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Wie kann es sein, dass die ZSC Lions, die in der Qualifikation 31 Punkte (!) mehr als der SC Bern geholt haben, nun im Playoff-Viertelfinal auf einmal nach zwei Niederlagen (3:4 n.P, 1:2) mit dem Rücken zur Bande stehen? Ist es gar ein Hockeywunder?
Nein, es ist kein Wunder. Aber es ist ein Drama. Zur Erklärung, wie so etwas möglich ist, erst ein kurzer Blick zurück auf höchster Ebene: Eigentlich hätten die Russen (die damals noch Sowjets genannt wurden) zwischen 1970 und 1990 mindestens zwanzig WM-Titel hintereinander gewinnen müssen. So überlegen waren sie spielerisch.
Aber sie mussten mehrmals den Tschechoslowaken und einmal den Schweden den Vortritt lassen. Der Grund war der gleiche, der jetzt die ZSC Lions in Rücklage gebracht hat. Die «russische Krankheit». Die Unfähigkeit, eine klare technische und läuferische Überlegenheit in Tore und Siege umzumünzen. Und ein unflexibler Coach, der nicht fähig ist, auf eine neue, ungewohnte Situation die richtige Lösung zu finden, stur bis zum Untergang am System festhält, seine besten Spieler zu stark forciert und so dem Gegner die Defensivarbeit einfacher macht.
Damals hiess es, die russischen Coaches (allen voran Wiktor Tichonow) wüssten eben nicht, was Playoffs sind und seien deshalb anfällig auf Niederlagen in alles entscheidenden Spielen.
Diese Begründung wäre jetzt geradezu absurd. An der Bande der ZSC Lions steht mit Marc Crawford ein altgedienter, hoch dekorierter nordamerikanischer NHL-General. Erfahren aus mehr als 1200 NHL-Gefechten. Stanley Cup-Sieger. NHL-Coach des Jahres.
Und doch ist Marc Crawford in diese «russische Falle» getappt. Er hat seinen Plan, seine Strategie und die wird durchgezogen: immer und immer die gleichen Angriffsvarianten. Zwar mischt er durchaus die Linien – aber letztlich forciert er die besten Spieler einfach zu stark in immer neuen Zusammensetzungen. Dadurch erreichen die ZSC Lions zwar eine klare spielerische und optische Überlegenheit und sogar auswärts mehr Torschüsse (27:23 für die ZSC Lions). Aber viel zu wenig klare Torchancen. Wie eine Maschine, die läuft und läuft und läuft und doch nichts produziert.
Das ZSC-Spiel ist wunderbar, leichtfüssig und hat uns im Berner Hockey-Tempel ein ganz besonderes Highlight beschert: Den Querpass von US-Wunderknabe Auston Matthews (18), der das Spiel öffnet und Marc-André Bergeron in Abschlussposition bringt. Robert Nilsson versenkt den Abpraller schliesslich zum 1:0. Da haben wir gesehen, warum der Amerikaner vom «Tages Anzeiger» als «Messi on Ice» gefeiert wird. Vorerst scheint das zu genügen. Denn ZSC-Meistergoalie Lukas Flüeler spielt bei seinem Comeback eine schlichtweg grossartige Partie.
Aber Eishockey ist ein raues Spiel. Es ist gut, einen Messi zu haben. Aber es braucht auch die rauen Kerle. Um beim Fussball-Vergleich zu bleiben: die Roger Wehrlis, Andy Eglis, Berti Vogts', Claudio Gentiles. Wir können es volkstümlich so sagen: Zürichs Spiel hat viel zu viel Messi und zu wenig Andy Egli oder Claudio Gentile.
Wenn es so weitergeht, wird aus dieser Viertelfinal-Serie ein Klassiker, ein Drehbuch für einen Lehrfilm. Der SCB hat in diesem Lehrfilm seine Traumrolle gefunden. Nicht viel fürs Spiel tun. Die Fehlerquote tief halten. Den eigenen Goalie abschirmen. Eine «Wagenburg» bilden. Bissig sein. Und einfach auf die Gelegenheit zum Konter lauern.
Die kommt im Eishockey oft und unverhofft. Es dauert nur ein paar Sekunden um die Distanz vom eigenen zum gegnerischen Tor zu überwinden. Das ist viel einfacher, als in der Qualifikation ein mutiges Langnau, ein tapferes Ambri, ein leidenschaftliches Biel oder ein zähes Lausanne «knacken» zu müssen.
Die schimmernde Herrlichkeit des ZSC-Spiels, die noch im Mitteldrittel so hell glänzt, wird im Schlussabschnitt immer matter. Die Niederlage der grossen Künstler zieht herauf. Tristan Scherwey, so ziemlich das Gegenstück von «Messi» Auston Matthews, erzielt das 2:1. Den Siegestreffer für den SCB.
Aber die Serie ist noch lange nicht zu Ende. Die ZSC Lions sind gut genug, um die Wende, die vier Siege zum Weiterkommen noch zu schaffen. Sie sind so gut, dass sie auch ein 0:3 noch aufholen können – vor allem dann, wenn sie den Rhythmus erhöhen und variieren, die besten Spieler nicht zu stark forcieren und den Energie-Vorteil mit einem breiteren Kader ausspielen. Und die Überlegenheit, die sie in dieser zweiten Partie in Bern gezeigt haben, wird im nächsten Spiel zum Sieg reichen. Der Puck wird nicht immer den Weg der Berner gehen wie an diesem Samstagabend.
Aber die zwei Siege haben dem SCB jenes Selbstvertrauen zurückgegeben, die es für eine Sensation braucht. So viel ist gewiss: Was eine ganz klare Sache schien, ist nun ein veritables Drama geworden. Dazu passt ja auch, dass der vermeintliche Ausgleich zum 2:2 nach Video-Konsultation (52.) von den starken Schiedsrichtern wegen Behinderung des Torhüters annulliert worden ist.
Eines dürfen wir aber jetzt schon sagen: Trainer Lars Leuenberger, der kleine Lars, machte seine Sache schon in der Qualifikation besser als Guy Boucher, der NHL-General. Und er macht seine Sache jetzt auch in den Playoffs besser als Guy Boucher vor einem Jahr.
Im letzten Frühjahr hat Marc Crawford das Finale gegen einen Schweizer Trainer verloren (Arno Del Curto). Jetzt ist er wieder gegen einen Schweizer Trainer in höchste Not geraten. Wir dürfen sagen: er hätte es einfacher, wenn er gegen irgendeinen NHL-General coachen dürfte. Wir unterschätzen die Schweizer Trainer.