Das WM-Glück der Schweiz hängt noch stärker an den Goalies als bei den Grossen. Weil wir nach wie vor zu wenig Spieler haben, die auf internationalem Niveau in der Offensive einen Sieg «erzwingen» können. Und auch gegen die vermeintlich «Kleinen» sind wir auf den Torhüter angewiesen.
Für Nationaltrainer Patrick Fischer stellt sich vor dem kapitalen Spiel gegen die Franzosen die Frage: Jonas Hiller (35) oder Leonardo Genoni (29)? Die Goaliefrage kann über Triumph oder Untergang gegen Frankreich entscheiden.
Paris ist nach 2006, 2007 und 2008 die vierte WM für Jonas Hiller. Aufgrund seiner Erfahrung und seinem Charisma und der Leistungen in den Vorbereitungsspielen ist der ehemalige NHL-Titan, der zwischen 2007 und 2016 in der wichtigsten Liga der Welt knapp 30 Millionen Dollar verdient hat, in Paris die klare Nummer 1. Keine Frage: Mit Jonas Hiller gegen Frankreich. Oder doch nicht?
Für Leonardo Genoni ist es nach 2011, 2014 und 2015 ebenfalls die vierte WM. Die Nummer 1 war er bei einem Titelturnier noch nie. Der bestbezahlte NLA-Goalie (brutto knapp 700'000 Franken) war diese Saison beim SCB mit einer Fangquote von 93,60 Prozent besser als Jonas Hiller in Biel (91,60 Prozent). Keine Frage: Mit Meistergoalie Leonardo Genoni gegen Frankreich. Oder doch nicht?
Beim WM-Auftakt gegen Slowenien rettete Jonas Hiller mit drei gehaltenen Penaltys doch noch den Sieg (5:4). Aber mit einer Abwehrquote von lediglich 82,61 Prozent war er an der Preisgabe des 4:0-Vorsprungs mitschuldig.
Leonardo Genoni hielt im zweiten Spiel gegen Norwegen (3:0) seinen Kasten rein. Er war in dieser Partie der wichtigste Einzelspieler. Für die Mannschaft ist Leonardo Genoni nach zwei WM-Partien die gefühlte Nummer 1.
Nationaltrainer Patrick Fischer verrät vor dem Spiel nie, welchen Torhüter er einsetzen wird. Jonas Hiller oder Leonardo Genoni gegen Frankreich? Nominiert er Jonas Hiller, riskiert er im Falle einer Niederlage Polemik.
Nach dem Krieg sind eben alle Soldaten Generäle und alle Kritiker klüger als der Nationaltrainer. Patrick Fischer kann sich trösten. Auch seine Vorgänger haben in der Torhüterfrage nicht immer die richtige Antwort gefunden. Die spektakulärsten Beispiele für eine richtige und eine falsche Antwort:
Bei der WM 2000 in St.Petersburg war Martin Gerber die klare Nummer 1. Aber an der schmählichen 2:4-Niederlage gegen Frankreich war er mitschuldig. Die Schweiz musste nun unbedingt gegen Gastgeber Russland gewinnen. Das schien unmöglich. Ralph Krueger pokerte hoch und setzte überraschend Reto Pavoni ein, dessen internationale Karriere sich schon dem Ende zuneigte. Er spielte die Partie seines Lebens und die Schweiz gewann 3:2.
Ralph Krueger hatte damals für ein Festhalten an Martin Gerber so viele gute Gründe wie für den Einsatz von Reto Pavoni. Und hatte Glück mit seinem Entscheid.
Reto Berra hexte 2013 die Schweiz mit dem Spiel seines Lebens im WM-Halbfinale zu einem 3:0 gegen die USA. Wer behauptet, dass wir mit ihm im Tor anschliessend das Finale gegen Schweden gewonnen hätten und Weltmeister geworden wären, ist wahrlich kein Schelm.
Aber die Schweizer hatten das WM-Startspiel gegen Schweden sensationell mit Martin Gerber mit Tor gewonnen (3:2) und auch das Viertelfinale gegen Tschechien (2:1). Was lag da näher, als im Finale gegen den Schweden wieder Gerber einzusetzen, der sowieso damals in der höchsten schwedischen Liga spielte? Doch der Emmentaler spielte ausgerechnet im WM-Endspiel eines seiner schwächsten Länderspiele. Die Schweiz war chancenlos (1:5).
Sean Simpson hatte damals für den Einsatz von Martin Gerber so viele gute Gründe wie für den Einsatz von Reto Berra. Und hatte Pech mit seinem Entscheid.
Patrick Fischer hat es nun ein bisschen leichter. Er hat keinen Grund, gegen Frankreich nicht auf Leonardo Genoni zu setzen.