Die Verpflichtung von ausländischem Personal ist für die Sportschefs auch in der zweithöchsten Spielklasse eine ganz, ganz ernsthafte Angelegenheit. In vielen Partien machen die Ausländer die Differenz. Und Geld kosten sie auch. Schliesslich sind auf dem Nettolohn auch Steuern zu bezahlen plus eine Wohnung, plus Auto, plus Flugtickets für die ganze Familie und manchmal auch noch eine Privatschule für die Kinder. Da sind schnell mal mehr als 100'000 Franken weg.
Also gehen der Unterschrift unter die mehrseitigen Arbeitsverträge wochenlange Abklärungen voraus. Die Sportchefs kramen in Statistiken, visionieren Videos, telefonieren in der ganzen Hockeywelt herum, um ja alles abzuklären. Sie befragen ehemalige Mitspieler und Trainer, Scouts und Astrologen, Kartenleser und Psychologen, um ganz sicher zu gehen, dass die richtigen Männer kommen. Sie gehen gründlicher vor als Forscher, die ein wunderliches, neu entdecktes Insekt untersuchen.
Aber eben: Es geht um ein unberechenbares Spiel auf rutschiger Unterlage. Ausgetragen von Männern, die bezahlt werden, um zu spielen, nicht um zu arbeiten. Ach, wie oft schon ist nach sorgfältigen, umfangreichen, eingehenden, fundierten – kurzum hochprofessionellen – Abklärungen dann doch eine Niete, ein Versager, ein Schillerfalter verpflichtet worden.
Es kann aber auch sein, dass ein Sportchef zu formidablen Ausländern kommt wie zu einem Lottogewinn. Oder wie die Jungfrau zum Kinde. So ein Glückspilz ist Langenthals Sportchef Kevin Schläpfer. Da er in Zeiten der Krise ein rigoroses Sparprogramm umsetzen muss – das Budget ist erstmals seit dem ersten Meistertitel von 2012 unter drei Millionen gedrückt worden – hatte er sich bereits auf eine Saison ohne Ausländer eingestellt.
Und nun hat er doch zwei ausländische Stürmer. Sozusagen zum Nulltarif. Oder doch fast. Mehr noch: der Finne Eero Elo (30) und der Amerikaner Jack Walker (24) haben den Langenthalern soeben mit zwei Treffern den dramatischen Derby-Sieg gegen Olten (2:1) beschert.
Eero Elo spielt für 5000 Franken pro Monat in Langenthal. Das Geld wird von einer Männerrunde mit abgeschlossener Vermögensbildung spendiert. Der freundliche Titan ist mit seinem Talent, seiner NHL-Postur (193 cm/92 kg) und seiner Erfahrung ja eigentlich eine Nummer zu gross für die Swiss League. Aber weil ihm der «Biss» für die Rückkehr in die höchste Liga zu fehlen scheint, stürmt er nach wie vor für Langenthal. Das Leben im beschaulichen Städtchen gefällt ihm und seiner Familie gut. Er spielt für so wenig Lohn in der zweithöchsten Liga, weil das die einzige Möglichkeit ist, wieder in der Schweiz zu leben.
Kevin Schläpfer ist überaus zufrieden mit ihm. «Er hat sich sehr gut in die Mannschaft integriert, er ist ein angenehmer Typ, sehr beliebt und er macht seine Punkte. Gegen Olten hat er eines seiner besten Spiele gezeigt und zusätzlich zu seinem Tor mit vielen Checks für Präsenz und Dominanz gesorgt.
Nach elf Spielen hat Eero Elo mit fünf Toren und sechs Assists elf Punkte auf dem Konto. Die bange Frage ist natürlich: Gelingt es, ihn zu halten? Einerseits wäre Kevin Schläpfer natürlich glücklich, wenn der Finne noch produktiver wäre. Aber andererseits weiss er auch, dass zu gute Statistiken trotz Krise die Begehrlichkeiten der National League wecken könnten, Der umtriebige Baselbieter bestätigt: «Wenn er ein Angebot aus der höchsten Liga bekommt, darf er sofort gehen.»
Bis jetzt hat sich noch niemand für Langenthals finnische «Geheimwaffe» interessiert. Doch Eero Elos Traum bleibt die Rückkehr nach oben. Am liebsten wieder nach Langnau. Aber dort hat Sportchef Marco Eichmann kein Musikgehör. Und so beginnt Kevin Schläpfer, die Finanzierung einer Vertragsverlängerung bis Ende Saison zu organisieren. «Sein Vertrag läuft Ende November aus. Aber er darf die Lohnbuchhaltung weiterhin nicht belasten. Wir müssen neue Gönner finden.»
Eine Verlängerung dürfte nicht viel mehr kosten als die bisherigen 5000 Franken im Monat und es sollte dem charismatischen Sportchef auch in Zeiten der Krise eigentlich gelingen, dieses Geld aufzutreiben. Der Oberaargau ist die wirtschaftlich stärkste und reichste Region des gesamten Bernbietes. So gesehen ist der Derby-Sieg von unschätzbarem Wert: Siege gegen Olten wärmen so richtig die Hockey-Herzen und öffnen die Portemonnaies für eine «Elo-Spende».
