Beurteilen wir nur das, was wir auf dem Eis gesehen haben. Die Leistung also. Nichts als die Leistung. Ganz so, wie es sich für einen Chronisten gehört, dem jede Polemik fremd ist.
Wir sehen eine Mannschaft, die emotionslos das Spiel über sich ergehen lässt wie den Besuch bei der Dental-Hygienikerin. Die nur noch einen brauchbaren ausländischen Spieler hat. Die den Glauben an die eigenen Möglichkeiten verloren hat. Es ist der SC Bern.
Selbst der Ausgleich «aus dem Nichts», aus der dümmstmöglichen Strafe gegen die SCL Tigers (zuviele Spieler auf dem Eis) zeigt keinerlei Wirkung. Die Langnauer reagieren kurz und mutz. Gut zwei Minuten später steht es 2:1 und ein Treffer ins leere Gehäuse besiegelt den Sieg (3:1). Oder darf der SCB Verletzungspech beklagen? Ach was. Die Langnauer mussten ohne ihren offensiven Leitwolf (Chris DiDomenico) und ihren Verteidigungsminister (Andrea Glauser) antreten.
Der Meister mahnt inzwischen an die Lakers auf ihrem Weg in die zweithöchste Liga. Sechs Mal hintereinander hatten sich die Lakers in den Playouts gerettet. Sie hielten sich für unabsteigbar. Sie ignorierten alle Warnsignale. Sie entschieden sich, alles besser zu wissen. Die langen Jahre des erfolgreichen Abstiegskampfes hatten sie arrogant gemacht.
Nie seit dem Wiederaufstieg von 1986 (am grünen Tisch) war das SCB-Management so arrogant wie im Herbst 2019 nach drei Titeln in vier Jahren. Aber es ist Arroganz aus Selbstüberschätzung und sie hat nichts mit jenem gesunden, urbernischen Selbstvertrauen zu tun, das zur DNA des wahren SC Bern gehört.
Es geht hier um eine ganz einfache Grundregel des Sportes. Der grosse Motorsportgeneral Enzo Ferrari hat sie einst aufgestellt: Es ist wichtig, zu wissen warum man verliert. Aber noch viel wichtiger ist zu wissen, warum man gewinnt.
Kari Jalonen, ein Welttrainer, hat mit seinem taktischen Geschick eine Mannschaft letzte Saison noch einmal zum Titel geführt, die vom Talent her schon lange nicht mehr meisterlich war. Deren Fundament noch Sportchef Sven Leuenberger (heute ZSC Lions) gebaut hatte.
Der grosse finnische Trainer kaschierte so die konzeptlosen Transfer-Politik: Seit zwei Jahren transferiert die sportliche SCB-Führung nur noch wahllos zusammen, was noch zu haben ist und sonst nirgendwo mehr zu hohen Salären unterkommt. Von einer gezielten Ergänzung oder gar einer klugen langfristigen Erneuerung kann keine Rede sein. Der SCB hat die glückloseste sportliche Führung seit dem Wiederaufstieg. Es ist wie bei der Geschichte mit den neuen Kleidern des Kaisers. Alle sehen, dass der Kaiser der Sportabteilung nackt herumläuft. Aber niemand sagt es Marc Lüthi.
Dazu passt die Serie von ausländischen Fehleinkäufen, die inzwischen beispiellose Dimensionen erreicht hat. Der Chronist verzichtet an dieser Stelle auf eine detailliertere Analyse der SCB-Ausländerpolitik. Er will ja nicht polemisieren. Nur so viel: Der Neueinkauf Andrew MacDonald dürfte der langsamste Verteidiger der Liga sein. Natürlich stand er beim 1:0 der Langnauer auf dem Eis.
Eine Mannschaft mit Schweizer Transfers zu ergänzen oder zu erneuern, ist selbst für den tüchtigsten Sportchef sehr schwierig. Hingegen darf von einem tüchtigen Sportchef erwartet werden, dass er das passende ausländische Personal rekrutiert. Er hat ja nichts anderes zu tun, als sich um das Wohl seiner Mannschaft zukümmern.
Selbst mit einer Ausländerpolitik ohne Fortune müsste der SCB die Playoffs locker erreichen. Aber auch ein Vergleich der Namen, Leistungen und Löhne der Schweizer Spieler zwischen Langnau und Bern ist für den SCB in diesem Derby geradezu beschämend.
Wenn die rührige sportliche Führung beim SCB soviel aus ihren Möglichkeiten machen würde wie die Langnauer, dann könnte sich Marc Lüthi für eine Aufnahme in die NHL bewerben.
Kari Jalonen ist ein grosser Trainer. Er hat eigentlich bei diesem so kläglich verlorenen Derby alles richtig gemacht: Nachdem der SCB gegen Zug mit wildem Karacho-Hockey (u.a. zwei Treffer in Überzahl) untergegangen war, kehrte er in Langnau zu den Ursprüngen seines Erfolgsrezeptes zurück: Er liess wieder Schablonen-Hockeyspielen:
Diese Rechnung ist aus zwei Gründen nicht aufgegangen:
Kurzum: Sie waren zu Land, zu Wasser und in der Luft besser als der SCB.
Was nun? Die Nordamerikaner sagen in einer solchen Situation: «But there’s always a next game». Es gibt immer eine nächste Chance.
Der SCB hat Glück: Die ZSC Lions sind heute Abend der perfekte Gegner zur Korrektur. Zu einem ersten Schritt aus der Krise. Gegen den Tabellenführer hat der Meister nichts zu verlieren. Er kann nur gewinnen. Ein grosses Hockeyunternehmen müsste eigentlich zu einer wuchtigen Reaktion fähig sein.
Es ist so ziemlich die letzte Gelegenheit für eine heftige Reaktion. Bisher hatte die Mannschaft keine Zerfallserscheinungen gezeigt. Doch nun haben wir in Langnau zum ersten Mal tief beunruhigende Zeichen des Zerfalls gesehen: Unmut und Unstimmigkeiten auf der Spielerbank und ein Trainer, der seine Gelassenheit verliert: Auf dem Rückweg vom TV-Interview zur SCB Kabine entfuhr dem finnischen Stoiker das Wort «F…».
Noch nie seit der Einführung der Playoffs war ein Meister im November so miserabel. Nicht die ZSC Lions der letzten Saison und auch nicht der SCB während der Qualifikation 2013/14 oder 2015/16.
Die bange Frage deshalb: Kann Kari Jalonen scheitern? Er ist doch mit dem kürzlich verlängerten Vertrag bis zum Ende der nächsten Saison unentlassbar! Unsinn. Er ist entlassbar. Bayern München hat einst sogar die Zusammenarbeit mit Pep Guardiola beendet. Was den Bayern recht war, wird dem Bayern München des Eishockeys billig sein. Der SCB ist so gross, dass er sich sogar die Beendung eines Arbeitsverhältnisses zur Unzeit mit einem Titanen des Trainerberufes leisten kann.
Der SCB steckt in einer tiefen Krise, die weit über die Sportabteilung hinausgeht. Sie hat Marc Lüthi erfasst. Der beste Sportmanager im Land und König von Bern hat nach drei Titeln in vier Jahren mit Kari Jalonen vergessen, dass der SCB immer grösser ist als der grösste Trainer. Er hat es zugelassen, dass Kari Jalonen grösser geworden ist als der SCB.