Sogar bei den offensiven Festspielen gegen die Slowakei (8:1) geht es nicht so zügig voran. Das 1:0 fällt gegen die Slowaken erst nach 9:47 Minuten und nach dem ersten Drittel steht es bloss 1:0. Gegen die Weissrussen erzielt Christoph Bertschy nach 36 Sekunden das 1:0 und schon in der ersten Pause gibt es keine Zweifel am Ausgang der Partie: die Schweizer führen 2:0.
Der Sieg wird mit einer schier unheimlichen Selbstverständlichkeit eingefahren. Um es etwas poetischer zu formulieren: es ist eine unheimliche Leichtigkeit des Siegens. Oder noch besser: die unerträgliche Leichtigkeit des Siegens. Abgeleitet vom Buchtitel «die unerträgliche Leichtigkeit des Seins». In diesem Roman des tschechischen Autors Milan Kundera finden wir erst noch einen Satz, der wunderbar zu den hohen Erwartungen passt, die von den Schweizern in Riga geweckt werden: «Wer immer weiter nach oben will, muss damit rechnen, dass ihm eines Tages schwindelig wird.»
Keine Frage: Worte die bei dem anhaltenden sportlichen Hoch der Schweizer in Riga zum Philosophieren oder Polemisieren anregen.
Beginnen wir mit dem philosophischen Standpunkt. Die Philosophie steht ja für die Liebe zur Weisheit, mit der wir die Welt – und damit auch das Eishockey in Riga – ohne Rückgriff auf Statistiken zu ergründen, zu verstehen und zu deuten versuchen. Was bei einem so schnellen, unberechenbaren Spiel auf einer spiegelglatten Unterlage, vorgetragen von behelmten jungen Männern in eisenbewehrten Schuhen und Stöcken in den Fäusten und viel Adrenalin im Blut wohl sogar den grossen Immanuel Kant überfordert hätte.
Also: vom philosophischen Standpunkt her gibt es eigentlich wenig Bedenken: die Schweizer werden von Patrick Fischer so gut gecoacht, dass die Gefahr eines Schwindelanfalles infolge eines Höhenfluges minimal ist. Zu keinem Zeitpunkt sind seine Spieler bisher in Riga überheblich oder arrogant aufgetreten. Ganz im Gegenteil. Sie erwecken mit ihrem Auftreten den Eindruck einer verschworenen Gemeinschaft auf einer Mission. Sie sind konzentriert bei der Sache. Sie lassen sich nicht einschüchtern und setzen sich auch durch, wenn es mal rumpelt. Inzwischen ist ihnen gegen Weissrussland sogar ein Tor in Unterzahl gelungen (zum 6:0).
Und wie sieht es aus, wenn wir die Sache polemisch betrachten? Die Polemik ist die Lust an Behauptungen, die sachlich manchmal nur teilweise mit der Realität übereinstimmen.
Nun, es gibt zwei Ansätze zur Polemik. Die Schweizer sind offensiv eher spektakulärer als die Silberteams von 2013 und 2018. Und über vier Linien zumindest nominell eher besser besetzt. Aber Dänemark hat nur einen Treffer zugelassen, Schweden gar keinen. Die bange Frage ist also, ob uns die Gegner auf dem Weg weiter nach oben zu stoppen vermögen, wenn es gelingt, beispielsweise Nico Hischier, Grégory Hofmann, Sven Andrighetto und Timo Meier weitgehend zu neutralisieren. Das Quartett hat 12 der bisher 21 Treffer erzielt. Vier von zwölf Stürmern für die Hälfte der Tore.
Der zweite Ansatz zur Polemik: Reto Berra und Leonardo Genoni haben je ein Spiel ohne Gegentreffer überstanden. Berra gegen Dänemark, Genoni nun gegen Weissrussland. Aber es sind eher «billige» Lorbeeren gegen sturmschwache Gegner: Berra musste gegen Dänemark nur vier Schüsse abwehren und Genoni gegen Weissrussland 20. Ohne Bosheit können wir von der schier unheimlichen Leichtigkeit des Shutouts sprechen.
Wir haben gefühlt noch kein Spiel vor allem dank des Goalies gewonnen. Wer ist nun besser? Reto Berra (Fangquote 92,45 %) oder Leonardo Genoni (89,66 %)?
Das letzte Gruppenspiel gegen Grossbritannien (Dienstag, 11:15 Uhr) wird Nationaltrainer Patrick Fischer keine Antwort auf diese wichtigste WM-Frage liefern. Er könnte gegen die Briten eigentlich Melvin Nyffeler einsetzen. Dann haben wir vielleicht zum ersten Mal in unserer Hockey-Geschichte (seit 1908) bei einer WM gleich drei Shutout-Goalies. Ein globales Kuriosum. Wohl für die Ewigkeit.
Es ist, wie es ist: weiter nach oben als in den Viertelfinal kommen wir nur mit einem grossen Torhüter.
Negativ gesehen: An dieser WM ist alles möglich.