Die Nordamerikaner bezeichnen Eishockey als letzten wahren Mannschaftssport. Will heissen: Das Kollektiv sei im Eishockey ungleich wichtiger als im American Football, im Baseball, im Basketball oder eben auch Fussball. Ein Einzelspieler habe im Eishockey weniger Einfluss.
Diese Aussage hat durchaus ihre Logik. Im Fussball steht beispielsweise die zentrale Figur während der ganzen Spieldauer auf dem Feld. Im Eishockey nicht einmal während der halben Spielzeit.
Für die These, wonach das Kollektiv wichtiger ist als der Star, lässt sich in der NLA sogar ein unpolemischer statistischer Beweis führen. Diese Saison sieht die Offensiv-Rangliste der NLA so aus:
Die Kloten Flyers haben mit Peter Mueller den besten Offensivspieler der letzten Saison verloren. Mit Peter Mueller waren die Zürcher in der letztjährigen Qualifikation offensiv das fünftbeste Team gewesen. Ohne Peter Mueller sind sie jetzt offensiv mit Abstand die miserabelste Mannschaft.
Was wäre, wenn alle Teams ihren offensiv
besten Spieler nicht ersetzt hätten? Die
Kloten Flyers haben ja für Peter Mueller
bisher keinen Ersatz geholt und mit drei
Ausländern gespielt. Ausser Servette haben
alle Teams ihren besten Torschützen noch.
Die Offensivrangliste würde ohne den besten
letztjährigen Torschützen jetzt so aussehen:
Wir sehen also: Die «Sozialistische These» könnte stimmen. Kloten wäre auch dann das offensiv schwächste Team, wenn die Konkurrenz ebenfalls den besten Torschützen der letzten Saison verloren und nicht ersetzt hätte. Daran ändert auch die Ausnahme Servette (die Genfer spielen mit vier Ausländern) nichts.
Wir sollten bei dieser These allerdings berücksichtigten, dass die Kloten Flyers bisher auch auf Denis Hollenstein verzichten mussten. Er hat zwar letzte Saison für Servette «nur» zehn Tore erzielt und seine Präsenz würde unsere Theorie auch erschüttern.
Aber Denis Hollenstein ist ein charismatischer Spieler und der Sohn von Trainer Felix Hollenstein. Seine Präsenz dürfte die Chemie des Teams beeinflussen. Und damit sind wir bei einer Gegenthese: Wenn der beste Spieler fehlt, dann kann sich die Schlagkraft eines Teams sehr wohl ändern.
Wenn wir wissen wollen, wie gut eine Mannschaft tatsächlich ist, dann reicht es nicht, wenn wir einfach die Statistik der Einzelspieler addieren. Wir müssen auch wissen, in welcher Beziehung die einzelnen Spieler zueinander stehen, beziehungsweise wie sie sich in ihrem Spiel gegenseitig beeinflussen.
Das spielt sowohl auf dem Eis als auch in der Kabine eine Rolle. Es hat einen starken Einfluss auf die rein statistische Offensivproduktion und auf die Kampfkraft, kurzum auf das Erscheinungsbild, auf das Charisma einer Mannschaft.
Es gibt ja genug Beispiele von Einzelspielern, die ihre Mannschaft stark geprägt haben oder noch prägen: Mario Lemieux (Pittsburgh), Mark Messier (Edmonton, Rangers), Sidney Crosby (Pittsburgh), Kenta Johansson (Lugano), Slawa Bykow (Gottéron), Mikael Johansson (Kloten) oder Alan Haworth und Gaetano Orlando (SC Bern), Reto von Arx (Davos) oder Juha-Pekka Hytönen (Lausanne) – um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Hat also der Verlust von Peter Mueller nicht nur rein statistisch zu einem Rückgang der Klotener Offensivproduktion geführt? Hat seine Absenz auch die gesamte Chemie verändert und damit Kampfkraft und Leidenschaft verringert und damit erst die Krise ausgelöst? Das wäre eigentlich gegen die gängige Theorie, bei Kloten handele es sich um eine Dorfmannschaft mit Zusammenhalt im guten alten Sinne. Aber möglich ist es eben doch.
Sobald Peter Mueller wieder für Kloten Flyers spielt, dann wird es spannend. Ist die Krise dann beendet, dann können wir sagen: Eh, voilà! Die Ursache für den Sturz ans Tabellenende war einzig und allein die Absenz des letztjährigen Topskorers. Dann verneigen sich alle Kritiker (das gilt auch für mich), so tief sie es vermögen, vor Trainer Felix Hollenstein und Sportchef André Rötheli.
Aber eine Rückkehr von Peter Mueller beschert uns dann eben auch den Moment der unumstösslichen, letzten Wahrheit. Wenn es auch mit dem Amerikaner nicht besser wird, dann, ja dann müssten wir uns wieder intensiv mit der Frage beschäftigen, ob Felix Hollenstein tatsächlich nicht nur ein guter, sondern ein grosser Trainer ist.