«Krise» bedeutet eine schwierige Zeit als Höhepunkt einer gefährlichen Entwicklung. Nimmt die Entwicklung einen dauerhaft negativen Verlauf, so spricht man von einer «Katastrophe».
Gemäss dieser wissenschaftlichen (also nicht polemischen!) Definition befindet sich der HC Davos im Niemandsland zwischen Krise und Katastrophe.
Seit Arno Del Curto im Sommer 1996 den HC Davos übernommen hat, sind schon alle Meisterteams seiner Epoche in eine solche Situation geraten. Zug, der SC Bern, die ZSC Lions und Lugano haben die Playoffs verpasst. Kloten ist inzwischen sogar abgestiegen.
Nur der HC Davos schien «unkrisenbar». Unter Arno Del Curto haben die Davoser die Playoffs noch nie verpasst. Sie gerieten nicht einmal in Gefahr, die Ausmarchung um den Titel zu verpassten.
Doch nun ist es soweit: Am meisten Gegentore, zweitletzter Platz und bei einer Niederlage am Dienstag in Rapperswil-Jona droht gar der allerletzte Rang.
Wer jetzt wettet, dass der HCD die Playoffs verpassen wird, hat beste Gewinnchancen. Falls überhaupt noch jemand bereit ist, dagegen zu wetten.
Also eine Krise, wie sie in Bern, Lugano, Zürich oder Zug schon durch Entlassung des Trainers gemeistert worden ist? Nein. Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen Davos und allen anderen Hockey-Unternehmen. Die HCD-Führungsstruktur ist europaweit, wahrscheinlich sogar weltweit einmalig und damit unvergleichbar.
Ich wähle einen etwas heiklen Vergleich, um dem geneigten, mit den Verhältnissen in Davos nicht so vertrauten Leser die Hierarchie beim HCD und einen Lösungsansatz anschaulich zu erklären.
Es ist ja durchaus üblich, die höchste Autorität in einem Fachgebiet als «Papst» zu bezeichnen. Beispielsweise wurde Michael Kohn als «Atom-Papst», Hans W. Kopp als «Medien-Papst» und in der Innerschweiz Wysel Gyr als «Ländler-Papst»gefeiert. Also dürfen wir den Begriff «Hockey-Papst» verwenden.
Trotzdem bitte ich im Falle eines Falles im Voraus um Entschuldigung. Also: Der Papst ist seit dem ersten Vatikanischen Konzil im Jahr 1870 in allen Glaubens- und Sittenfragen unfehlbar. Die absolute Autorität auf Erden.
In Davos oben geniesst Arno Del Curto seit seinem ersten Titel im Frühjahr 2002 in Eishockeyfragen ebenfalls diesen Status der Unfehlbarkeit (sog. Unfehlbarkeitsdogma) und ist die absolut höchste Autorität in der Kabine, im Stadion, im Klub, im Dorf, in der Landschaft Davos und im Bündnerland.
Der Papst kann nicht entlassen werden. Weil er unfehlbar ist und keine irdische Autorität über ihm steht. Arno Del Curto trägt den Titel «Hockey-Papst», weil er ebenfalls unfehlbar ist und über ihm auch keine irdische Hockey-Autorität steht.
In einer vergleichbar kritischen Situation wie in Davos wäre der Trainer bei jedem anderen Klub schon gefeuert worden. Eine Entlassung ist ja eine einfache Handlung von ein paar Minuten und kann notfalls sogar per Telefon, SMS oder WhatsApp vom Präsidenten, Manager oder Sportchef – also dem Trainer übergeordnete Autoritäten – vollzogen werden.
So eine Entlassung kostet zwar Geld, gehört aber zum Geschäft. Keinem Präsidenten, Manager oder Sportchef fällt wegen einer Trainerentlassung ein Zacken aus der Krone.
Beim HCD ist es anders. Das Problem beginnt bereits mit der Frage: Wer entlässt den Trainer? Um es salopp zu sagen: So wie der Papst keine irdische Autorität über sich hat, so gibt es in Davos oben auch keinen Chef, der Arno Del Curto entlassen könnte. Über «Hockey-Papst» Arno Del Curto stehen nur die «Hockey-Götter».
