Er trägt zufälligerweise den Vornamen des Königs der Schweiz. Des Königs der Schwinger (Christian Stucki).
Christian Marti (28) wäre sicherlich auch ein «böser» Sägemehltitan geworden: 191 Zentimeter gross, 97 Kilogramm schwer. Er ist ein Titan auf dem Eis und lässt es rumpeln. Gestern hat er die bisher grösste Hockey-Heldentat seiner Karriere vollbracht.
Die 35. Minute läuft. Lausannes elegantes «Kufentier» Denis Malgin, der wie schwerelos übers Eis zu gleiten scheint, wieselt wieder einmal durch die Verteidigungszone der Zürcher. Durch das Hoheitsgebiet von Christian Marti.
Christian Marti beschliesst, den Puck an der Bande gegen Denis Malgin zu erobern. «Es war nicht mein Ziel, Malgin zu checken. Es war lediglich der Kampf um die Scheibe.»
Es rumpelt gewaltig. Der Ausgang dieser Kollision entspricht den physikalischen Gesetzen: Denis Malgin ist 16 Zentimeter kleiner und 17 Kilo leichter als Christian Marti.
Der ZSC-Titan verliert die Balance nicht, spielt unbeeindruckt weiter, eilt nach der Niederstreckung seines prominenten Gegenspielers nach vorne, bekommt den Puck von Denis Hollenstein wieder zugespielt und schiesst direkt. Sein Geschoss fährt wie ein Blitzstrahl ins Netz von Tobias Stephan.
Es ist das 2:0. «Die Schiedsrichter haben nicht abgepfiffen. Also habe ich weitergespielt. Hätte ich es nicht getan, wäre womöglich Lausanne an die Scheibe gekommen und wir hätten ein Tor kassiert.»
Dieses 2:0 bricht dem Gegner das Herz. Lausanne wird sich nicht mehr erholen. Auch Denis Malgin nicht. Er verlässt durchgerüttelt und durchgeschüttelt das Eis und kehrt nicht mehr zurück. Anzeichen einer Gehirnerschütterung.
Lausanne hat seinen wichtigsten Spieler verloren. Es war Denis Malgin, der das erste Spiel in Lausanne durch einen Treffer in der Verlängerung zum 3:2 entschieden hatte.
War dieser Check, der Lausanne und seinen Topskorer in den Grundfesten erschüttert hat, fair? Es ist ungewöhnlich, dass der russisch-schweizerische Doppelbürger einem Check zum Opfer fällt. Immerhin hat er sich schon in 192 NHL-Partien bewährt, steht nach wie vor bei Toronto unter Vertrag (für 700'000 Dollar brutto) und wird, wenn bei uns Saisonschluss ist, voraussichtlich in die NHL zurückkehren.
Fair oder nicht? Fair. Kein Anlauf. Kein Angriff gegen den Kopf. Denis Malgin wird durch den Check auch nicht überrascht. Fair oder nicht? Die Frage geht auch an Schiedsrichterchef Andreas Fischer. Er sitzt gleich nebenan auf der Tribüne und hat eine klare Meinung: «Dieser Check war sauber.» Und quittiert die Frage mit erhobenem Daumen.
Wenn der Chef der Unparteiischen, also der unparteiischste der Unparteiischen ohne zu zögern zu diesem klaren Urteil kommt – und er ist erst noch kein Zürcher, sondern ein Berner, der in Chur lebt – dann erübrigt sich jede Polemik. Dann ist es so. Punkt.
Ob der ganzen Geschichte könnte der Eindruck entstehen, Christian Marti sei ein Bösewicht. Ein Haudegen.
Doch das ist er nicht. In seiner ganzen Karriere hat er nur zweimal pro Saison mehr als 50 Strafminuten verbüsst. Als Junior in Kloten.
Als Profi waren es noch nie mehr als 48 Minuten – und diese Saison sind es bisher sogar nur 22 und wir finden ihn in der Liga-Rangliste der Bösewichte bloss auf Platz 127. Denis Malgin war bisher in dieser Saison mit 56 Minuten «böser».
Christian Marti sagt, man könne nicht einfach reinfahren. «Strafen schaden der Mannschaft.» Also hat er sich längst angewöhnt, die Regeln zu befolgen.
Seine Familie besitzt viel Wald und er ist gelernter Forstwart. Den Aufenthalt in der Natur schätzt er als Ausgleich zum Hockey. Er weiss, wie man Bäume behutsam im Einklang mit der Natur fällt – und Gegenspieler ganz im Einklang mit den Regeln.
Christian Marti ist von gut geerdeter und unkomplizierter Wesensart. Er freut sich über den Sieg, über sein Tor («Ich mache so wenige, dass ich mich eigentlich noch so ziemlich an jedes erinnern kann»). In 385 NL-Partien sind es 14.
Aber eigentlich mag er nicht der Held des Abends sein. Wichtiger ist ihm die Art und Weise, wie die ZSC Lions aufgetreten sind. Dieses Spiel sei ein starkes Zeichen. So nach dem Motto: Wir lassen uns nicht alles gefallen. Wichtig sei auch das «zu null». Die solide Defensivleistung.
Es kann sein, dass da noch einiges auf die ZSC Lions zukommen wird. Lausannes Cheftrainer Craig MacTavish war einst der letzte NHL-Spieler ohne Helm. Mehr als 1000 NHL-Partien. Vierfacher Stanley Cup-Sieger. Auch als Bandengeneral mit Edmonton im Final. Durch und durch ein rauer Kanadier der alten, konservativen Schule. Aber auch ein belesener Gentleman. Wenn es allerdings um Hockey geht, immer noch ein «Krieger» in Anzug und Krawatte.
Braut sich da noch was zusammen? Lausannes Verteidiger Justin Krueger (34) ist nur noch ein Hinterbänkler. Er bekommt diese Saison weniger als 8 Minuten Eiszeit pro Match. Bei guten Verteidigern sind es mehr als 15 Minuten. Auf ihn ist Lausanne nicht mehr angewiesen. Aber er ist mit einer Grösse von 189 Zentimetern und 101 Kilos Kampfgewicht ein «Krieger».
Kurz vor Schluss läuft der Sohn der Trainerlegende Ralph Krueger unvermittelt Amok und fährt mit Anlauf einen Gegenspieler über den Haufen. Eine gemeingefährliche Aktion. Er wird gleich unter die Dusche geschickt.
Einer der Wichtigsten bei den ZSC Lions sagt offen: «Die Coaches haben ihn von der Bank losgeschickt mit dem Auftrag, einen unserer Spieler zu verletzen.» Sollte ein Zeichen gesetzt werden? Auch wenn es so niemand bestätigt: Ja, so war es. Lausanne hatte zwar zu diesem Zeitpunkt die Partie längst verloren. Aber um ein Zeichen zu setzen, war es noch nicht zu spät.
Nun steht dieser Viertelfinal 1:1. Lausanne wird heftig reagieren. Die Zürcher werden durchs Fegefeuer gehen müssen und Christian Martis Mut, Härte und Unerschütterlichkeit brauchen.
Aber es kann sein, dass wir im Rückblick erkennen werden, dass dieser 5:0-Erfolg im Hallenstadion der Wendepunkt in diesem Viertelfinal war.
Wir haben zum ersten Mal in dieser Saison die wahren, die richtigen ZSC Lions gesehen. Gerade noch rechtzeitig.
Nebst Zug wurde also auch Lausanne in seinen Grundfesten erschüttert.
An alle Eishockey Fans, ich wünsche Euch geile Playoffs!!