Es ist schwierig, sich von liebgewordenen Vorstellungen zu trennen. Vor allem dann, wenn sie sich über Jahrzehnte zu Wahrheiten verdichtet haben.
Der SC Bern ist und bleibt im Kanton die Nummer eins. Mit uneinholbarem Vorsprung. So scheint es seit Anbeginn der Zeiten zu sein.
Zum letzten Mal hat Biel vor mehr als 30 Jahren eine Meisterschaft vor dem SC Bern beendet. Im Frühjahr 1988 erreicht Biel in der Qualifikation den fünften Schlussrang. Der SCB nur Platz sieben. Zum letzten Mal spielen 1987/88 nur die vier Ersten die Playoffs.
Seither ist der SCB die Nummer eins im Kanton. Natürlich hat der SCB hin und wieder eine Partie gegen Biel oder die SCL Tigers verloren. Manchmal waren es spektakuläre und verdiente Niederlagen. Oft auch unnötige, überraschende Pleiten. Aber sie änderten nie etwas an der unantastbaren Vormachtstellung des SC Bern. Es waren «Betriebsunfälle».
Kein Wunder also, hat am Samstagmorgen, vor dem Derby und nach dem freitäglichen 5:1 der Stadtberner in Rapperswil-Jona und dem 2:3 der Bieler auf eigenem Eis gegen Gottéron, ein Chronist notiert:
Biel war in Bern tatsächlich nicht leichtsinnig. Sondern mutig, leidenschaftlich und taktisch schlau. Und es reichte. Weil Biel zum ersten Mal seit Menschengedenken in jeder Beziehung besser war als der SCB.
Biel über vier Linien besser. Biel schneller. Biel bissiger. Biel dynamischer. Biel disziplinierter. Biel kaltblütiger. Biel effizienter. Biel besser organisiert. Biel geduldiger. Biel mit dem besseren Torhüter. Elien Paupe wehrte 94,29 Prozent der Schüsse ab. Leonardo Genoni «nur» 87,10 Prozent. Der Einsatz von Elien Paupe (für Jonas Hiller) hatte Trainer Antti Törmänens schon vor diesem Wochenende eingeplant.
Es ist kein Sieg nach einem Drama oder nach einem wilden «Drunter-und-Drüber». Kein Spiel, bei dem auch ein anderes Ende möglich gewesen wäre. Nein, es ist ein Sieg, wahr und klar, eindeutig und unmissverständlich. Von der ersten bis zur letzten Minute hat Biel dominiert und die Gangart bestimmt. Die Bieler sind der sonst so unheimlichen SCB-Hockeymaschine einfach davongelaufen.
Biels Trainer Antti Törmänen (als Meistertrainer von 2013 einst in Bern gefeuert) bleibt bescheiden. Er sagt: «In Bern können wir nur gewinnen, wenn wir unser bestes Hockey spielen.» Und auf die Frage, ob es Biels bestes Saisonspiel gewesen sei, sagt er nach kurzem Nachdenken: «Ja.» Die Mannschaft habe auf die Niederlage gegen Gottéron so reagiert, wie er es erwartet habe. Und Berns Trainer Kari Jalonen zollt den Bielern Respekt und Anerkennung. Keine Ausreden.
Biel führt die Tabelle vor dem SCB an. Noch kann sich ein Berner nicht vorstellen, dass es sich bei dieser Konstellation um mehr als eine Momentaufnahme, eine Kuriosität, eine Laune der Hockeygötter, einen Irrtum der bernischen Hockeygeschichte handelt.
Wir sollten uns zwar hüten, bereits im September grundsätzlich zu werden. Schon zu oft war die vermeintliche Wahrheit des Herbstes die Torheit des Aprils. Und doch sollten wir uns ganz seriös mit der Frage auseinandersetzen: Ist Biel vielleicht doch eine grosse Mannschaft? Ein verdienter Tabellenführer, der seinen Platz in der Spitzengruppe nicht so bald wieder räumen muss? Zeichnet sich gar das Ende einer mehr als 30-jährigen, scheinbar auf alle Ewigkeiten festgefügten Hockey-Hierarchie im Bernbiet ab?
Um dieser Frage nachzugehen, sollten wir uns von der Geschichte lösen und uns auf die Gegenwart und die Beurteilung der Zukunftsperspektiven konzentrieren.
Biel hat inzwischen neben dem Eis praktisch gleich gute Voraussetzungen. Die Infrastruktur ist erstklassig. Zwar ist es nicht möglich, mit dem Spielbetrieb gleich viel Geld zu erwirtschaften wie der SCB. Aber Biel ist ein starker Wirtschaftsstandort und kann, wenn es sein muss, gleich viel Geld fürs Hockeybusiness aufbringen.
Die Mannschaft ist im Schnitt jünger. Mindestens sieben Spieler haben ihr Entwicklungspotenzial noch nicht ausgereizt. Biel wird in den nächsten zwei bis drei Jahren besser werden. Morgenröte am Bieler Hockeyhimmel!
Zu den Spielern mit Steigerungspotenzial gehört auch der alternde Schillerfalter Damien Brunner (32). Er hat bereits zwei Treffer erzielt. Aber er sagt, dass er noch nicht der wahre Damien Brunner sei. «Davon bin ich noch ein Stück weit entfernt.» Es gehe für ihn nach wie vor darum, sein Spiel zu finden. «Dafür brauche ich Zeit.» Er sei froh, dass er jetzt beschwerdefrei spielen könne und die Spielweise der Mannschaft behage ihm sehr.
Weil Biel erfolgreich ist, steht der ehemalige NLA-Topskorer (2011/12 mit Zug) nicht unter Druck und nicht ständig im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Bieler sind so gut, dass sie es sich leisten können, einem so spektakulären Neueinkauf Zeit für den Formaufbau zu gewähren.
Beim SCB ist André Heim (20) der einzige Spieler, der seinen Leistungszenit noch nicht erreicht oder bereits überschritten hat. Wird Gaëtan Haas (26) noch besser, wechselt er in die NHL. Der SCB wird in den nächsten zwei bis drei Jahren nicht mehr besser. Götterdämmerung am Stadtberner Hockeyhimmel?
Über die Jahrzehnte hinweg haben wir uns daran gewöhnt, dass die besten Bieler, wenn sie Karriere machen wollen, Biel verlassen und oft nach Bern gehen. Zuletzt ist Gaëtan Haas’ Transfer von Biel zum SCB als logischer Karriereschritt gewertet worden. Im Bernbiet gilt seit 30 Jahren: Willst Du etwas werden, musst Du zum SCB wechseln. Das gilt auch für Langnaus Simon Moser und Beat Gerber.
Was, wenn künftig die Titanen Bern verlassen, um in Biel Karriere zu machen? Noch ist so etwas unvorstellbar, ja ungeheuerlich.
Aber es ist ein Zeichen an der Wand, dass Damien Riat (21), ein NHL-Kandidat, von Genf nach Biel und nicht nach Bern gewechselt hat, um im Hockeyleben vorwärts zu kommen.
Item, Leader Biel tritt am Dienstag in Langnau an. Und wieder ist es ein Spitzenkampf. Es geht darum, wer vorne bleibt bzw. den Anschluss nach vorne halten kann.
Zum ersten Mal seit den 1970er Jahren sind der SCB, Biel und Langnau gemeinsam in den «Top Fünf» klassiert.
Die «goldenen 70er Jahre» sind zurück. Wenigstens für ein paar Tage.