Im 21. Jahrhundert dürfte es eine Persönlichkeit wie Walter Scheibli in der Medienszene eigentlich so wenig geben wie einen domestizierten Dinosaurier im Zürcher Zoo.
Die Lokalradios haben sich vom Nachrichtenmedium zu Dudelstationen gewandelt. Den Sportreportern bleiben nur noch Sekunden für ihre Durchsagen. Länger als zwei Minuten ist tabu.
The ONE and only 🙏#SuperWalti pic.twitter.com/7rbyWenG15
— ZSC Lions (@zsclions) 3. Dezember 2017
Im #Hallenstadion wird heute die Radio-Legend Walter Scheibli verabschiedet. Seit 1982 im Einsatz war er DIE Stimme der @zsclions - alles Gute auch von uns! #MySportsCH #HomeofSports #Eishockey #NationalLeague pic.twitter.com/XSxgrMNa2g
— MySportsCH (@MySports_CH) 3. Dezember 2017
Vorbei die goldenen Jahre, als das Radio das wichtigste Sportmedium war und die Männer, die uns buchstäblich stundenlang live in die Stube berichteten, Kultstatus hatten: An die Stimmen von Henri Eggenberger, Jean-Pierre Gerwig, Hans Estermann oder Sepp Renggli erinnern wir uns wie an die Oldies unserer Jugendzeit. Das Fernsehen hat uns diese Romantik genommen. Der Sport findet nur noch in Bildern und nicht mehr im Kopfkino statt.
Vor dem Spiel wird die @zsclions Reporterlegende Walter Scheibli verabschiedet. Auch von uns, alles Gute Walti 🙌🏻 #Respect pic.twitter.com/KEZ5KSarrA
— SC Bern (@scbern_news) 3. Dezember 2017
Aber Walter Scheibli hatte die Zeit angehalten. Er berichtete schon über den ZSC, als Radio 24 noch illegal vom Piz Groppera sendete und inzwischen hat er bei Radio 24 sogar Roger Schawinski überlebt. In den letzten Jahren hat Walter Scheibli vor allem für das ZSC-Fernsehen («ZSC TV») gearbeitet. Heute ist mit den Interviews nach dem Spiel gegen den SCB sein letzter Arbeitstag. «Es war mein Entscheid, nun aufzuhören. Es ist besser, wenn man seinen Rücktritt selber bestimmen kann.» Er wird nun die ZSC-Partien als Zuschauer geniessen.
Was macht bzw. was machte das Phänomen Walter Scheibli aus? Es sind verschiedene Faktoren. Erstens einmal verkörpert Walter Scheibli wie niemand sonst die ZSC-Kultur. Charme und Romantik des alten Hallenstadions und die alten Helden sind nicht mehr. An die «Belle Epoque» erinnerte uns nur noch die Stimme von Walter Scheibli. Wenn wir ihn hörten, reisten wir zurück in die Zeit, als der ZSC noch ein unverwechselbares Kulturgut der Stadt Zürich und nicht einfach ein «gemänätschtes» Sportunternehmen war und uns gleich der Lindenstrasse endlose Folgen von Dramen sportlicher und wirtschaftlicher Natur zwischen NLB und NLA lieferte.
Zweitens hatte Walter Scheibli seinen ganz eigenen Stil. Akustisch und optisch. Unverwechselbar. Mit seiner heiseren, an Joe Cocker mahnenden Stimme, konnte er so kultig wie sonst kein Mensch «Tsättäszee» sagen. Und er hatte die unverwechselbare kurz-prägnante Resultat-Durchsage erfunden, die tönt wie ein Hockey-Rapp: «Tsättäszee vier, Chloote null.» Also nicht wie die gewöhnlichen Reporter sagen: «Der ZSC führt gegen Kloten vier zu null.» Und ein ZSC-Tor verkündete er immer dreimal: «Goool, Goool, Goooool». Und alles immer im unverwechselbaren gelben Pullover auf der Medientribüne. Walter Scheibli ist bis heute der einzige Sportreporter der Welt, der von den Fans regelmässig in Sprechchören gefeiert worden ist. «Waaalti Scheibli» echote es im Hallenstadion tausendfach von den Rängen. Am Sonntagnachmittag trotz seinem offiziellen Rückzug in die Pension wohl nicht zum letzten Mal.
