Die Armen lernen auch ohne Musik zu tanzen. Dieses alte Sprichwort gilt auch für ein grosses Ambri. Die Leventiner tanzten den letzten Tanz der Saison. Ohne die Musik des Ruhmes.
Die Hoffnung nach dem 1:0 durch Noele Trisconi (5. Minute) währt nicht lange genug. Weniger als drei Minuten später trifft Damien Brunner zum Ausgleich. Bevor seine Mitstreiter nervös werden. Und als wieder Noele Trisconi trifft, versagen die Schiedsrichter kurz vor der ersten Pause seiner erneuten Heldentat nach Konsultation der Video-Bilder die Anerkennung. Er hatte seinen Stock zu hoch gehalten, als er den Puck unhaltbar für Jonas Hiller abgelenkt hatte.
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Die Hockey-Götter waren ungnädig. Die Geschichte wäre zu schön gewesen: der 22-jährige Junior, der mit seinen ersten Playofftreffern Ambris Saison verlängert.
Tore durch die «Hinterbänkler» – also durch die Spieler aus dem dritten und vierten Sturm – wären für Ambri die einzige Möglichkeit gewesen, diese Partie bzw. diese Serie zu gewinnen.
Die Bieler sind über vier Linien so gut besetzt, dass sie Ambris ersten Sturm mit Dominik Kubalik, Marco Müller und Dominic Zwerger bei fünf gegen fünf Feldspielern mit ihren «Hinterbänklern» weitgehend im Griff haben. Das «Trio Grande» hat bei nummerischem Gleichstand in dieser Serie nur ein einziges Tor erzielt.
Das 2:1 durch Robbie Earl wird sich schliesslich als der Anfang vom Ende erweisen. Und doch ist es für Ambri ein anderer Schlussakt als in allen anderen der letzten Jahre. Ja, es ist eigentlich der beste Saison-Abschluss seit dem Wiederaufstieg von 1985.
Die beste Saison seit dem Wiederaufstieg? Das kann nicht sein. Immerhin hat Ambri 1999 die Qualifikation gewonnen und erst das Finale gegen Lugano verloren.
Und doch ist es so. Und diese finale Niederlage in Biel sagt uns, warum. Ambris letztes Spiel einer Saison war ja bisher immer ein melancholisches, ein enttäuschendes, ein ernüchterndes.
Entweder bedeutete der letzte Tanz in den Jahren des Ruhmes geknickte Hoffnungen (der Titel gelang nie, das Finale 1999 gegen Lugano ging verloren). Später wenigstens Erleichterung im Abstiegskampf. Aber bloss im Hinterzimmer unseres Hockeys, wenn vorne auf der grossen Bühne das richtige, das wahre, das Playoffhockey zelebriert wurde.
Froh waren die Herzen auch nach geglückter Rettung nie richtig. Mit dem Ende der Saison zog nämlich die fünfte Jahreszeit ins karge Bergtal: die des Jammerns über zu wenig Geld, des Bangens um die wirtschaftliche Existenz und der theatralischen Bettelaktionen.
Nun hat sich Ambri mit leichtem Herzen und auf der grossen Bühne mit Liveübertragung im staatstragenden Fernsehen verabschiedet. Es gibt erstmals seit Menschengedenken keine existenziellen Sorgen.
Was an einem gewöhnlichen Abend gegen einen gewöhnlichen Gegner zwischen September und Februar so oft zum Sieg reichte, genügte in dieser finalen Partie nicht. Obwohl Trainer Luca Cereda und seine Spieler alles richtig machen. Aber Biel ist kein gewöhnlicher Gegner. Die Bieler haben inzwischen den Schritt vom Aussenseiter zum Spitzenteam gemacht. Vor einem Jahr hatten sie die Halbfinalserie gegen Lugano nach einer 2:0 Führung noch leichtfertig aus der Hand gegeben und 2:4 verloren.
Nun setzten sie alles daran, diesen Fehler nicht mehr zu machen. In keiner Sekunde unterschätzen sie Ambri und müssen doch bis zur Schlusssirene warten, bis der Sieg und damit der Halbfinal in trockenen Tüchern ist. 146 Sekunden vor Schluss hatte Luca Cereda seinen Torhüter vom Eis genommen, um mit einem Mann mehr und den Besten das Bieler Gehäuse zu berennen.
Ambri spielt bis zum Schluss auf Augenhöhe mit einem starken, ja zeitweise grossen und taktisch reifen Biel. Das mag zeigen, zu welch grosser Leistung Ambri noch einmal fähig ist. Wie schön Ambri noch einmal getanzt hat – und erst noch drei Tage länger als Lugano. Zu recht wird Ambri von seinen Fans noch einmal gefeiert, die zeitweise in Biel den gleichen Lärmpegel erreichen wie das heimische Publikum. Und wer noch nie in Ambri war, kann erahnen, was es bedeutet, wenn es in der Valascia zu einer «Energie-Übertragung» von den Fans auf die Spieler kommt.