Es braucht also sozusagen einen «Hockey-Gott», der sich über das «Unfehlbarkeitsdogma» des Trainers hinwegzusetzen und Arno Del Curto zu entlassen wagt.
Nur ein Mensch ist dazu in der Lage, in Davos «Hockey-Gott» zu spielen: Präsident Gaudenz Domenig. Einzig dieser kluge, international erfolgreiche Wirtschaftsanwalt hat das Format, Arno Del Curto zu feuern.
Dabei wird ihm eine Erfahrung aus seinem Berufsleben helfen. Die Episode ist verbürgt, deshalb darf ich sie erzählen. Gaudenz Domenig hat einmal einen Klienten in einem internationalen Rechtsstreit gegen einen staatlichen russischen Energiekonzern vertreten.
Juristisch war sein Klient hundertprozentig im Recht. Der Gegenanwalt wusste das auch und gewann den Fall trotzdem. Mit der Bemerkung, er sei zwar im Unrecht, aber seine Chefs hätten Atomraketen. Da könne man halt nichts machen. Gaudenz Domenig akzeptierte. Es gibt eben Situationen, da muss man über den eigenen Schatten der Eitelkeit springen.
Arno Del Curto ist eine der grössten Persönlichkeiten unserer neueren Hockeygeschichte. Er hat in Davos Verdienste für die Ewigkeit. Meisterliche und auch sonstige.
Gaudenz Domenig ist also «hockeyjuristisch» hundertprozentig im Recht, wenn er Arno Del Curto bisher als unentlassbar betrachtet hat. Und er möchte nicht als der Präsident in die HCD-Geschichte eingehen, der Arno Del Curto entlassen hat.
Aber die sportliche Situation ist ähnlich aussichtslos wie jene damals im Rechtsstreit gegen die Russen. Es gibt eben Situationen, da muss man über den eigenen Schatten der Eitelkeit springen.
Es gäbe allerdings eine Lösung, bei der alle das Gesicht wahren könnten. Der HCD-Obmann wäre aus dem Schneider und mit sich und der HCD-Geschichte im Reinen, wenn Arno Del Curto den Rücktritt anbieten würde. Ist das denkbar? Das Beispiel des Papstes zeigt: Ja.
Seit Menschengedenken galt: Ein Papst tritt nicht zurück. Es war schlichtweg unvorstellbar, dass ein Papst seinen Posten freiwillig verlässt. Er blieb lebenslänglich im Amt. Doch 2013 hat Benedikt XVI (Joseph Aloisius Ratzinger) als erster Papst seit 1294 freiwillig auf sein Amt verzichtet. Er wird seither als «emeritierter Papst» bezeichnet.
Ein freiwilliger Rücktritt von Arno Del Curto käme ebenso überraschend und hätte hockeyhistorisch ähnliche Dimensionen. Ein freiwilliger Rücktritt würde es ihm ermöglichen, nicht ehrlos als gefeuerter oder pensionierter oder ausgemusterter, sondern ruhmreich als erster «emeritierter» Hockeytrainer in unsere Hockeygeschichte einzugehen.
Und Gaudenz Domenig müsste nicht mit dem Stigma (=Schandmal) leben, der «Arno-Entlasser» zu sein.
Die sogenannte Emeritierung ist eine ehrenvolle Befreiung von der Pflicht zur Wahrnehmung der Alltagsgeschäfte. Verbunden mit der Fortzahlung eines schönen Ruhegehaltes.
In der Schweiz kennen wir beispielsweise die Emeritierung von Professoren an Universitäten. Solange es keine Platzprobleme gibt, darf ein emeritierter Professor sogar weiterhin ein Dienstzimmer an der Uni nützen. Wird jedoch der Platz zu knapp, kann einem emeritierten Professor nahegelegt werden, das Dienstzimmer einer neuen Lehrkraft abzutreten.
Kein Schelm, wer jetzt sagt: Der Platz wäre in der Davoser Hockey-Kathedrale etwas knapp. Arno Del Curto müsste im Falle einer Emeritierung die HCD-Kabine, sein Dienstzimmer, wohl seinem Nachfolger zur alleinigen Benutzung überlassen.