Warum dreht ausgerechnet einer wie Josh Holden (37) immer wieder durch? Am letzten Samstag haben wir Glanz und Elend dieses ungewöhnlichen Spielers innerhalb weniger Minuten erlebt. Erst ermöglicht er nach 59:59 Minuten mit dem 3:3 den Zugern die Verlängerung – und in dieser Verlängerung bricht er während des Boxplays mit einem wüsten Stockschlag Klotens Topskorer Tommi Santala den Arm.
Der Kanadier wird dafür mindestens vier, möglicherweise aber auch bis zu zehn Spielsperren kassieren. Er wird nach Verbüssung seiner Strafe aufs Eis zurückkehren und mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit wieder mal ausrasten. Auch Trainer Harold Kreis wird Josh Holden nicht zähmen.
Echte Hockey-Bösewichte sind nämlich nicht therapierbar. Im besten Falle werden sie, wie etwa Todd Elik, hin und wieder altersmilde. Josh Holden ist keine Ausnahme. Und noch eines haben Hockey-Bösewichte gemeinsam: Sie sind neben dem Eis hochanständig. Ja, sie wirken gar, wie etwa Josh Holden, so sanft wie der Vorsitzende einer Hippie-Kommune.
Warum ist das so? Warum rasten erwachsene Männer und Familienväter beim Spielen aus? Obwohl sie doch ganz genau wissen, dass sie damit ihrem Team schaden, sich jede Menge Ärger aufhalsen und für längere Zeit auf die Tribüne verbannt werden. Und warum wirken sie so friedlich, unschuldig und sanft, sobald sie sich aus den ritterähnlichen Ausrüstungen geschält, die Schuhe mit den scharfen Eisen ausgezogen und den Schlagstock zur Seite gelegt haben?
Josh Holden ist für seine Ausraster inzwischen legendär. Er spielt seine zehnte Saison in der NLA und ist mit Ausnahme der Saison 2012/13 jedes Jahr «straffällig» geworden. Seine grössten Missetaten: Am 9. September 2011 kassierte er für ein Foul gegen den Kopf von Fribourgs Christian Dubé acht Spielsperren. Am 5. Oktober 2013 doppelte er mit einer Attacke gegen den Kopf von Luganos Julien Vauclair nach und kassierte wieder acht Spielsperren. Sowohl Christian Dubé als auch Julien Vauclair sind überaus friedfertige Spieler.
Robert Louis Stevenson hat dieses Phänomen des friedlichen Bösewichtes mit einem Stück Weltliteratur aufgearbeitet. In seiner Novelle («Strange Case of Dr.Jekyll and Mr.Hyde») ist der gutherzige, hoch angesehene Dr.Jekyll gleichzeitig auch der ungezügelt aufbrausende und mordende Mr.Hyde. Freilich finden wir auch in dieser Geschichte keine Antwort auf die Frage, warum so sanfte Menschen wie Josh Holden immer wieder mal ausrasten.
Die interessanteste Analyse, warum Bösewichte nicht therapierbar sind und trotzdem so friedlich wirken, hat der hoch angesehene Berner Fürsprecher Andy Gross geliefert, der das Wesen und Wirken eigenwilliger Zeitgenossen sehr gut kennt. Er vertritt Filmgrössen, internationale Fussballstars und Hockeyspieler – unter anderem kümmerte er sich jahrelang wie ein väterlicher Freund um Todd Elik und verteidigte einst Misko Antisin im Gerichtsfall nach dessen Foul an Ambris Petr Malkow.
Andy Gross kam zum Schluss, dass Spieler wie Todd Elik, Josh Holden und Co. sehr oft aussergewöhnlich sensible und stolze Persönlichkeiten mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühl seien. Wenn irgendetwas im Spiel passiere – auch eine scheinbare Nebensächlichkeit – was dieses Gerechtigkeitsgefühl verletze, komme es zu heftigen Reaktionen. Es ist also offenbar nicht die Lust am Bösen, die Hockeyspieler ausrasten lässt.
Interessant ist die enorme Popularität dieser Hockey-Bösewichte. Sie faszinieren die Fans. Und ewig lockt das Böse. Josh Holden ist in einer Publikumswahl im Internet zum populärsten Spieler der Saison 2009/10 gewählt worden – eine Fachjury hätte ihm diese Ehre kaum gewährt. Und Todd Elik ist auch vier Jahre nach seinem Rücktritt immer noch Kult. Er hat übrigens eine Wandlung durchgemacht, die vom grossen Publikum kaum beachtet worden ist: Als Trainer des Erstligisten St.Imier hat er beinahe ein Wunder vollbracht und die Playoffs nur um einen einzigen Punkt verpasst. Er ist während der ganzen Saison nie ausgerastet.
In Nordamerika geniessen die Bösewichte («Goons») seit Anbeginn der Zeiten Starstatus. In der NHL ist ihre Rolle zwar etwas anders definiert: Sie sind dazu da, um Jungs wie Josh Holden in die Schranken zu weisen und patrouillieren wie Sheriffs übers Eis um Attacken gegen die eigenen Schlüsselspieler sofort zu ahnden. Auch die überwiegende Zahl der NHL-Bösewichte sind neben dem Eis äusserst friedfertige und nette junge Männer. Allerdings geht in der NHL das Zeitalter der «Goons» zu Ende. Noch nie gab es in der NHL so wenig Prügeleien wie diese Saison. «Null Toleranz» hat das Spiel schneller gemacht und die Klubs brauchen vier Linien. Da bleibt kein Platz mehr für zwei oder drei «Goons» – zumal die Salärbegrenzung zum Einhalten des Budgets zwingt.
Diese Kultur der «Goons» kennen wir bei uns nicht. Josh Holden hat nach seinen Missetaten noch nie eine richtige Tracht Prügel erwischt. Er muss auch sonst wenig befürchten. Er ist zwar böse und hat bisher nur einmal weniger als 50 Strafminuten pro Saison kassiert – und zweimal schon über 100. Aber er hat eben auch immer mehr als 30 Punkte gebucht. Sein Vertrag in Zug läuft noch bis zum Ende der nächsten Saison und er hat gute Aussichten, noch in diesem Jahr den Schweizer Pass zu bekommen. Als Schweizer wird er noch mindestens drei bis vier Jahre in der NLA ein wichtiger Spieler sein.