Kann es sein, dass die bessere Mannschaft nach fünf Finalspielen 2:3 zurückliegt? Ja, das kann sein. Was heisst besser? Der Zweck des Spiels ist der Sieg. Die letzte Wahrheit steht also oben auf der Resultattafel. Das ist die unromantische Realität. Die Zürcher führen im Finale mit 3:2-Siegen. Also sind sie besser. Punkt.
Es gibt auch eine hockeyromantische Sicht der Dinge: Lugano spielt das spektakulärere Hockey. Das schnellere Hockey. Das elegantere Hockey. Das dynamischere Hockey. Aber nur das wahre Lugano kann die wahren ZSC Lions besiegen.
Wir haben erst am Samstagabend zum ersten Mal in diesem Finale das wahre Lugano von der ersten bis zur letzten Minute gesehen. Und zum ersten Mal waren die ZSC Lions in diesem Finale chancenlos. Bereits nach 27 Sekunden trifft Gregory Hofmann zum 1:0. Dabei bleibt es zwar bis zur 43. Minute. Erst dann doppelt der gleiche Stürmer zum 2:0 nach. Obwohl das Resultat so lange Zeit knapp war, obwohl die Zürcher noch einen Schuss an die Torumrandung beklagten – eine Siegeschance hatten sie nie.
Und so wird der Heimvorteil das besondere Merkmal dieser Finalserie. Dabei spielt der Heimvorteil im Finale keine zentrale Rolle. Seit Einführung der Playoffs (1986) ist der Titel 1986 1989, 1990, 1991, 1992, 1996, 1997, 1998, 1999, 2001, 2002, 2004, 2009, 2011, 2012, 2014, 2015, 2016 und 2017 auf fremden Eis gefeiert worden. Eher Heimnachteil als Heimvorteil.
Nun erleben wir die «Renaissance des Heimvorteils». Das wahre Lugano haben wir bisher nur in Lugano gesehen. Am eindrücklichsten am Samstag beim 4:0. Luganos Philippe Furrer zelebriert jetzt das beste Hockey seiner Karriere (am Samstag mit einer 4:0-Bilanz). Wenn er vom Titel spricht, dann redet er nicht einfach daher, wie jeder reden muss – es kann ja keiner sagen, er wolle nicht Meister werden.
Philippe Furrer ist durch und durch davon überzeugt, dass es Lugano schaffen kann. «Wir haben bereits beim letzten Spiel im Hallenstadion 25 Minuten lang das wahre Lugano gesehen.» Am Ende gab es trotz einer 2:0-Führung eine 2:3-Niederlage in der Verlängerung. Nun gehe es darum, am Mittwoch in Zürich 60 Minuten lang wie das wahre Lugano aufzutreten.
Tatsächlich hat Lugano ja alles, um erstmals seit 2006 die Meisterschaft zu gewinnen. Mit Elvis Merzlikins den besseren Torhüter. Mit Maxim Lapierre den besseren ausländischen Leitwolf. Mit Philippe Furrer den kompletteren, den besseren Verteidigungsminister. Mit Gregory Hofmann den abschlussstärksten Schweizer Stürmer.
Und doch könnten die Zürcher am Mittwoch Meister werden. Es wäre einer der erstaunlichsten Titel und für Lugano eine bittere Finalniederlage. Noch zehn Jahre lang würden sich die Tessiner ärgern und sagen: «Aber damals, 2018, hätten wir einfach Meister werden müssen. Wir hatten die bessere Mannschaft.»
Lugano war bisher nur auf eigenem Eis, mit Europas temperamentvollstem Hockey im Rücken das wahre Lugano. Das schnelle, dynamische, mutige, leidenschaftliche, begeisternde Lugano.
Im Hallenstadion hat Lugano diese Saison noch nie gewonnen. Einerseits, weil bisher der Mut fehlte, das wahre Gesicht zu zeigen, das wahre Lugano zu sein. Und andererseits, weil die Zürcher im eigenen Stadion mutiger, schneller, bissiger sind.
Weil sie im eigenen Stadion die scheibenführenden Gegenspieler und die Scheibe jagen. Weil sie im eigenen Stadion den spielerisch besseren Gegner mit ihrem Forechecking am entfalten seines Talentes hindern. Weil sie nur im eigenen Stadion den Mut haben, die wahren ZSC Lions zu sein. Das erklärt, warum die Zürcher in diesem Finale im Hallenstadion bisher in zwei Partien 8 Treffer erzielt haben – und in Lugano in drei Spielen nur einen einzigen.
Gegen das wahre Lugano haben die Zürcher keine Chance und immer mehr zeigt sich: ein Betriebsunfall kann Lugano den Titel kosten. Die 0:1-Heim-Niederlage im ersten Finalspiel war für Lugano eine vermeidbare, ja im Rückblick erst recht eine unverzeihliche Niederlage. Lugano auf eigenem Eis nicht das wahre Lugano. Ein Betriebsunfall. Kein Problem. Können wir korrigieren. Die letzte Chance zur Korrektur folgt am Mittwoch.
Die ZSC Lions müssen am Mittwoch im Hallenstadion den Titel holen. Verlieren sie, dann werden sie im 7. Spiel am Freitag in Lugano chancenlos sein. Weil wir dann in Lugano das wahre Lugano sehen werden. Und gegen das wahre Lugano haben selbst die wahren ZSC Lions keine Chance.