen diesen wuchtig vorwärtsspielenden Gegner hatte der SCB Mühe, seine
Defensive zu organisieren. Die Fehlerquote
war zu hoch und der HCD erzwang das 2:2,
die Verlängerung und den Sieg letztlich auf
überzeugende Art und Weise. Nebst drei
Treffern notierten die Chronisten auch noch
vier Stangenschüsse.
Die Umstellung vom extremen Defensivhockey
auf das offenere, aggressivere und riskantere
Spiel gelang dem SCB letztlich nicht richtig.
Die Mannschaft ist gewissermassen zwischen
Stuhl und Bank gefallen. Defensiv nicht stabil
genug, um dem HCD standzuhalten, offensiv
nicht gut genug, um die Entscheidung
herbeizuführen. Der Bär tanzte mit dem
Steinbock – aber er konnte schliesslich nicht
mehr Schritt halten.
Der HCD hat die Oberhand gewonnen, können die Berner reagieren?Bild: Urs Lindt/freshfocus
Die Berner sind gut genug, um einen
spielerisch und taktisch besseren HCD ins
Wanken zu bringen. Aber im ersten Spiel
waren sie böse und gut genug, um diesen
Gegner «vom Eis zu arbeiten» – ein Klischee,
aber ein treffendes.
Der HCD hat den Schwung des letzten
Herbstes, als er die Liga zeitweise nach
Belieben dominierte und neun Spiele in Serie
gewann, wieder gefunden, alle drei
Auswärtspartien im Viertelfinal gegen Zug
und nun auswärts auch den Halbfinal-Auftakt
gegen den SCB gewonnen.
Der beste Bührer aller Zeiten für die Wende
Ist dieser Sieg in Bern eine Vorentscheidung?
Nein, noch bei weitem nicht. Der SCB hat zum
Auftakt gezeigt, dass er genug Energie,
Erfahrung und Mut hat, um diesen HC Davos
in Bedrängnis zu bringen und wenigstens
phasenweise die klare spielerische
Unterlegenheit zu kompensieren.
Und
Torhüter Marco Bührer spielt jetzt sein bestes
Playoff-Hockey. Er vollbrachte erneut
Heldentaten – bis in die Verlängerung hinein,
als er in der 6. Minute Dick Axelsson solo
stoppte. Das will etwas heissen. Er hat den
SCB schon dreimal (2004, 2010 und 2013)
zum Titel gehext. Der SCB braucht für eine
Wende den besten Bührer aller Zeiten.
An Marco Bührer lag es nicht, dass der SCB den Halbfinal-Auftakt gegen Davos verloren hat.Bild: Urs Lindt/freshfocus
Gelingt dem SCB nach dem grossen Auftritt
von Schauspieler und SCB-Trainer Guy
Boucher eine Wende, dann können wir der
Versuchung nicht widerstehen, einen Titel aus
der Weltliteratur zu zitieren. «Die Früchte des
Zorns» (John Steinbeck).
P.S. Anders als beim Trainer war der Zorn von
SCB-General Marc Lüthi auf die Schiedsrichter
echt nicht bloss Theaterdonner. Der
Sicherheitsdienst rückte wohlweislich gleich
mit drei Mann an, um die tapferen
Unparteiischen sicher aus dem Hockeytempel
zu geleiten.
Nach zwei Testspielen und null Gegentoren ist beim Nationalteam das Vertrauen in die Defensive zurück. In der Offensive sucht Trainer Murat Yakin nach Alternativen.
Es sind Worte, die erstaunen. Als Murat Yakin auf die Situation im Angriff angesprochen wird, fallen plötzlich Namen wie Haris Seferovic und Joël Monteiro. «Für Seferovic ist die Tür nicht zu», sagt der Nationaltrainer. Und zu Monteiro, dessen Einbürgerung noch nicht abgeschlossen ist, meint er: «Wir hätten ihn gerne schon jetzt dabei gehabt.»
Zudem mutet es komisch an, dass Arno in der 2. Pause minutenlang mit den Schiedsrichtern diskutieren darf, obwohl gemäss Code of Conduct (siehe Homepage SEHV) genau das nicht erlaubt ist...