Drittens eine ganz besonders liebenswürdige Persönlichkeit. Walter Scheibli liebt den Sport. Er beherrschte wie kein anderer die charmant-sympathische Parteilichkeit für einen Klub, den ZSC. Sie war unüberhörbar und doch voller Anerkennung für den Gegner. Und in Krisen widerstand er der Versuchung der Häme. Sein direkter, unverwechselbarer und doch respektvoller Interview-Stil war deshalb nie verletzend. Walter Scheibli hatte eine Art, die Dinge zu sagen, dass er am Radio hätte erzählen können, Präsident Walter Frey sei ein schäbiger Sozialhilfeempfänger – und niemand hätte es ihm übel genommen.
Viertens die Kontinuität. Seit der Saison 1982/83 berichtete Walter Scheibli über die Spiele des Zürcher Hockey-Stadtklubs. Seit 1939 ist er ZSC-Fan – die Dauer dieser Karriere und diese Liebe zum Klub sind einmalig.
Fünftens das Medium. Beim staatstragenden Radio wäre eine Figur wie Walter Scheibli nicht möglich gewesen. Es brauchte das als Piratensender gegründete Lokalradio 24. Nur dort hatte er die Freiräume, um diesen eigenen Stil zu entwickeln und nur bei einem Lokalradio war diese Identifikation mit einer Mannschaft überhaupt möglich.
Sechstens die Herkunft. Walter Scheibli ist ein Urzürcher und nur zwei Jahre jünger als der ZSC. Er ist im Milchbuck-Quartier auf halbem Weg zwischen dem Hallenstadion und dem Dolder aufgewachsen und noch heute wohnt er mit seiner Frau dort.
Die ZSC Lions wissen sehr wohl, was sie an Walter Scheibli haben. Kein anderes Sportunternehmen hat einen Sympathieträger wie Walter Scheibli. Sie haben ihn und seine Frau Margrit – die beiden sind seit 55 Jahren verheiratet – zu Hallenstadion-Gästen auf Lebzeiten ernannt. Einst durfte Walter Scheibli sogar im Mannschaftsbus zu den Auswärtsspielen reisen und der ehemalige Präsident Fredy Duttweiler chauffierte ihn in den Wilden NLB-Zeiten der 1980er-Jahre im Lamborghini.
Bevor Walter Scheibli Sportreporter wurde, war er Sportler. Jugendriegler, Sektionsturner und Handballgoalie beim TV Oberstrass Zürich. Von den C-Junioren der Young Fellows stieg er via Etoile Sporting La Chaux-de-Fons, Martigny Sports und Red Stars ins Vorzimmer der Schweizer Fussballgoalie-Elite auf. Der kleine, reflexschnelle Linien-Spektakelkeeper, dessen Stil, so wird berichtet, ein wenig an Jean-Marie Pfaff mahnte (Bayern München), brachte es mit den Young Fellows auf drei NLA-Einsätze und ein paar Einwechslungen, ehe er seine Karriere beim FC Oerlikon und dem FC Unterstrass ausklingen liess.
Seinen Lebensunterhalt hat er aber nie ausschliesslich als Radioreporter verdient. Nach der Sekundarschule machte er eine Bäckerlehre und wurde Eidg. Dipl. Bäcker-Patissier. Später besuchte er eine Handelsschule, bildete sich sprachlich im Welschland weiter und arbeitete jahrelang im Aussendienst.
Walter Scheibli ist bzw. war für die ZSC Lions, was Foster Hewitt (1902 – 1992) für die Toronto Maple Leafs war. Foster Hewitt ist bis heute Kanadas berühmtester Radioreporter. Wie Walter Scheibli hatte er seinen ganz eigenen Stil. Er begrüsste seine Zuhörer zu jeder Übertragung mit «Hello, Canada, and Hockey Fans in the United States and New Foundland.»
Die Medientribüne im neuen Stadion der Toronto Maple Leafs heisst «Foster Hewitt Media Gondola». Es wäre nur recht, wenn die Medienplätze im Hallenstadion in «Walter Scheibli Medientribüne» umgetauft werden. Walter Scheibli ist schliesslich nach Foster Hewitt der zweitberühmteste Hockey-Radioreporter der Welt. Und hat nicht Julius Cäsar sinngemäss einmal gesagt: «Lieber der Erste im Hallenstadion als der Zweite in Kanada.»