Aber eben: es ist ein finaler Tanz ohne die Musik des Ruhmes. Die Saison ist zu Ende. Und ohne ein bisschen Melancholie geht es doch nicht. Das gehört zu Ambris Kultur.
Dominik Kubalik hat seinen letzten Tango getanzt. Der beste der Besten, der beste Skorer der Liga wird Ambri verlassen und nach Amerika, nach Chicago «auswandern».
Die alte Weisheit – Spieler kommen und gehen, Ambri aber bleibt bestehen – mag ein Trost sein. Aber Dominik Kubalik, dessen Toren und Assists Ambri die Playoffs zu einem schönen Teil verdankt, kann nicht ersetzt werden. Und so geht es doch wieder mit ein wenig Hoffen und Bangen in den Frühling und Sommer: Findet Sportchef Paolo Duca den nächsten Kubalik?
🎙️Er war eine Bereicherung für unsere Liga. Das dürfte wohl das letzte Interview von @Kubalda für den @HCAP1937 sein!#NLPlayoff2019 #MySportsCH #HomeofSports #MyHockey #NationalLeague pic.twitter.com/O4x78P5Lys
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Im Kabinengang werden Sportchef Paolo Duca und Trainer Luca Cereda, die erst 37-jährigen Architekten des neuen Ambri, zur Saison befragt. Die Antworten sind zwar weitgehend die üblichen, die wahre Profis bei dieser Gelegenheit geben: der Gegner wird gerühmt und den eigenen Spieler für den Einsatz gedankt.
🎙️ @HCAP1937 -Coach Cereda ist stolz auf seine Truppe!#NLPlayoff2019 #MySportsCH #HomeofSports #MyHockey #NationalLeague pic.twitter.com/jj0e4MxGdW
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Und doch fällt etwas auf: die echte Bescheidenheit und Demut, mit der der Sportchef und sein Trainer die eigene Leistung einordnen. Sie sind sich bewusst, dass es sehr schwer wird, eine Saison wie die soeben zu Ende gegangene zu wiederholen.
Kein Hadern mit dem Schicksal, keine Verschwörungstheorien. Ganz einfach die Einsicht, dass Biel besser war und der berechtigte, leiste Stolz auf die eigene Leistung.
Zum letzten Mal in dieser Saison erfreute, ja begeisterte Ambri mit seinem mutigen, dynamischen, direkten Tempospiel und dominiert Biel mit 30:27 Torschüssen. Mit einer Mannschaft die nominell nicht viel besser ist als die «Miserablen» von Rapperswil-Jona. Das muss auch wieder einmal gesagt sein. Weil es gesagt werden darf. Es ist wahr.
Da fragt sich der neutrale Chronist: ach, wäre das ein Spektakel, wenn Luca Cereda in Bern, in Zürich oder gar in Lugano (!) so ein Eishockey zelebrieren würde!
Welch ein Unterschied im Auftreten zwischen diesem ruhigen, freundlichen, bescheidenen jungen Mann und den theatralischen Auftritten des soeben in Lugano verabschiedeten Selbstdarstellers Greg Ireland.
Aber Chronist fragt sich eben auch: würden sich die Jungmillionäre in Bern, Zürich und Lugano einem so jungen Trainer wie Luca Cereda unterziehen und so leidenschaftlich für ihn kämpfen wie die «Namenlosen» in Ambri?
Nein, sie würden nicht. Noch nicht. Vorerst funktioniert Luca Cereda «nur» bei einem Aussenseiter. Aber er ist erst 37. Er hat eine grosse Zukunft vor sich. Und, was oft vergessen wird: er ist kein Zauberlehrling. Er hat seinen eigenen Stil entwickelt.
Und eine Frage darf nicht ausbleiben: Wird Luca Cereda seinen «Lehrlingsvertrag» auflösen oder bleibt er?
Mit dem Vertrag des Ambri-Trainers ist es nämlich so eine Sache. Er hat im Sommer 2017 eine Chance als Cheftrainer bekommen. Aber nur mit einem beidseitig jederzeit auf drei Monate kündbaren «Lehrlingsvertrag». «Ich bin froh, dass mir Ambri diese Chance gegeben hat und ich habe diese Bedingungen akzeptiert.»
Der wohl begehrteste Jungtrainer der Schweiz könnte also Ambri unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist jederzeit verlassen. Aber er wird es nicht tun. Er wird nicht einmal mehr Geld verlangen. «In Ambri stimmt für meine Familie und mich alles. Es gibt keinen Grund, meinen Vertrag aufzulösen. Und ich denke, dass es auch die Gegenseite nicht tun wird…»
Er kann davon ausgehen, dass es die Gegenseite – also Sportchef Paolo Duca – nicht tun wird.