Eishockey ist ein gefährlicher Sport. Besser als Al Purdy hat es keiner formuliert. Kanadas Nationaldichter hat einmal gesagt, Eishockey sei eine Mischung aus Ballett und Mord. Deshalb hat der Schutz der Gesundheit der Spieler oberste Priorität. Der Körperangriff ist ein legales Mittel, um einen Gegenspieler vom Puck zu trennen. Das macht Eishockey attraktiv, aber eben auch gefährlich. Selbst dann, wenn alle Regeln respektiert werden, kann es zu Verletzungen kommen.
Aufgabe der Schiedsrichter und der Hockey-Gerichtsbarkeit ist es, jene in die Schranken zu weisen, die diese Regeln übertreten. Wenn ein Spieler in einer Partie, die sein Team gar nicht verlieren kann, mit einer völlig sinnlosen Attacke auf einen gegnerischen Schlüsselspieler losgeht und diesen am Kopf verletzt – ist er ein Fall für die Hockeyjustiz. Erst recht, wenn er «Wiederholungstäter» ist.
Grégory Sciaronis Check gegen den Kopf von Lakers-Verteidigungsminister Timo Helbling kann nicht entschuldigt werden. Niemand unterstellt ihm böse Absicht. Das wäre verwerflich. Aber ganz offensichtlich nimmt er bei seinen Attacken in Kauf, dass sich sein Gegenspieler verletzt. Es handelt sich hier auch nicht um ein Vergehen, das so oder so beurteilt werden kann und damit einen Fall für eine Neubeurteilung durch die Rekurs-Instanz darstellt. Die Dokumentation durch TV-Bilder ist klar und eindeutig.
❗️#GregorySciaroni vom @scbern_news wird wegen eines Checks gegen den Kopf von #TimoHelbling von den @lakers_1945 für 6 Spiele gesperrt ❗Beim Strafmass wurde berücksichtigt, dass er in den letzten 2 Saisons bereits je 4 Spielsperren wegen eines Checks gegen den Kopf erhielt. pic.twitter.com/01PWouFNxF
— MySportsCH (@MySports_CH) 2. Oktober 2018
Nun ist es die Aufgabe jedes Sportchefs, seine Spieler nach aussen durch alle Böden hindurch zu verteidigen. Nur mit dieser Loyalität kann er im Gegenzug auch die absolute Loyalität des Spielers zum Klub einfordern. Also ist durchaus verständlich, dass der SC Bern gegen die sechs Spielsperren gegen Sciaroni Rekurs eingereicht hat. Oder?
Nein. Dieser Rekurs dokumentiert, dass unsere Hockey-Generäle nicht begriffen haben, worum es geht. In diesem Fall sind es SCB-Sportchef Alex Chatelain und SCB-Manager Marc Lüthi. Beim SCB wird kein Rekurs ohne Lüthis Segen eingereicht.
Wenn die Schiedsrichter einen Regelverstoss gesehen haben und der Einzelrichter zum Schluss kommt, dass dieser Regelverstoss zusätzlich mit mehreren Spielsperren zu ahnden ist, dann liegt ein Verschulden des Spielers vor. Hockey-Einzelrichter Karl Knopf schreibt in der Urteilsbegründung unmissverständlich: «Der Beschuldigte legt eine gewisse generelle Rücksichtslosigkeit an den Tag. Der vorliegende Fall ist ein gravierender Fall eines Wiederholungstäters, was erheblich straferhöhend zu berücksichtigen ist.»
Unsere Hockey-Justiz hat so gute technische Hilfsmittel (TV-Bilder) zur Verfügung wie nie zuvor und arbeitet professionell. Inzwischen gibt es kaum mehr Fehlurteile. Wenn nun der Klub versucht, eine Sperre für einen so klaren und undiskutablen Regelverstoss zu reduzieren wie im «Fall Sciaroni» – und das noch während der Qualifikation und nicht während der Playoffs und für einen Mitläufer – dann wird ein falsches Signal gesendet. Nämlich das Signal, eine Attacke, die zur Verletzung eines Gegenspielers geführt hat, sei gar nicht so schlimm. Das ist fatal.
Es ist die Huldigung einer falsch verstandenen «Macho-Kultur». Eine Kultur der «männlichen Härte», wie sie hin und wieder öffentlich von ewiggestrigen, aus der Zeit gefallenen ehemaligen Trainern und Spielern öffentlich zelebriert wird – und die, wie der «Fall Sciaroni» zeigt, nach wie vor in den Köpfen der Sportchefs und Klubmanager herumspukt.
Dabei müssten in einem solchen Fall bei jedem Klubmanager die Alarmglocken schrillen. Der Tag ist nämlich nicht mehr fern, an dem die Prämien für die Versicherung der Löhne so hoch sein werden, dass sie sich nicht mehr lohnt. Versicherungsgesellschaften sind keine Wohlfahrtseinrichtungen. Die durch Regelverstösse verursachten Lohnausfälle werden immer teurer – und so werden es die Prämien.
Der Tag ist auch nicht mehr fern, an dem die Versicherungsgesellschaften, die in diesem Geschäft überhaupt noch mitmachen, gegenüber den fehlbaren Spielern in solchen Fällen Regressforderungen erheben werden. Der SCB-Rekurs gegen die Sperre von Grégory Sciaroni war unsinnig, ja dumm, und gegen das Gesamtinteresse unseres Hockeys. Gott sei Dank, hat die Berufungsinstanz den Rekurs abgelehnt.
So oder so müsste die Justiz viel härter vorgehen. In der NHL werden die Sünder während einer Sperre nicht bezahlt. Diese Massnahme macht Sinn. Ein paar Sperren und ein paar tausend Franken Busse schmerzen einen Spieler wenig. Eine nachhaltige erzieherische Wirkung hat eine Sperre nur dann, wenn es wirklich ans Geld geht.
Der Weg wäre ganz einfach: Jeder Spielervertrag ist bei der Liga zu deponieren. Das Salär wird auf ein Spiel heruntergerechnet und die Busse beträgt exakt den Lohn des Spielers während der Dauer der Sperre.