Ein noch grösserer Hockey-Romantiker ist Jack Walker. Der Amerikaner hat es zwar in den NHL-Draft gebracht (2016 Torontos Nr. 152). Aber nie über die drittklassige Farmteamliga «East Coast Hockey League» hinaus und in Europa reichte es bisher grad für die dänische Operettenliga. Nun hat er 41 Sekunden vor Schluss den Siegestreffer gegen Olten erzielt. Sein zweites Tor. Er brauste heran, um einen Abpraller ins Netz zu zwicken.
Noch so gerne erzählt Kevin Schläpfer, wie er zu diesem «Gratis-Ausländer» gekommen ist. «Jack hatte meine Nummer, so viel ich weiss, von unserem ehemaligen Trainer Heinz Ehlers. Eines Tages hat er mich angerufen und gefragt, ob er zu einem Probetraining kommen dürfe. Ich sagte ihm, dass wir kein Geld haben. Doch er entgegnete, das sei kein Problem. Er zahle den Flug in die Schweiz selber, er wolle einfach irgendwo spielen. Auch mein Einwand, das sei wohl keine so gute Idee, er müsse bei uns nämlich nach der Ankunft zehn Tage in Quarantäne, schreckte ihn nicht ab.»
So ist Jack Walker nach Langenthal gekommen und die ersten zehn Tage musste er in der Quarantäne verbringen. Kevin Schläpfer hat ihn kostenneutral für den Klub in der Wohnung eines befreundeten Immobilien- und Pneuhändlers untergebracht. «Ich habe ihm während der Quarantäne persönlich jeden Tag das Essen vorbeigebracht.» Und als die Wegsperrung zu Ende war, musste der Amerikaner erneut daheimbleiben: der SC Langenthal wurde in die Quarantäne geschickt. «Jack hat von den ersten 34 Tagen bei uns 20 Tage in Quarantäne verbracht.»
Nun kommt er langsam aber sicher in Fahrt. Ein flinker Läufer mit schnellen Händen. In den ersten vier Partien blieb er noch ohne Tor. «Aber ich habe ihm trotzdem einen Probevertrag bis Ende Dezember gegeben» sagt Kevin Schläpfer. «Erstens hat er Potenzial und zweitens nahm er so viel Mühe auf sich, um zu uns zu kommen. Das zeigt mir, dass er Biss hat.»
Und siehe da: nun hat Jack Walker am Dienstag gegen La Chaux-de-Fonds (5:4) den ersten und nun gegen Olten den zweiten Treffer erzielt. Er ist der billigste ausländische Spieler der Klubgeschichte: seine bis Ende Dezember befristete «Anstellung» sichert ihm nur Kost und Logis und ein Taschengeld zu. Aber er ist froh, dass er überhaupt eine Spielgelegenheit auf ansprechendem Niveau erhalten hat.
Noch nie seit dem Wiederaufstieg von 2002 hatte der SC Langenthal so billige Ausländer. Aber «billig» in der Lohnbuchhaltung heisst eben nicht «billig» auf dem Eis. Und es passt zu dieser Weihnachtsgeschichte mit Hockey-Romantikern, dass ein billiger Goalie den Sieg gegen Olten festgehalten hat. Weil Pascal Caminada (34) im Spiel gegen die GCK Lions das Knieband gezerrt hat, musste bereits gegen La Chaux-de-Fonds und nun auch gegen Olten Junioren-Nationaltorhüter Andri Henauer (18) in die Hosen. Der Bruder von SCB-Verteidiger Mika Henauer (20) bestätigt, dass er gegen La Chaux-de-Fonds noch nervös gewesen sei. Trotzdem reichte es zum Sieg (5:4). Und nun hat er ganz cool Olten verhext und ist gar zum besten Spieler der Partie gewählt worden.
#Kadernews🚨 Der #SCL freut sich, die Verpflichtung des 18-jährigen Torhüters Andri Henauer bekannt zu geben. Ausserdem hat Tom Gerber den Vertrag um eine Saison verlängert. Danke Jungs! #gäubblauiliebi💛💙 #SwissLeague #SCLangenthal #Oberaargau #Langenthal pic.twitter.com/woHPxeoOEq
— SC Langenthal (@seit1946) April 14, 2020
Es passt zu dieser Sternstunde der Hockey-Romantiker, dass auch er die Langenthaler fast nichts kostet. Sein Vertrag beim SCB läuft Ende Saison aus und ist so tief dotiert, dass er trotz bescheidenem Lebenswandel ohne die finanzielle Unterstützung der Eltern (seine Mutter ist die ehemalige Ski-Prinzessin Corinne Schmidhauser) nicht über die Runden käme. Am 6. Dezember muss er in die Vor-Quarantäne für die U20-WM einrücken. Ist Pascal Caminada bis dahin nicht fit, kommt als Aushilfe von Langnau Gianluca Zaeta (20). Und auch er wird – wie könnte es anders sein – im Falle eines Falles für die Langenthaler beinahe gratis spielen.