Während der «Belle Epoque», als SCB-Kommunikationsdirektor Christian Dick noch als Sportchef beim «Bund» polemisierte und es in der Stadt zwei selbständige Sportredaktionen gab («Bund» und «Berner Zeitung») pflegten die gestandenen Chronisten ein ganz besonderes Ritual. Sie kramten im Herbst den Spielplan hervor und planten ihre Jass-Abende. Sie terminierten sie auf die SCB-Spiele gegen die Lakers. Weil das stets eine furchtbar langweilige Sache war, nichts passierte, der Sieger zum Vornherein feststand und allfällige Niederlagen als lässliche Sünden bloss belächelt wurden. Da konnten getrost die Volontäre Redaktionsdienst schieben.
Tempi passati. Nicht nur, weil es in Bern bald nicht mehr genug Sportchronisten in Lohn und Brot gibt, um einen Jass zu klopfen. Mittwoch, 16. Dezember 2020. Kurz nach 19:00 Uhr. Im Medienraum der grössten Arena Europas. Vor dem Spiel gegen die Lakers plaudere ich ein wenig mit dem freundlichen Istvan Nagy. Er begleitet die Lakers seit 28 Jahren (!) als Reporter für «Radio Central». Er hat Kult-Status. Wenn einer weiss, wie es um die Lakers steht, dann er. Polemik ist seinem Wesen fremd. Er sagt auf die Frage, wie er die Lakers einschätze, leichthin: «Wir haben fünfmal hintereinander verloren und sind schon froh, dass wir jetzt mit dem SCB einen Aufbaugegner bekommen.»
So einen Satz muss ein Berner, selbst einer, der durch und durch objektiv und ganz und gar kein eingefleischter SCB-Fan ist, erst einmal verdauen. Wäre ich gestanden, hätte ich abhocken (mich setzen) müssen. Da kommen die Lakers – ja, die Lakers! – und sind froh um den Aufbaugegner SCB. Der SCB, Meister 1959, 1965, 1974, 1975, 1977, 1979, 1981, 1991, 1992, 1997, 2004, 2010, 2013, 2016, 2017 und 2019 ein Aufbau-Gegner für die Lakers – ja, die Lakers! – die noch nie Meister und noch nicht ein einziges Mal im Playoff-Final waren. Fast entschuldigend fügt Istvan Nagy hinzu: «Früher waren höchstens Ambri oder Langnau Aufbaugegner für uns …»
Rappis Radio-Mann spielt unbewusst die gleiche Rolle wie das Kind im Märchen um des Kaisers neue Kleider, das endlich mit dem Finger auf den Kaiser zeigt und sagt, was alle sehen und niemand zu sagen wagt: «Der Kaiser ist ja nackt!» Die SCB-Sportabteilung ist inzwischen so heruntergewirtschaftet, dass der SCB zum Aufbaugegner für die Lakers wird. Ja, der Lakers! Nein, nein und nochmals nein, das darf einfach nicht wahr sein.
Aber es ist wahr. Istvan Nagys Satz geht mir während des ganzen Spiels nicht mehr aus dem Sinn. Dieser Satz entspricht der reinen Wahrheit. Gospel. Die Lakers sind wahrlich nicht in Form. Aber es reicht – dank einem starken Melvin Nyffeler – die schwächste Offensive der SCB-Geschichte (seit 1931) in Schach zu halten. Zwei Minuten vor Schluss führt der SCB nach wie vor nur 1:0.
Selbst starke ausländische Spieler können unsere Liga nicht mehr nach Belieben dominieren. Aber wenn ein Spiel auf der Kippe steht, dann sind sie dazu in der Lage, die Differenz zu machen.
SCB-Captain Simon Moser ist frustriert und hässig. Weil es ihm und seiner Mannschaft einfach nicht laufen will (er wartet seit dem 9. Oktober oder 14 Partien auf seinen zweiten Saison-Treffer). Hoher Stock. Zweimal zwei Minuten für den knurrigen SCB-Leitwolf. Nun holt Jeff Tomlinson Torhüter Melvin Nyffeler vom Eis und schickt seine ausländische Kavallerie ins letzte Gefecht: den launischen Schillerfalter Roman Cervenka, den furchtlosen Andrew Rowe und den schlauen Fuchs Kevin Clark. Nach einer Direkt-Kombination wuchtet Verteidiger Dominik Egli die Scheibe mit einem Direktschuss zum 1:1 in die Maschen. Eine kanadisch-amerikanisch-tschechisch-schweizerische Produktion.
Auch das eine Schmach für den SCB: die Lakers – ja, die Lakers! – haben die besseren Ausländer. Vier an der Zahl. Der SCB hat nur zwei (Dustin Jeffrey, Ted Brithén). Lahme Gäule. Keine Kavallerie für die letzte Attacke. Kein Wunder hat der SCB die zweitschwächste Offensive der Liga: Ganz ohne jede Bosheit dürfen wir vermuten, dass es inzwischen in Bern einige Herren gibt, die ganz tief im Herzen, dort wo niemand hineinsieht, froh sind, dass keine Zuschauer im Stadion sind.
Die Lakers gewinnen nach 27 Penaltys 2:1. Zuletzt scheiterte Gaëtan Haas an Melvin Nyffeler. Es ist seine letzte Aktion in seinem letzten SCB-Spiel dieser Saison. Die Edmonton Oilers haben seine sofortige Abreise ins NHL-Camp angeordnet.
Ja, es gibt doch einen Lichtblick. Der coole Philip Wüthrich ist mit grossem Abstand der beste Spieler beim SCB. Er wird eine grosse Nummer 1 in Bern und in der Nationalmannschaft. Aber es brauchte die Beförderung des österreichischen Juniorentrainers Mario Kogler zum SCB-Bandengeneral, um den Weg für Philip Wüthrich frei zu machen. Auch das ist bitter: erst ein Österreicher – ja, ein Österreicher! – hat der SCB-Sportabteilung die Augen geöffnet und endlich, endlich, endlich Philip Wüthrich zu Nummer 1 gemacht.
Und ganz am Schluss folgt von Istvan Nagy unabsichtlich noch einmal ein Stich ins Berner Herz. Er sagt arglos, im nächsten Spiel warte nun eine sehr schwere Aufgabe. Die Lakers spielen am Samstag in Langnau. So weit ist es also gekommen. Vor dem SCB ist nicht einmal mehr den Lakers bange. Aber voller Ehrfurcht und mit tiefem Respekt reden sie von den «Chäsigen».
Marc Lüthi, der Hockey-Kaiser von Bern, ist nackt. Danke Istvan Nagy, dass wenigstens Du es zu sagen gewagt hast. Ich hätte mich nicht getraut.
P.S. Grande Lakers!
Wenn jetzt Haas weg ist, wird auch das seltener!
Es ist aber auch schwierig ohne das nötige Kleingeld eine gute Mannschaft zu bekommen.
Vielleicht sollte Frau Schelling nochmals bei Matthias Bieber nachfragen: für eine halbe Million wird der Spitzenspieler bestimmt wieder für Bern spielen…🤦🏼♂️😂
Wahre Worte! Vor dem Langnau Spiel ist wahrlich mehr Bange da, wir werden sehen.