Die Behauptung, dass noch nie ein Trainer so viel Anteil an einem Titelgewinn hatte wie Arno Del Curto beim HC Davos in diesem Frühjahr, wäre gewiss ein wenig übertrieben. Aber sie hätte einen Kern Wahrheit.
Es gibt einen ganz simplen Vergleich, der uns zeigt, dass die ZSC Lions die talentiertere, also im volkstümlichen Sinne bessere Mannschaft haben. Sechs Spieler des Titelverteidigers kamen beim letzten WM- oder Olympiaturnier zum Einsatz (Trachsler, Seger, Cunti, Wick, Blindenbacher, Schäppi). Aber nur ein einziger HCD-Spieler (Ambühl). Leonardo Genoni war hinter Reto Berra bei der WM nur Ersatzgoalie. Der HC Davos hat auch nicht die besseren Ausländer.
Wie ist es möglich, dass der HCD trotzdem nur noch einen Sieg für den Titelgewinn braucht? Diese Überraschung hat einen Namen: Arno Del Curto. Der Trainer macht die Differenz. Der Chronist, der bei seinen Prognosen oft danebenliegt, hat aber auch gesagt, dieses Finale sei die Ehrenrunde für den besten Arno Del Curto aller Zeiten. Genau so ist es.
Der HC Davos hat dank der besseren Spielanlage drei Finalpartien gewonnen. Es dürfte weltweit nicht viele Teams geben, die das sogenannte «Transition Game» so perfekt spielen wie der HCD. Also das schnelle Konterspiel. Das blitzschnelle Umschalten von der Defensive auf die Offensive, um im Idealfall einen Gegner zu überrumpeln, der sich noch in der Vorwärtsbewegung befindet.
Diese Spielanlage ist Arno Del Curtos Meisterwerk. Daran arbeitet er seit 1995 Tag für Tag. Nie ist er zufrieden. Immer und immer und immer wieder fordert er noch mehr Präzision, Tempo und Intensität.
Nie mehr seit den Zeiten von Wiktor Tichonow, dem Nationaltrainer der sowjetischen Nationalmannschaft, hat ein Trainer am gleichen Ort seine Ideen während einer so langen Zeitspanne umsetzen können. Wiktor Tichonow hatte es dabei viel einfacher als Arno Del Curto. Er konnte beim Armeesportklub ZSKA Moskau die besten Spieler des Landes per militärischem Aufgebot in seine Mannschaft holen.
Arno Del Curto muss hingegen jedes Jahr wieder neue Spieler ausbilden und in sein System integrieren. Auf diese Saison verlor er so viele bewährte Spieler (Grossmann, Bürgler, Back, Guggisberg, Rizzi), dass ein fachkundiger Beobachter zum Schluss kommen musste: Für den Titel reicht es 2015 nicht.
Nun hat Arno Del Curto doch ein Team aufgebaut, das die Meisterschaft gewinnen kann. Bereits im Viertelfinal (gegen Zug) und vor allem im Halbfinal (gegen den SC Bern) besiegte der HCD Mannschaften, die nominell gleich gut oder sogar besser besetzt waren. Nun kann dieses Kunststück auch gegen die besseren ZSC Lions gelingen.
Ist der grosse NHL-Bandengeneral Marc Crawford also ein Versager, wenn ihm Arno Del Curto eine taktische Lektion erteilt und den Play-off-Final gewinnt? Wenn zum ersten Mal in der Hockeyweltgeschichte ein NHL-Bandengeneral ein Finale gegen einen Schweizer Trainer verliert? Nein.
Die ZSC Lions bieten zwar ihrem Trainer die bestmöglichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit. Aber auch dann, wenn alle alles richtig machen, ist es nicht möglich, in Zürich das gleiche Umfeld zu schaffen wie in Davos. Der HC Davos ist das einzige professionelle Hockeyunternehmen der Welt, das seinen ganzen Betrieb bereits seit dem letzten Jahrhundert (seit 1995) ganz auf seinen Trainer zugeschnitten hat.
Das ist in dieser extremen Form nur in den Bündner Bergen, in diesem «Disneyland des Hockeys» möglich. Und es funktioniert auch nur, weil der Trainer Arno Del Curto heisst. Mit keinem anderen Trainer funktioniert dieses System. Kein anderer Trainer kann über einen so langen Zeitraum mit so viel Macht richtig umgehen.
Bei jedem anderen Cheftrainer würde das «System Arno» nach ein paar Jahren zusammenbrechen – wie einst in Lugano, als John Slettvoll nach vier Titeln und neun Jahren im hockeytechnischen Sinne grössenwahnsinnig wurde und schliesslich als zornige Karikatur seiner selbst scheiterte.
Manager Peter Zahner, sein Sportchef Edgar Salis und Trainer Marc Crawford haben alles richtig gemacht. Wenn sie scheitern, dann nicht wegen taktischer Fehler, wegen eines falschen fliegenden Wechsels, eines verpassten Time-outs oder einer verfehlten Transferpolitik. Sondern ganz einfach darum, weil beim Gegner der beste Arno Del Curto an der Bande steht.
Das wäre im besten Wortsinne eine ehrenvolle Niederlage. Aber noch ist es nicht vorbei. 2012 holte NHL-General Bob Hartley nach einem 1:3-Rückstand den Titel am 17. April gegen den SCB im siebten Spiel im Berner Hockeytempel durch einen Treffer zwei Sekunden vor Schluss (2:1). Diesmal würde das siebte Finalspiel am 16. April im Hallenstadion ausgetragen.