Die hölzerne Arena in Pruntrut hat einen ganz eigenen
Charme. Es ist die Valascia der Romandie. Weniger kalt. Aber hier drin wird es
einem mindestens so warm ums Herz wie in Ambri. Die Akustik ist von einer ganz
besonderen, einer melodischen Art. Die leidenschaftlichen Fans im
ausverkauften Stadion (Fassungsvermögen 4200, aber es sind wohl mehr als 5000
da) toben nicht. Sie singen und so ist die Stimmung nie aggressiv. Vielmehr hat der neutrale Beobachter das Gefühl, auf einem akustischen Teppich getragen zu
werden – es ist eine Atmosphäre, die Hühnerhaut provoziert.
40 Jahre nach der Gründung des Kantons Jura (das Schweizer Volk bewilligte den Kanton Jura im September 1976) wird hinter den sieben Jurabergen mit dem NLB-Meistertitel der grosse sportliche Triumph gefeiert. Und es ist zugleich das 760. und letzte Spiel für Kultstürmer Steven Barras. Er hat zum 4:2-Sieg drei Tore und einen Assist beigetragen. Den dritten Treffer, der letztlich den Titel bringt («Game winning goal»), hat er persönlich erzielt. Und als die Fans schon die Zeit herunterzählen, schlenzt er den Puck ins verlassene Gehäuse der Lakers.
Das 4:2 leuchtet oben auf der Resultattafel auf. Aber offiziell bleibt es noch zehn Minuten lang beim 3:2. Wer mag sich jetzt, im Freudentaumel, noch darum kümmern, ob es ein 4:2 oder ein 3:2 ist? Die nachträgliche Anerkennung des vierten Treffers beschert Steven Barras schliesslich zum Karriereschluss einen Hattrick.
QUEL MATCH ! QUELLE FINALE ! QUELS PLAYOFFS ! QUELLE SAISON !!! #HCAjoie #HCASCRJ #FinaleLNB
— Hockey-Club Ajoie (@HC_Ajoie_off) 1. April 2016
Der smarte, schnelle linke Flügel mit den magischen
Händen ist wahrscheinlich der beste Schweizer Stürmer aller Zeiten, der
freiwillig auf eine grosse NLA-Karriere verzichtet hat, um seiner Heimat treu zu
bleiben. Jetzt zieht er sich vom Sport zurück, weil ihn die Kantonalbank befördert hat.
Die grosse berufliche Karriere beginnt. 16 Jahre lang hat er für die erste
Mannschaft des HC Ajoie gespielt.
Welche Verehrung dieser Spieler im Elsgau (deutsche
Bezeichnung für Ajoie), in diesem Quebec der Schweiz geniesst, mag eine
kleine Geste zeigen. Charly Corbat ist für das Eishockey hier, was François
Lachat für die Politik ist: eine Ikone. Der erfolgreiche Unternehmer aus der Holzbranche
hat den HC Ajoie 1973 gegründet und ist bis heute die Integrationsfigur dieses
wundervollen Hockeyunternehmens geblieben. Er ist inzwischen über 80 Jahre alt.
Das sechste Finalspiel verfolgt er vom Bürosessel im Büroraum des Stadions aus. Und
der charismatische, nach wie vor temperamentvolle Gentleman trägt ein T-Shirt
mit der Aufschrift «Steven». Auch er ehrt den «Hockeygott» des Juras.
Der Sieg des HC Ajoie erlöst den EHC Biel. Nun gibt es
keine Ligaqualifikation. Keinen Auf- und keinen Absteiger. Ajoie hat den Ruhm
von zwei Aufstiegen in die NLA genossen. Aber die Früchte dieses Ruhmes waren
bitter. Schulden, Zwist und Abstiege bis hinunter in die 1. Liga. Nun hat Ajoie
gelernt, in der Bescheidenheit der NLB glücklich zu sein und verzichtet auf
einen Aufstieg.
Darüber freut sich Biels Sportchef und
Trainerassistent Martin Steinegger. Er verfolgt das Spiel auf der Tribüne.
Ausschlafen kann er nach der Rückkehr ins Unterland nicht. «Wir haben am
Samstagvormittag obligatorisches Training und das fällt nun nicht aus. Wir
werden die Jungs noch einmal gehörig schlauchen …». Es wird sein letzter Einsatz
auf dem Eis sein. Das Amt eines Assistenten gibt er ab und zieht sich wieder
auf den Posten des Sportchefs zurück.
Die Frage ist ja schon interessant: Was wäre gewesen,
wenn die Lakers doch noch NLB-Meister geworden wären? Sie hatten durchaus eine
Chance, dieses sechste Finalspiel zu gewinnen. Im ersten Drittel, nochmals nach dem
Anschlusstreffer zum 2:1 und in einer aufwühlenden Schlussphase, als sie auf
3:2 verkürzt hatten. Aber ihre Leidenschaft, ihr Glaube an das Wunder (eine
Wende in dieser Finalserie wäre ja ein Wunder gewesen) waren zu wenig stark.
Eine Wende wie am Dienstag (vom 1:3 zum 4:3 n. V.) schafften sie nicht mehr. Und
vor allem spielte Ajoie die taktisch beste Partie dieser Finalserie. Die
Mannschaft von Gary Sheehan, diesem Arno Del Curto der Welschen, liess sich nie
zu einem leichtsinnigen Sturmlauf provozieren. Der eingebürgerte Kanadier fand
die Balance zwischen Offensive und Defensive. Seine Jungs behielten kühlen
Kopf.
Oder hätte Ajoie Biel gefährlich werden können? Mit
ziemlicher Sicherheit wäre Biel in Schwierigkeiten geraten. Denn diese
Auseinandersetzung zwischen einem Klub, der viele Fans aus dem Berner Jura hat
und dem HC Ajoie, dem Klub des echten Kantons Jura, wäre sehr emotional
geworden.
Die Lakers beenden als NLA-Absteiger ihre erste Saison
in der NLB mit dem 2. Platz – wie die SCL Tigers. Immerhin ein gutes Omen. Die
Langnauer haben ja dann in der zweiten NLB-Saison nach dem Abstieg den Wiederaufstieg
geschafft.
Nun ist Biel gerettet. Aber Martin Steinegger sagt,
die Saison sei noch nicht vorüber. «Es ist bei uns so viel schiefgelaufen. Wir
werden in den nächsten Tagen manche Sitzung haben und viele Gespräche führen.»
Eines der zentralen Themen wird sein: Gibt es eine
Zukunft mit Kevin Schläpfer?